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In Kalkar werden Luft- und Cyberkrieg konkret

Bernd Trautvetter über eine geplante NATO-Konferenz, auf der Kriegsfachleute in der Nähe der Operationszentrale Kalkar über den großen Krieg in Europa orakeln

Mitte dieses Monats wird in Kleve die NATO-Jahrestagung des »Joint Air power Competence Centre« (JAPCC) stattfinden, gesponsort unter anderem von internationalen Rüstungskonzernen wie Airbus Defence and Space sowie United Technologies. Die NATO-Tagung im Raum Kalkar ist das militärstrategische Pendant zur eher propagandistisch angelegten Sicherheitskonferenz im Februar.

Im JAPCC werden Vorstellungen zu Führung und Einsatz von »Luftkriegsmitteln aller Teilstreitkräfte« erarbeitet. Man sieht sich auf dem Flug in die Zukunft, die Konferenz trägt dieses Jahr den Titel »Future Vector«. Offenbar geht es weniger um die Zukunft der Erde, als um die Zukunft des Krieges.

Auf der ersten Bonner Demonstration für den Frieden mit 300 000 Menschen sagte Heinrich Böll: Wir demonstrieren »nicht gegen einen geplanten Krieg, sondern gegen die strategischen Bereitstellungen für einen möglichen Krieg«. Der Aufruf für diese Demonstration am 10. Oktober 1981 begann mit dem Satz »Die 80er Jahre werden ... zum gefährlichsten Jahrzehnt in der Geschichte der Menschheit.« Seither hat die Friedensbewegung mit dazu beigetragen, dass die Pershings und Marschflugkörper aus Deutschland wieder verschwunden sind. Für die »Bereitstellung« neuer Strategien und Technik baut die NATO Kalkar aus. Die dortige Operationszentrale Luftwaffe, Luftverteidigungsgefechtsstand und weitere NATO-Institutionen vor Ort sind verantwortlich für Kommando (auch im Kriegsfall) und Kontrolle im Luftraum Europas von den Alpen bis Island, im Norden wie im Osten Europas. Die Steuerung von Drohnen, die »Unmanned Aerial Vehicles« genannt werden, wird immer wichtiger, genauso wie digitaler Krieg in einem möglichen »Konflikt«, etwa mit Russland: Die von der NATO in Wales beschlossene Eingreiftruppe im Baltikum soll den »Einsatz von Bodentruppen vorbereiten« (Spiegel 4.9.14). Das Szenario betrifft einen zunächst von Kalkar aus gesteuerten Krieg.

Hier am Operationszentrum Kalkar beraten Militärs jährlich die jeweils neuen Möglichkeiten der Kriegsführung in Zeiten der wissenschaftlich-technischen Revolution. Wie gefährlich und weit gediehen das ist, zeigt die Future Vector-Konferenz des JAPCC-Kompetenzzentrums in der Stadthalle Kleve vom 18. bis 20. November. Das Tagungsmaterial zeigt, dass militärisches Denken selbst die Gefahren ständig steigert: »Die gegenwärtige Abwesenheit großer Konflikte der Hauptmächte schließt in sich selbst die Möglichkeit nicht aus, dass zwischenstaatliche Kriege ein Merkmal des zukünftigen Sicherheitsumfeldes sind.« Die benutzten englischen Begriffe sind: »major great power conflict » und »inter-state warfare«; wir können zusammenfügen: Major War. Die Bestätigung dieser Begriffsklärung findet sich im Future Vector-Tagungsmaterial Part I, S. 141: Die Annahme, es werde in Europa keinen »major war« mehr geben, sei anzuzweifeln, heißt es da – »is in some doubt«.

Statt darauf zu setzen, den Frieden im Interesse des Überlebens zu sichern, bereitet man strategisch konkret Krieg vor. Es ist fraglich, ob die Militärs eine Ahnung haben, was sie da vorbereiten. Nehmen wir nur die Ukraine, deren kriegerische Situation in den Kalkar-Tagungsunterlagen wiederholt als Rechtfertigung von Kriegsplanungen herhält. Dort liegt Tschernobyl, das dringend einen neuen Sarkophag brauchte. In der Südukraine steht das größte Atomkraftwerk Europas. Und neben den in Europa weit gestreuten Atomanlagen finden wir weitere Anlagen, die in einem Krieg eine infernale Gefahr darstellen: Chemieanlagen, teils in Metropolen.

»Future Vector« (Untertitel »Luft- und Weltraum-Militärkräfte«) meint das Zusammenspiel aller Armeebestandteile bis hin zu A-Waffen. Die in den Tagungsunterlagen benutzten Begriffe »sub-strategische nukleare Abschreckung« und »taktische Atomwaffen« (Part I, S. 44) legen nahe, es gehe nur um eine untergeordnete Gefahr. Das senkt die Hemmschwelle gegenüber dem Atomkrieg.

In Kalkar plant die NATO die Kriegsführung im 21. Jahrhundert – so hieß die dortige Konferenz 2012. Ein Fachbegriff, den sie dafür in diesem Jahr verwenden, ist »NEXUS«, womit die Integration von satellitengestützter Kontrolle und Befehlssteuerung der Luftwaffe, Marine, des Heeres und der Internetsoldaten im Cyberkrieg gemeint ist. Drohnen sind Bestandteil von Nexus, auch Cyberangriffe auf die feindliche Infrastruktur aus Notfalleinrichtungen, Schutzsystemen, Versorgungswegen, ... auf tödliche und nicht- tödliche Weise (nonlethal/lethal). In diesen Konferenzen werden Maßnahmen für den Containment-Krieg, angefangen bei Sanktionen als Vorstufen zum kurzen heftigen und dem längeren Krieg strategisch immer weiter spezifiziert. In den Kalkar-Konferenzen wird die Abstimmung des Spektrums aller strategischen Möglichkeiten konkret. Die Friedensbewegung wird an ihre Demonstrationstradition anknüpfen, um die gefährlichsten Zeit überhaupt friedlich zu überwinden.

* Aus: neues deutschland, Montag, 17. November 2014

Aber zuerst der Friedensratschlag:

Bernhard Trautvetter (Essen referiert beim Friedenspolitischen Ratschag am 6./7. Dezember 2014 in Kassel, Uni. Thema: Kalkar: Drehscheibe kommender (Drohnen-)Kriege (Sonntag, 10-12 Uhr), Siehe: P R O G R A M M




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