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"Hier ist der Ort, der zur Kriegsführungszentrale gen Osten ausgebaut wird"

Uli Sander (VVN-BdA) und Bernd Trautvetter (Essener Friedensforum) bei der Kundgebung in Kalkar


Am 3. Oktober fand in Kalkar eine Demonstration der Friedensbewegung gegen das dort geplante Gefechtszentrum statt. 700 Teilnehmer/innen waren gekommen, gegenüber dem Vorjahr eine Verdreifachung der Teilnehmerzahl! Im Folgenden dokumentieren wir die Eröffnungsrede von Uli Sander und die Ansprache von Bernhard Trautvetter.


Eröffnung durch Ulrich Sander:

Unsere Forderungen sind im Aufruf eindeutig formuliert:
  • Die Schließung des NATO-Luftwaffen-Führungszentrums in Kalkar
  • Ein Konversionsprogramm für den Standort
  • Keine Anschaffung von Kampfdrohnen
  • Abschaffung von Atomwaffen statt deren Modernisierung
  • Abrüstung statt neuer NATO-Kriege
... Ich begrüße alle, die in der Absicht gekommen sind, unserem Anliegen zu dienen. Ich begrüße auch die Medienvertreter. Sie sind hier als Medienvertreter, nicht als Mitveranstalter. Es versteht sich, daß die Kundgebungsteilnehmer/innen, die dies nicht wünschen, auch nicht gefilmt und fotografiert werden. Vor allem begrüße ich die Bürgerinnen und Bürger von Kalkar. Wir sind nicht gekommen, um Ihre Interessen nicht zu achten. Im Gegenteil. Wir brauchen Konversion und keine weitere Hochrüstung. Nur in friedlicher Konversion hat Kalkar eine Zukunft.

Warum treffen wir uns am 3 Oktober, dem Nationalfeiertag?
Krieg und Rechtsentwicklung mit deutscher Beteiligung wurden seit dem 3. Oktober 1990 wieder möglich, obwohl damals nur noch Frieden versprochen wurde. Die Menschen riefen beim Mauerfall: Wahnsinn, und sie meinten das als Ausruf des Glückes. Doch jetzt sehen wir: Mit der Wende begann wirklicher Wahnsinn. Kriege mit deutsche Mitwirkung wurden wieder möglich. Diese Tatsache kam in unseren schlimmsten Alpträumen damals nicht vor.

Seit dem letzten Treffen hier hat sich leider vieles zum Schlechten verändert: Die Rechten und Nazis vieler Länder haben bei der EU-Wahl große Stimmenzuwächse gehabt. Und mit Hilfe des Westens kamen im Februar sogar Nazis in die Regierung der Ukraine. An der Ukraine-Krise haben unsere deutschen Regierenden mittels EU- und NATO-Aufrüstung und Einsetzung einer Kiewer Regierung mit faschistischen Regierungsmitgliedern ihren skandalösen Anteil.

Um uns herum ist die Welt voller Kriegsschauplätze.

Die Reden des Bundespräsidenten, des Außenministers und der Verteidigungsministerin, die es für „verantwortungsvoll“ halten, wenn Deutschland immer mehr Präsenz auf den Kriegsschauplätzen zeigt, sind alarmierend.

Am diesjährigen 3. Oktober - dem sog. Nationalfeiertag – setzt die Friedensbewegung wieder ein Zeichen für eine andere Richtung. Wir demonstrieren zum Zentrum Luftoperationen in Kalkar, denn hier ist der Ort, der zur Kriegsführungszentrale gen Osten ausgebaut wird. Hier ist nichts zu spüren von Ausrüstungsmängeln, hier gibt es die modernsten und teuersten Ausrüstungen.Von hier werden schon jetzt Eurofighter und AWACS-Flugzeuge ganz nah an die russische Grenze herangeführt, und von hier soll der Kampfdrohnenkrieg ermöglicht werden. 1600 Fachleute des Tötens werden hier stationiert. Sie dirigieren Eurofighter auch überm deutschen Luftraum, und bei einem permanenten Manöver – z.B. überm Sauerland - starben am 23. Juni zwei Piloten. Gleichartige Manöver werden von Kalkar aus in den baltischen Ländern ab April 2014 ständig durchgeführt.

Wie leicht kann da der Funke überspringen und es kommt zum großen Krieg? Wir sagen Schluß damit. Schluß mit dem Wahnsinn wahnsinniger Politiker. Die Vernunft muß siegen und die Vernunft ist auf der Straße. Die Vernunft verkörpern wir!

Ich begrüße Euch im Namen der Veranstalter dieser Aktion
  • der Ostermarschkomitees von Rhein und Ruhr Mitveranstalter sind
  • der Bundesausschuß Friedensratschlag - die bundesweite Kooperation für den Frieden
  • die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten
  • die IALANA Jurist/innen gegen Atomwaffen
  • die Deutsche Friedensgesellschaft/VK in Bund und Land NRW
  • das Ökumenische Netz in Deutschland
  • das Netzwerk Friedenssteuer


REDE BERNHARD TRAUTVETTER - KALKAR 3.10.2014

Am 24. September 1977 demonstrierten hier in Kalkar zehntausende gegen den schnellen Brüter, ein besonders gefährliches Atomkraftwerk, das in dieser idyllischen Gegend am Niederrhein entstand. Der Aufruf sprach von mörderischer Technik. Und dies zu recht. Die Aktiven kritisierten, dass Bedenken der Bürger übergangen wurden. Diese Arroganz nehmen wir auch heute nicht hin. Heute sagen wir Nein zur Kriegsvorbereitung, heute hier in Kalkar.

Aktive sahen den Weltfrieden in Gefahr. Der Bund für Umwelt und Naturschutz in Deutschland – BUND – sagte dazu. Das im Reaktor erbrütete Plutonium sei... atom-waffentauglich, für eine Vielzahl von Bomben in der Größe von der in Hiroshima. Kalkar wurde zu einem Vorläufer der Großdemonstrationen der Friedensbewegung der 80ger-Jahre. Die Menschen damals erkannten die Gefahr und gingen millionen-fach auf die Straße. Die Gefahren sind weiter angewachsen. Der Frieden braucht uns! Gut, dass Ihr da seid. Ihr seid die Vorhut für der nächsten Bewegung! Jetzt wird in Kalkar der Krieg 21. Jahrhundert geplant und vorbereitet. Es ist unsere Verant-wortung, das zu verhindern. Unser Nein zu Militär und Krieg ist ein Ja zum Leben!

In 6 Wochen findet hier in der Nähe die Tagung 2014 des Kalkarer Joint Air Power Competence Center, [Zentrum für Vereinte Luft-Streitkraft-Kompetenz] statt.

Sie wollen laut Tagungsunterlagen ihre weltweite Luftüberlegenheit aufrechterhalten, und mit Drohnen, Satelliten, Heer , Marine sowie dem Inter net mit Cyberwar verknüpft weiterentwickeln. Und sie planen die Modernisierung der Atomwaffen. Was sie über Jahrzehnte entwickelten, kommt jetzt und hier und rasant in einen Guss. Ausführlichen Informationen dazu findet, wer in youTube Kalkar + Luftwaffe eingibt.

In den 80ger Jahren wurden Planungen unter dem Begriff ‚Victory is possible‘ = “Sieg ist möglich“ bekannt: Man müsse einen Atomraketenabwehrschirm, mit den richtigen Zielen für eigene auch nukleare Angriffe auf die Sowjetunion und einem Zivilschutz zuhause verknüpfen.

Die Strategen haben inzwischen den gegnerischen Block im kalten Krieg überlebt, und sie haben alles seither weitgehend im Verborgenen technisch und strategisch weiter entwickelt. Davon viel hier. Wie weit das geht, lassen hiesige NATO-Jahreskonferenzen ahnen. Vor zwei Jahren hatte man das Thema 'Kriegsführung im 21. Jahrhundert'. Ein Soldat, mit dem ich darüber hier am Kasernenzaun sprach, verteidigte: ‚Warfare‘ könnte auch ‚Handwerk‘, nicht unbedingt ‚-Führung‘ heißen. Ich blickte ihn nur zweifelnd an, und er gab mir sofort Recht, dass sei in der Tat keine kluge Beschönigung gewesen. Wir sehen: auch bei Menschen auf der falschen Seite können und müssen Zweifel bewusst machen.

Es lässt sich nicht beschönigen: Bundeswehr und NATO lassen hier in Kalkar das Friedensgebot des Völkerrechts weit hinter sich. Das müssen wir durchkreuzen. Des-halb lehnen wir auch Kriegsbeteiligungen im Ausland sowie den Drohnenkrieg ab.

In der kurz bevorstehenden NATO-Jahreskonferenz des Joint Air Power Competence Center unter dem Titel >Future Vector< steht der Pfeil oder Vector nicht für einen schnellen Weg in die Zukunft. Er fliegt über Europa ins All. Er kann die Zukunft der Menschheit tödlich treffen: Man spricht im Tagungsmaterial von >Nexus<. Das ist das Wort für die Verbindung aller Elemente der Kriegsführung. Sie sprechen von tödlicher und nicht-tödlicher Militärkraft (force): „Die strategischen Diskussionen können sich darauf richten, was Luft-, All- und Cyber-, also Netz-basierte Gewalt als unabhängige, offensive(!) und möglicherweise entscheidende Instrumente für Schläge beitragen können…“ (S.101) Das ist eine unverhohlen offensive Strategie. Mit unser aller Leben wird ein tödliches Spiel getrieben. Wir sagen erneut: NEIN! Wir wollen Leben! Deshalb sind wir hier!

Und wir kommen wieder, um die Pläne zu durchkreuzen, mit denen die Zukunft der Menschheit in tödlichen Planungen riskiert wird. Im Tagungsmaterial vom November lesen wir weiter: „Die zwei Jahrzehnte überdauernde Annahme, dass es in Europa einen Ausgangspunkt für einen bedeutenden – der englische Begriff ist >major war< – nicht gibt, ist anzuzweifeln“ Englisch: >is in some doubt<. Man bereitet also hier in Kalkar, einem Herzstück des NATO-Krieges des 21. Jahrhunderts den großen Krieg vor, statt ihn durch Friedenspolitik, etwa in der Nachfolge Gandhis zu verhindern und das Über-leben der Menschheit zum vordringlichen Ziel zu erheben.

Die NATO droht, nun auch über Kalkar zum Selbstmordattentäter an der Menschheit zu werden. Europa ist ein Kontinent, teils dicht übersät mit giftigen Chemie- und Industrie- sowie Atomanlagen. Was die NATO plant, verbietet sich hier schon inso-fern genauso wie weltweit. Wir sagen Nein, wir wollen leben!

Wir fordern die ersatzlose Schließung der Einrichtungen für den Krieg im 21. Jahrhundert hier in Kalkar und das Verbot von Konferenzen zur Kriegsvorbereitung!

Wie gefährlich konkret die Kriegsstrategie auch hier vor Ort gediehen ist, das sieht man am NATO-Gipfel Anfang September in Wales: Man überging dort, dass die Ukrainische Regierung illegal im Amt, also als Partner illegitim ist. Die NATO kritisiert nur die Gesetzesbrüche der Gegenseite, hier Russlands. So gießt die NATO Öl ins Feuer dadurch, dass sie sich den Rechtsbruch auswählt, gegen den sie vorgeht. Sie bezieht eine Regierung, in der Partner der NPD sitzen, in NATO-Manöver ein. Und in Wales hat sie eine NATO-Eingreiftruppe mit einer Luftraumüberwachung über dem Baltikum direkt an der Ukraine mit Bundeswehr-Eurofightern beschlossen. Der Luftraum fällt in die Zustän-digkeit des Zentrums für Luftoperationen in Kalkar. Der de-fakto-Regierungs-Chef der Ukraine warf Russland vor, den dritten Weltkrieg beginnen zu wollen. Wer dieses Wort in den Mund nimmt, spricht von der Apokalypse. Wir sagen Nein! Wir verteidigen das Leben.

Dieser Regierung reichen Washington, die NATO in Brüssel, Berlin und Kalkar die Hand. Yatsenyuk nannte Gegner kürzlich Sub-humans, das heißt Untermenschen. Das ist die Sprache der Gewalteskalation. Dem müssen wir entschieden entgegen-treten. Wir sagen Nein! In allen Konflikten, so auch hier ist De-Eskalation das oberste Gebot. Die NATO und ihre Partner senden gegenteilige Botschaften in die Welt. Dazu als intolerables Beispiel der Vorsitzende der Münchener Sicherheitskonferenz Herr Ischinger: „Mit der Annexion der Krim, der ...Putin-Doktrin, ..., hat Russland die Geschichte der europä-ischen Sicherheit in ein ... feindseligeres Kapitel zurückgeführt.“ (Monthly Mind 09. 14)

Mit solchen Kriegsvokabeln wird rechtfertigt, was hier und heute geschieht. Wir sagen ‚Nein!‘ zur Kriegsinfrastruktur, die von Kalkar aus ganz aktuell und konkret den Weltfrieden bedroht!. Der Luftraum der Ukraine ist im Zuständigkeitsbereich von Kalkar. In der Ukraine mahnen z. B. 15 Atomkraftwerke und die Tschernobyl-Ruine zum Frieden.

Verhandlungen und eine Stärkung des Völkerrechts und seiner Institutionen wie der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, der OSZE, statt der NATO, das ist das Gebot der Stunde. Niemand darf weiteres Öl ins Feuer dieses schwelenden Konflikts gießen nicht von Kalkar aus oder von wo auch immer her! Wir sagen dazu Nein!

Juni 2013 trat hier in Kalkar im Weltraumlagezentrum zum ersten Mal die Programm- kommission Raumfahrt der Bundesministerien für Verteidigung und für Wirtschaft (!) zusammen. Dass die Neuausrichtung der Bundeswehr, die in Kalkar Gestalt annimmt, gegen das Friedensgebot des Grundgesetzes steht, zeigt die Zusammenstellung von Experten der Militärs und der Wirtschaft für ein Treffen im Weltraumlagezentrum. Hier wird nicht der Frieden verteidigt, sondern es wird militärisches Planen mit Ökonomie verknüpft, etwa um unseren Zugang zu „unseren“ Ölfeldern, Märkten und strate-gischen Interessensgebieten zu sichern. Wir wollen Friedenspolitik statt Sicher-heitspolitik! Zu dieser Unsicherheitspolitik sagen wir Nein!

In Kalkar wird die Infrastruktur für den ferngesteuerten Drohnenkrieg, für die Automati-sierung und die komplette Autonomisierung des Krieges in Windeseile ausgebaut. Über Krieg und Frieden entscheiden bald Programme, wenn real wird, was sie jetzt schon planen. Kalkar als Herzstück des Krieges drei Komma null muss geschlossen werden. Wir haben die Verantwortung, das teuflische Spiel zu durchkreuzen, bevor es uns abschafft!

Im Aufruf der ersten Hunderttausender-Friedensdemonstration vor 33 Jahren stand der Satz, man lebe im gefährlichsten Jahrzehnt der Menschheit. Wir sind jetzt über drei Jahrzehnte weiter. Statt den Frieden in den Vordergrund zu stellen, setzen sie auf Offensive, zu der neben Drohnen, Atomkraftwerken auch Atombomben selbst gehören, von denen immer noch ca. 20 in Büchel bei Koblenz auf ihren Einsatz warten. Die Nato hat ihre Modernisierung statt ihrer Abschaffung beschlossen. Auch diese Jets werden von Kalkar aus gesteuert.

Weil wir leben wollen, gibt es von uns zu alledem nur ein ‚Nein‘, und nochmals ein ‚Nein‘.
  • Das heißt: einen Konversionsprozess für Kalkar, friedliche Ökonomie, statt Kriegstechnologie,
  • Nein zu allen Formen des Krieges Drei Komma Null im 21. Jahrhundert!
  • Abrüstung statt neuer NATO-Kriege! Keine Tagungen der Kriegsvorbereitung, hier nicht, auch nicht in München!
  • Mit der Fernsteuerung, Automatisierung, Roboterisierung und Autonomisierung des Kriegs werden wir uns nie abfinden. Wir nähern uns dem Punkt, da auch die Militärstrategen der technologischen Möglichkeiten nicht mehr Herr werden, die sie in die Hände bekommen. Also: Schluss mit Drohnen, morgen ist der bundesweite Aktionstag gegen Drohnen, zu dem wir von hier aus mit aufrufen
  • Die Friedensbewegung muss dem entsprechen mit der Umwelt- und Gewerkschaftsbewegung sowie weiteren sozialen Bewegungen gezielter zusammenarbeiten, im Interesse des Lebens auf der Erde.


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