Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Schnöggersburg geheim

Grüne fordern Einsicht in Unterlagen zum Bau der Kriegsübungsstadt in Sachsen-Anhalt. Antimilitaristen planen zweites Protestcamp in der Heide

Von Susan Bonath *

Sachsen-Anhalts Opposition, bestehend aus den Grünen und der Linkspartei, will Klarheit haben über Schnöggersburg. Deshalb verlangt sie Einsicht in die Planungsunterlagen zum Bau der Bundeswehr-Kriegsübungsstadt in der Colbitz-Letzlinger Heide. Bisher setzte die Landesregierung auf Geheimhaltung. Das gehe den Landtag nichts an, da allein der Bund zuständig sei, behauptete sie. Doch ein von den Grünen beim Gesetzgebungs- und Beratungsdienst des Landes eingeholtes Rechtsgutachten, das jW vorliegt, besagt, die Regierung sei sehr wohl verpflichtet, das Parlament zumindest über baurechtliche Fragen zu informieren. Über diese habe das Land zu entscheiden. »Nach hier vertretener Auffassung ist die Verweigerung der Vorlage der Akten zum Verwaltungsverfahren rechtswidrig«, so der Dienst.

Die Bundeswehr hat im November begonnen, auf dem Areal des Gefechtsübungszentrums (GÜZ) Altmark die Militärstadt zu errichten. »Wir sind noch dabei, das Gelände von alter Munition zu räumen, dann geht es los mit dem ersten Bauabschnitt«, erläuterte ein Sprecher des GÜZ auf jW-Nachfrage. In Schnöggersburg sollen ab 2017 Nato-Soldaten für Kampfeinsätze in urbanen Zentren ausgebildet werden. Der Waffenkonzern Rheinmetall wird neben dem Truppenübungsplatz auch die Kampfstadt betreiben. Auf sechseinhalb Quadratkilometern sollen an den Ufern eines künstlichen Flusses Wohn- und Industriegebiete, Plätze, Straßen, Parks, Krankenhäuser, U-Bahntunnel und -stationen, ein Flugplatz und sogar ein Elendsviertel entstehen.

Das Vorhaben verlief bisher alles andere als transparent: Sechs Jahre lang planten Bundeswehr und Regierende das 100-Millionen-Projekt am Magdeburger Landtag und der Öffentlichkeit vorbei. Erstmals im vergangenen Frühjahr rückte das Militär gegenüber hartnäckigen Journalisten Zahlen heraus, die den finanziellen und logistischen Aufwand erahnen ließen. Seitdem versucht die Opposition vergeblich, den Bau der Übungsstadt zu stoppen. Die Linke vermutet, in Schnöggersburg könnten Soldaten auch für Einsätze in europäischen Großstädten ausgebildet werden, um soziale Unruhen zu bekämpfen. Die Grünen hatten im Januar Beschwerde bei der Europäischen Kommission eingereicht. Ihrer Ansicht nach verstößt die großflächige Versiegelung gegen Gesetze, da das Gelände als besonderes Umweltschutzgebiet ausgewiesen ist. Vor allem kritisieren beide Fraktionen »die Geheimniskrämerei der Landesregierung«. Mit allen Versuchen, Einblick in die Unterlagen zu erhalten, sind sie aber bislang gescheitert. »Das ist ein Rechtsverstoß«, sagte der Grünen-Abgeordnete Dietmar Weihrich auf jW-Nachfrage mit Blick auf das Gutachten. Er fordert die Landesregierung auf, »dem Parlament umgehend Einblick in die Genehmigungsakten zu gewähren«.

Die Aktionsgruppe »War starts here« setzt dagegen auf öffentlichen Protest. Für den 21. bis 29. Juli 2013 plant sie ein zweites antimilitaristisches Camp nahe des Truppenübungsplatzes. Am ersten Camp im September nahe der militärischen Kommandozentrale in Letzlingen hatten sich rund 100 Aktivisten beteiligt; etwa 300 bis 400 waren zu einer zentralen Demonstration gekommen. Das hatte die Staatsmacht in Form von Landes- und Bundespolizei sowie Feldjägern der Bundeswehr auf den Plan gerufen. Neben zahlreichen Straßensperren mußten echte und mutmaßliche Friedensaktivisten massive Personenkontrollen hinnehmen. Ein weiträumiges Versammlungsverbot rund um das GÜZ hatte das Oberverwaltungsgericht in letzter Minute teilweise gekippt. Auch in diesem Jahr heißt das Motto der Aktionsgruppe: »Der Krieg beginnt hier und kann hier aufgehalten werden«.

* Aus: junge Welt, Samstag, 9. März 2013


Zurück zur Seite "Militärstandorte"

Zur Bundeswehr-Seite

Zurück zur Homepage