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Tausende protestierten gegen "Münchner Sicherheitskonferenz", Konfrontation mit Russland und Waffenexporte. Deutsche Rolle bei Friedensbewegten umstritten

Von Claudia Wangerin *

Es war der Schock des Massakers im Gewerkschaftshaus von Odessa vor knapp neun Monaten, der den diesjährigen Protest gegen die »Münchner Sicherheitskonferenz« von denen vergangener Jahre unterschied. Bevor am Samstag nachmittag mehrere tausend Menschen unter dem Motto »Kein Frieden mit der NATO« gegen die Tagung im Luxushotel Bayerischer Hof demonstrierten, standen sich um elf Uhr morgens am Karlsplatz zwei kleinere Kundgebungen gegenüber. Eine zur Unterstützung der prowestlichen Regierungspolitik in der Ukraine und eine, auf der Oleg Muzyka als Überlebender des Odessa-Massakers am 2. Mai 2014 sprach. Die Teilnehmer erinnerten an den damaligen Mord an mindestens 46 Menschen durch neofaschistische Schläger und Brandstifter infolge des maßgeblich von rechten Kräften getragenen Putsches, der in Kiew der Wahl des heutigen ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko und dem Bürgerkrieg vorausgegangen war. Poroschenko sei von allen diesjährigen Teilnehmern der Sicherheitskonferenz »derjenige, der das meiste frische Blut an den Händen hat«, sagte die frühere Münchner Linkspartei-Stadträtin Dagmar Henn auf der Kundgebung vor einigen hundert Menschen. Weitere Redner bezeichneten Poroschenko als Kriegsverbrecher. Russische und sowjetische Fahnen sowie Flaggen der international nicht anerkannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk wurden geschwenkt. Die meisten der Versammelten fanden sich anschließend auch zur Großdemonstration auf dem Marienplatz ein, wo ihre Fahnen und Transparente nicht unbedingt Konsens waren, aber als Kontrapunkt zur Dämonisierung Russlands gesehen und toleriert wurden. Parolen wie »Frieden schaffen ohne Waffen« und die Regenbogenfahne der Friedensbewegung waren dort ebenso vertreten wie Fahnen der Linkspartei und der DKP-nahen Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend (SDAJ).

»Deutsche Waffen haben in der Ukraine nichts zu suchen«, wies die Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen (Die Linke) auf dem Marienplatz Poroschenkos Forderung nach entsprechenden Lieferungen zurück. Nur im Dialog sei Frieden mit Russland zu schaffen, nicht durch eine forcierte Militarisierung, schon gar nicht mit der NATO. Das Bündnis wurde auf der Demonstration bildhaft als riesige Krake mit Totenkopf aus Pappmaché dargestellt.

Weitere aufwendige Basteleien waren von »Star Wars«-Figuren inspiriert, vor allem vom behelmten Darth Vader, der für »die dunkle Seite der Macht« steht. Bei allem Ernst der Lage wird die karnevalistische Seite des Protests gegen die Münchner »SiKo« seit Jahren großgeschrieben. Inhaltlich setzen die Teilnehmer unterschiedliche Schwerpunkte. Ob Deutschland in der NATO bei diversen Konflikten willentlich Mittäter ist, eigene Interessen vertritt oder stets nur hineingezogen wird, ist in der Friedensbewegung in München wie bundesweit umstritten.

Soweit es um Ukraine-Krise ging, standen dieses Jahr USA und NATO auch deshalb im Mittelpunkt der Kritik, weil Bundeskanzlerin Angela Merkel signalisiert hatte, der prowestlichen Regierung keine Waffen liefern zu wollen. Für Kopfschütteln sorgte aber ein Demonstrant, der ein Schild mit der Aufschrift »gegen die Amerikanisierung Europas« trug. Andere kritisierten dagegen die Auftritte der Bundeswehr an deutschen Schulen und die Waffenexportpolitik der Bundesregierung. »Nein danke, Angie! Keine Leos an die Saudis«, stand auf einem Transparent, das Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vor weiteren Panzerlieferungen an Saudi-Arabien warnte.

Ein Redner der ver.di-Jugend erinnerte während der Demonstration noch einmal an den Brand des Gewerkschaftshauses in Odessa und zog Parallelen zum 2. Mai 1933 in Deutschland. Eine Gruppe türkischer Kommunisten spielte die Sowjethymne vom Tonträger ab, als der Protestzug schon kurz nach dem Start gestoppt wurde, weil die Polizei an Seitentransparenten Anstoß nahm. Im Anschluss kam es zu vorübergehenden Festnahmen. Nach jW-Informationen betraf dies unter anderem Demonstranten, die das Logo der in Westdeutschland verbotenen Jugendorganisation FDJ sowie ein Transparent mit der Parole »Der Hauptfeind steht im eigenen Land« getragen hatten.

Mit 4.000 Teilnehmern selbst nach Polizeiangaben hatten die Demonstranten allerdings doch noch die Zahl der Beamten überschritten, die am Wochenende im Einsatz waren, um die 400 Staats- und Regierungschefs, Politiker, Militärs und Industrievertreter im Bayerischen Hof zu schützen.

* Aus: junge Welt, Montag, 9. Februar 2015


»Angst vor einem Flächenbrand«

Die »Münchner Sicherheitskonferenz« aus der Sicht eines Linken und Merkels Widerspruch zur Ukraine-Politik der USA. Ein Gespräch mit Alexander Neu **

Dr. Alexander Soranto Neu, Abgeordneter der Partei Die Linke und Obmann im Verteidigungsausschuss des Bundestags, nahm an der 51. »Münchner Sicherheitskonferenz« teil.

Die »Münchner Sicherheitskonferenz« am Wochenende war die konfrontativste seit Jahren. Bezogen auf die Ukraine taten sich ungewohnte Gräben auf: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat bekräftigt, der dortigen Regierung keine Waffen zur Bekämpfung des prorussischen Widerstands in der Ostukraine liefern zu wollen. Der republikanische US-Senator John McCain nannte dies »töricht«. Was bedeuten diese Differenzen?

Die US-Regierung hat wohl einfach weniger Angst vor einem Flächenbrand in Europa als die deutsche Kanzlerin, denn Deutschland ist ja nun mal Teil von Europa. Eine Ausweitung der Ukraine-Krise kann nicht in ihrem Interesse sein. Insofern ist es logisch, dass sie da im Moment kein Öl ins Feuer gießen will. Die USA sind einfach weiter weg. Den Verantwortlichen dort kann die Kriegsgefahr in Europa erst einmal egal sein. Und alles spricht dafür, dass sie McCain tatsächlich egal ist.

Hat diese ungewohnte Meinungsverschiedenheit Ihre Außenseiterposition auf der Konferenz ein wenig relativiert?

Nein, das dann doch nicht. Die Bundesregierung und die üblichen Teilnehmer sind den USA nach wie vor sehr verbunden, sie sind Transatlantiker. Die Rede des ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko wurde auch sehr viel positiver aufgenommen als die des russischen Außenministers Lawrow. Poroschenko konnte unwidersprochen so tun, als sei er in keiner Weise für den Tod von Zivilisten verantwortlich, als er um Waffenlieferungen bat. So war die Stimmung auf dieser Konferenz. Wer dort in Straßenkleidung auftaucht, weil er am selben Tag draußen bei der Friedensbewegung mitdemonstriert, ist ganz klar ein Exot. Mein Fraktionskollege Wolfgang Gehrcke und ich sind da schon ein bisschen belächelt worden. Im Vorfeld hatte ich ja bereits eine Auseinandersetzung mit dem Konferenzleiter Wolfgang Ischinger, der meinte, ich solle doch in einer Jugendherberge übernachten statt im Hotel, wenn ich meine, diese Tagung so scharf kritisieren zu müssen.

Sie sagten dazu sinngemäß, dass es keine privat finanzierte Veranstaltung sei und Sie als Abgeordneter ein Recht zur kritischen Teilnahme hätten. Hatten Sie denn überhaupt eine realistische Chance zur Wortmeldung?

Das ist dort sehr schwierig, letztes Jahr musste man sogar die Fragen vorher einreichen. Das wurde dieses Mal meines Wissens etwas lockerer gehandhabt, aber Wolfgang Gehrcke und ich hatten beschlossen, uns zurückzuhalten. Mir war es erst einmal wichtig, auf dieser Konferenz Eindrücke und Informationen zu sammeln. Denn man bekommt dort bei den Tischgesprächen schon einiges mit, selbst in unserer Position.

Sie waren auch bei den Gegenaktivitäten zur »Sicherheitskonferenz«. Gab es in der Friedensbewegung oder Ihrer Partei Kritik, weil Sie die Teilnehmerliste pluralistischer aussehen lassen, ohne inhaltlich Akzente setzen zu können?

Bisher habe ich in diesem Bereich keine negativen Reaktionen auf unsere Teilnahme gehört, allerdings wollte ich im Anschluss noch etwas ausführlicher mit Parteifreunden auch und gerade aus München über unsere Eindrücke reden.

Interview: Claudia Wangerin

** Aus: junge Welt, Montag, 9. Februar 2015


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