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"Kriegsgewäsch" im Bayerischen Hof

Friedensbewegung kritisiert die Ausrichtung der Münchner Sicherheitskonferenz auch im Jubiläumsjahr scharf

Von Olaf Standke *

Mit Joachim Gauck eröffnet heute erstmals ein deutsches Staatsoberhaupt die umstrittene Münchner Sicherheitskonferenz, die zu ihrem Jubiläum mehr als 400 Teilnehmer erwartet.

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon sprach am Donnerstag in Berlin mit Bundeskanzlerin und Bundespräsident, heute wird US-Außenminister John Kerry im Kanzler- und im Auswärtigen Amt erwartet. Aus Münchner Sicht natürlich alles nur Zwischenstationen, denn beide zählen zu den Teilnehmern der 50. Sicherheitskonferenz im Nobelhotel »Bayerischer Hof«, und das ist im Selbstverständnis der Organisatoren an diesem Wochenende der sicherheitspolitische Nabel einer konfliktgeladenen Welt. Zustand und Zukunft des Nordatlantik-Paktes gehören als Thema ebenso zur Agenda der Jubiläumsveranstaltung wie die Entwicklung in Syrien, der Ukraine, im Nahostkonflikt oder beim iranischen Atomprogramm. So werden auch Teherans Außenminister Mohammed Dschawad Sarif und sein russischer Amtskollege Sergej Lawrow in München erwartet.

Der Konferenzvorsitzende Wolfgang Ischinger zeigte sich schon vor der Eröffnung sichtlich stolz, wenn er vom illustren Teilnehmerkreis berichten durfte. Auch Altkanzler Helmut Schmidt und der einstige US-Außenminister Henry Kissinger werden in einer Gesprächsrunde dabei sein – beide gehörten schon bei der ersten »Wehrkundetagung« 1963 zu den Rednern. Es habe einen geradezu »tsunamiartigen Andrang« ranghoher Politiker, Militärs und Rüstungsindustrieller gegeben, so der Siko-Leiter, und nicht alle durften kommen. Dem ukrainischen Oppositionsführer Vitali Klitschko jedoch würde man sehr gern ein Forum bieten, er soll mit dem amtierenden Kiewer Außenminister Leonid Koschara möglicherweise auf dem Podium im »Bayerischen Hof« sitzen.

Aus Washington kommen sogar zwei Minister, neben Kerry auch Pentagon-Chef Chuck Hagel sowie die Sicherheitsberaterin von Präsident Barack Obama, Susan Rice. Kerry soll nicht zuletzt die Wogen in der NSA-Überwachungsaffäre glätten und so den Merkel-Besuch in Washington vorbereiten. Die Bundesregierung bemühte sich bisher vergeblich um ein Abkommen mit den USA, das gegenseitige Spionage unterbindet. Eine Einladung für den histleblower Edward Snowden nach München wäre für Ischinger dagegen undenkbar, weil die größtmögliche »Backpfeife« für die Washingtoner Regierung. Ganz davon abgesehen, dass die Sicherheitskonferenz doch vor allem ein Treffen der Entscheidungsträger bleiben solle. Grundsätzlich kritische Positionen stören da offensichtlich nur. NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen dagegen darf natürlich bei der von Bundesregierung und Waffenschmieden wie Krauss-Maffei Wegmann, Raytheon oder Airbus Group gesponserten Verständigung mit der Rüstungsindustrie nicht fehlen. »50 Jahre Kriegsgewäsch« war auf einem Plakat zu lesen, mit dem Friedensaktivisten auf ihre Weise eine Pressekonferenz Ischingers kommentierten. Für das Münchner Aktionsbündnis gegen die Konferenz treffen sich dort vor allem Drahtzieher völkerrechtswidriger NATO-Kriege und Verantwortliche für Hunger, Armut und weltweite Ungerechtigkeit.

Eine Absage an militärischer Gewalt zur Durchsetzung politischer und geostrategischer Interessen – etwa beim Tagesordnungspunkt Energiesicherheit – kann man von dieser Runde in der Tat nicht erwarten. Auch wenn Bundespräsident Joachim Gauck das in seiner Eröffnungsrede in bewährter Form verklausulieren wird. Die deutsche Vergangenheit dürfe kein Hindernis sein dafür, »Verantwortung zu übernehmen auf ganz unterschiedlichen Feldern«, erklärte er dieser Tage.

Gemeint sind damit auch die in großen Teilen der Bevölkerung abgelehnten Einsätze der Bundeswehr, die die neue Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen in München etwa mit Blick auf Afrika noch einmal legitimieren will. Dort, so postuliert Siko-Chef Ischinger, gehe es auch um Deutschlands Sicherheit – als hätte man aus dem Krieg am Hindukusch nichts gelernt. Ein deutsches Ausscheren aus der NATO wie im Falle Libyens will die »Eiserne Lady« der Hardthöhe künftig unbedingt vermeiden und zugleich das militärische Gewicht der Europäer im transatlantischen Bündnis deutlich stärken. Da ist es gut, dass zeitgleich und nun schon zum zwölften Mal die Internationale Münchner Friedenskonferenz eine »inhaltliche Alternativveranstaltung« zur Siko bietet.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 31. Januar 2014

Weltpolitik im Hinterzimmer

Verbindliche Beschlüsse werden nicht gefasst, es gibt auch kein Abschlusskommuniqué, und wirklich wichtige Debatten über Strategien und Streitpunkte im transatlantischen Bündnis finden nicht selten bilateral und in Hinterzimmern des Nobelhotels »Bayerischer Hof« statt – auf Staatskosten von Polizei und Bundeswehr hermetisch abgeriegelt. Das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung sponsert das Treffen mit 350 000 Euro, ein Drittel der angegebenen Gesamtkosten. Doch gerade ihr informeller Charakter macht die zum 50. Mal stattfindende Münchner Sicherheitskonferenz (Siko) in den Augen von Politikern, Militärs, Spitzenmanagern und Rüstungslobbyisten zu einem der interessantesten Foren internationaler Sicherheitspolitik. Die Friedensbewegung hat ihm immer wieder Kriegstreiberei vorgeworfen und massiv protestiert. Am Wochenende werden fast 20 Staats- und Regierungschefs sowie über 50 Außen- und Verteidigungsminister aus aller Welt erwartet. Auch UN-Generalsekretär Ban Ki Moon zählt zu den Teilnehmern.

Gegründet hat die Veranstaltung der Verleger Ewald von Kleist, der zu den Mitverschwörern um Hitler-Attentäter Claus Schenk Graf von Stauffenberg gehörte. Nach Ende des Ost-West-Konflikts wurde aus der »Internationalen Wehrkundetagung« die »Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik«. Viele Jahre vom einstigen Sicherheitsberater der Kohl-Regierung, Horst Teltschik, geleitet, steht der Konferenz heute der frühere deutsche Botschafter in London und Washington, Wolfgang Ischinger, vor. Sta




Im Gänsemarsch durch die Einkaufsmeile

Neue Protestform gegen Sicherheitskonferenz / 3100 Polizisten im Einsatz

Von Rudolf Stumberger, München **


Friedensbewegung und Linken schmeckt die Münchner Konferenz nicht. Zwei Bündnisse haben dazu aufgerufen, gegen das Expertentreffen in diesen Tagen auf die Straße zu gehen.

Zum ersten Mal soll bei der Großdemonstration gegen die sogenannte Sicherheitskonferenz in München am Samstag etwas Neues ausprobiert werden – eine »picket line«. Das ist eine in den Vereinigten Staaten häufig benutzte Protestform, bei der die Teilnehmer hintereinander wie im Gänsemarsch gehen und dabei Plakate und Transparente tragen. Während die große Demonstration vom Münchner Marienplatz aus über den Sendlinger Tor-Platz und den Stachus den Veranstaltungsort der Konferenz, den Bayerischen Hof, umrundet, bewegt sich die »picket line« durch die Fußgängerzone, um dann am Stachus zur Demonstration zu stoßen. Die Teilnehmerzahl der »line« ist auf maximal 80 begrenzt; ihre Route geht durch die Einkaufsmeile der Kaufingerstraße.

Zur Demonstration aufgerufen haben zwei Bündnisse: zum einen das »Aktionsbündnis gegen die NATO-Sicherheitskonferenz« mit ihrem Sprecher und langjährigen Initiator Claus Schreer. In diesem Bündnis haben sich zahlreiche linke Organisationen und Gruppen zusammengeschlossen. Das zweite Bündnis nennt sich »Kriegsrat – Nein Danke« und besteht aus der Münchner Linkspartei, attac München, der Ökologisch-Demokratische Partei und den Münchner Grünen. Es hat sich vor zwei Jahren gegründet.

Die Veranstalter rechnen mit mindestens 3000 Teilnehmern, 3100 Polizisten werden in der bayerischen Landeshauptstadt im Einsatz sein. Die Polizei geht von einem friedlichen Protestverlauf aus. Es gebe keine »konkreten Hinweise auf Gefährdungen«, man werde aber »lageangepasst mit Einsatzkräften präsent sein«, heißt es. Völlig abgesperrt wird der Konferenzort, der Promenadeplatz und anliegende Straßen dürfen nur mit einem Sonderausweis betreten werden.

Ab Freitag weist eine Mahnwache auf dem Max-Josephs-Platz in Sichtweite der Bayerischen Staatsoper mit einer Kunstinstallation unter dem Motto: »Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom« auf den Protest gegen die Sicherheitskonferenz hin. Mit dabei ist »Positive-Propaganda«, ein gemeinnütziger Kunstverein, der sich der Etablierung zeitgenössischer und sozialpolitischer Kunst im urbanen Raum widmet. Beim Protestmarsch am Samstag ist eine künstlerische Intervention des Street-Art-Künstlers Mark Jenkins geplant. Am Freitag soll zudem am Oberanger von 17 bis 20 Uhr eine Kundgebung unter dem Motto »Kein Sponsern der Münchner Kriegskonferenz« stattfinden, Veranstalter sind die »Anarchistinnen-Rätekommunistinnen Münchens«.

Gleich in der Nähe, am Sendlinger Tor-Platz, findet von Freitag bis Sonntag eine Mahnwache zu der Entwicklung in der Ukraine statt. Die seit Wochen anhaltenden Proteste dort sind ebenfalls Thema eines für Samstag angemeldeten Autokorsos.

** Aus: neues deutschland, Freitag, 31. Januar 2014

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Nicht "Sicherheit", sondern Aufrüstung und Intervention werden gepredigt. Pressemitteilungen des Bundesausschusses Friedensratschlag und der IPPNW (31. Januar 2014)




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