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Wohin nach Afghanistan?

NATO und Bundeswehr: Über den Hindukusch in den Irak

Von Uli Cremer*

Von Minister Struck stammt die Formel, Deutschland werde am Hindukusch verteidigt, nur will er Deutschland nicht nur dort verteidigen: "Mögliches Einsatzgebiet der Bundeswehr ist die ganze Welt", verkündete er am 13. Januar, traditionelle Landesverteidigung sei passé. Nun denken viele, ohne Landesverteidigung sei auch die Wehrpflicht obsolet geworden. Diese Schlussfolgerung scheint übereilt, denn Minister Struck findet, dass "auch im Rahmen internationaler Einsätze... Wehrpflichtige unverzichtbar" seien, sonst habe man zu wenig Mannschaftssoldaten. Zudem seien die freiwillig Längerdienenden ein gutes Mittel gegen die verbreitete Auffassung, "das Leben zu verlieren" sei für Berufssoldaten nun einmal das "Berufsrisiko". Wehrpflichtigenblut kann also helfen, die Bevölkerung hinter den Militäreinsätzen zu versammeln - oder wie soll man Strucks Argumentation sonst verstehen?

Als nun der Minister am vergangenen Wochenende auf der Münchener Sicherheitskonferenz mit seinen NATO-Kollegen über nächste Schritte am Hindukusch und darüber hinaus beriet, ging es besonders um zwei militärische Anliegen in Afghanistan und im Irak. Beide Länder sind von US-geführten Koalitionen völkerrechtswidrig angegriffen, besiegt und besetzt worden, nun aber wollen die USA ihr Engagement reduzieren und die NATO-Alliierten in der Pflicht sehen.

Bisher laufen in Afghanistan zwei Einsätze parallel: Die USA befehligen - ohne UN-Mandat - die Operation Enduring Freedom, die im ganzen Land gegen den sich neu formierenden Widerstand der Taliban gerichtet ist ("aktive Bekämpfung des Terrorismus"), während die NATO das Kommando über die ISAF-Truppen führt, die sich auf ein Mandat nach Kapitel VII der UN-Charta und einen Hilferuf der Marionetten-Regierung Karsai berufen können. ISAF kontrolliert zur Zeit Kabul, aber auch die Bundeswehr-Soldaten in Kundus unterstehen diesem NATO-Kommando. Der jüngst lancierte deutsch-französische Vorschlag, das ISAF-Kommando in Kabul und Kundus ab August dem Eurokorps zu übertragen, dürfte innenpolitisch keine Komplikationen auslösen, solange dabei die Zahl von 2.250 Bundeswehr-Soldaten nicht überschritten wird. Erst jenseits dieser Grenze wäre ein neuer Beschluss des Bundestages erforderlich.

Die darüber hinausgehende Idee, der NATO auch Enduring Freedom zu übertragen und damit alle Militäroperationen in Afghanistan unter ein Kommando zu stellen, stieß bei Minister Struck auf öffentlich bekundete Ablehnung. Doch sein Argument, eine solche "Vermischung" würde die Unterstützung in der Bevölkerung für ISAF erodieren lassen, "weil die internationale Sicherheitspräsenz zur Stabilisierung des Landes nicht klar von der aktiven Bekämpfung des Terrorismus" zu trennen sei, ist kaum stichhaltig. ISAF hat nur deswegen weniger Tote zu beklagen, weil deren Truppen in keinen Taliban-Hochburgen stehen - und nicht weil sie für "unabhängig" von den USA gehalten werden. Eine Zusammenlegung würde außerdem bedeuten, dass es keinen deutschen oder französischen, sondern einen US-Befehlshaber gäbe.

Wie auf der Konferenz in München deutlich zu sehen war, drängen die USA auf die Einrichtung einer NATO-Zone im Südirak, um die dort stationierten britischen und polnischen Kontingente zu entlasten. Diesem Ansinnen begegnet die deutsche Seite mit Formeln wie: jetzt müsse man "nach vorn blicken" und "den Frieden" mit den Kriegskoalitionären "gemeinsam gewinnen". Während Außenminister Fischer Anfang Februar noch erklärte, man wolle einem NATO-Beschluss nicht im Weg stehen, aber keine deutschen Soldaten schicken, hat Verteidigungsminister Struck seit sechs Monaten die Position klar fixiert: Voraussetzungen für den Einsatz deutscher Soldaten seien ein UN-Mandat (Kapitel VII, also Kampfeinsatz) und das Hilfegesuch einer irakischen Regierung an die NATO.

Möglicherweise wird schon im Sommer beides zu haben sein. Die USA könnten offiziell die Besetzung beenden, natürlich ohne die Truppen abzuziehen, und eine irakische "Karsai-Regierung" für demokratisch legitimiert erklären, was den gewünschten UN-Beschluss zur Folge haben dürfte. In diesem Fall kalkuliert man nach Informationen der FAZ vom 4. Februar in NATO-Kreisen mit einer Truppenstärke zwischen 30.000 und 45.000 Mann. Ein "deutscher Truppenanteil von 4.000 bis 5.000 Mann" wird "für machbar gehalten". In den dafür notwendigen Führungsstäben würde die Bundeswehr einen Großteil des Personals stellen. Nicht nur Angela Merkel kann sich nicht vorstellen, "dass Deutschland z.B. seine 30 NATO-Offiziere aus dem Hauptquartier Mönchengladbach zurückzieht, wenn es in den Irak verlegt wird". Damit wäre dann die rote Linie überschritten. Der Friedensbewegung bleiben noch vier Monate, diesen nächsten deutschen Militäreinsatz zu verhindern - am 29.Juni will die NATO auf ihrem Gipfel in Istanbul einen Beschluss fassen.

* Uli Cremer, Hamburg.
Der Beitrag erschien am 13. Februar in der Wochenzeitung "Freitag".



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