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"Was ihr für die Ewigkeit errichtet habt, kann schon morgen zusammenstürzen"

Die Reden von Sevim Dagdelen (MdB) und Walter Listl auf der Friedenskundgebung gegen die Münchner "Sicherheitskonferenz"


Im Folgenden dokumentieren wir zwei Reden, die bei der Kundgebung gegen die "Sicherheitskonferenz" am Marienplatz in München am 5. Februar 2011 gehalten wurden. Es ist dies die Eröffnungansprache von Walter Listl (für die Organisatoren) und im Anschluss daran die Rede der Bundestagsabgeordneten Sevim Dagdelegen (Die Linke).
Die Rede von Eugen Drewermann haben wir hier dokumentiert.


Walter Listl

Eröffnungsrede für das Aktionsbündnis gegen die NATO-Sicherheitskonferenz bei der Demonstration am 5.Februar 2011

Diese sog. Sicherheitskonferenz gegen die wir heute demonstrieren, ist vor allem eine Konferenz von Militärs, Kriegsstrategen, Waffenhändlern und ihrer politischen Lobby. Das sind die Leute, denen wir unsere Sicherheit auf keinem Fall überlassen wollen.

Denn an ihren Händen klebt Blut. Das Blut der Hunderttausenden Opfer ihrer Kriege gegen Jugoslawien, gegen den Irak und gegen Afghanistan.

Wenn sie Sicherheit sagen, meinen sie die Sicherheit, strategische- und Kapitalinteressen weltweit durchzusetzen, wen nötig auch militärisch. Mit ihren Waffenexporten und der Unterstützung despotischer Regimes nicht nur im Nahen Osten leisten sie Beihilfe zum weltweiten Massenmord. Deshalb ist dies keine Sicherheitskonferenz, sondern eine Kriegskonferenz. Deshalb demonstrieren wir heute.

Mit unserer Demonstration fordern wir vor allem:
Bundeswehr und alle fremden Truppen - raus aus Afghanistan!

Das Gerede vom bevorstehenden Abzug der Bundeswehr ist eine Nebelkerze. Abzug erst, so heißt es, wenn es die Sicherheitslage erlaubt. Das ist ein Hintertürchen so groß wie ein Scheunentor. Wir sagen: Die Bundeswehr und alle fremden Truppen müssen aus Afghanistan abziehen und dieser Abzug muss sofort beginnen.

Aber unsere Demo wendet sich nicht nur gegen die Konferenz der Kriegsstrategen.

Unsere Demonstration heute ist auch eine Demonstration der Solidarität mit den demokratischen Bewegungen und Revolten in Ägypten, in Tunesien, im Jemen und anderen arabischen Ländern.

Wir klagen die Verantwortlichen dieser Sicherheitskonferenz an: Im Namen ihrer Sicherheit unterstützten und unterstützen die NATO-Staaten die Verbrecherregimes von Karsai, Mubarak, Ben Ali und andere Regimes im nahen und Mittleren Osten

Und wir solidarisieren uns mit den demokratischen Kräften und Antikriegsbewegungen dieser Länder und grüßen von hier aus die Anti-Mubarak-Demonstrierenden auf dem Kairoer Tahrirplatz.

Diejenigen, wie Herr Ischinger und seine politischen Freude, die jetzt besorgt nach Ägypten schauen, Demokratie und Stabilität einfordern fragen wir: Wo war ihre Besorgnis, in den letzen Jahrzehnten der Unterdrückung des ägyptischen Volkes? Wann in den letzten dreißig Jahren haben sie von Mubarak demokratische Verhältnisse gefordert wie sie das jetzt tun? Dieses Mubarakregimes hat sich doch nur Dank der milliardenschweren Unterstützung durch die NATO-Staaten bis jetzt an der Macht halten können.

Diese sog. Sicherheitskonferenz und diese NATO-Politiker sind die Letzten, von denen die Ägypter Ratschläge in Sachen Demokratie brauchen.

Wir gehen heute auf die Straße, weil NATO und die Bundesregierungen dieses Landes Komplizen dieser Regimes waren und bis heute sind. Ihr Interesse an stabilen Verhältnissen im Nahen Osten war immer nur das Interesse an Energiesicherheit, das von despotischen Regimes mit brutaler Gewalt und Unterstützung der USA und der NATO durchgesetzt wurde.

SZ heute: Die Botschaft der Demonstranten auf dem Kairoer Tahrirplatz lautet: Eure Stabilität liegt wie eine Grabplatte auf unseren Gesellschaften.

Was diese Sicherheitskonferenz unter Sicherheit versteht sieht man daran, dass heute Nachmittag in einem Diskussionspaneel der Konferenz zum Thema „Sicherheit in Nahen und mittleren Osten“ aus dieser Gegend ein saudischer Prinz und ein Berater des ägyptischen Außenministeriums sprechen wird.

Man sucht also mit den Leuten nach Lösungen, die in Wirklichkeit das Problem sind.

Deshalb erklären wir mit unserer Demonstration unsere Solidarität mit den Menschen, die in Ägypten und anderen arabischen Ländern millionenfach auf die Straße gehen, für Demokratie, gegen Armut und Repression.

Sie geben ein Beispiel nicht nur für diese Region, sondern für den weltweiten Widerstand gegen Ausbeutung und Unterdrückung.

Unsere Demonstration ist ein Stück dieser weltweiten Bewegung. Und wenn die SZ heute nicht ganz zu Unrecht schreibt, die Sicherheitskonferenz sei eine Manifestation der Ratlosigkeit - dann ist unsere Demonstration eine Manifestation der internationalen Solidarität mit den Menschen in Ägypten und den anderen arabischen Ländern wird, eine Manifestation gegen Krieg und Unterdrückung.

Den Demonstranten in Kairo gehört unsere Solidarität und die Sicherheitskonferenz gehört abgeschafft.


Sevim Dagdelen

Liebe Freundinnen und Freunde,

die Sicherheitskonferenz hat ihre Tagesordnung kurzfristig geändert. Ihr Vorsitzender, Wolfgang Ischinger, lässt sich zu den Unruhen in der arabischen Welt mit den Worten zitieren "Das ist eine schwierige Gradwanderung für den Westen."

Jetzt steht plötzlich die Lage in der arabischen Welt auf der Tagesordnung. Außenminister Westerwelle entfaltet auf einmal hektische Aktivitäten. Und Verteidigungsminister -man müsste eigentlich sagen Kriegsminister- zu Gutenberg will auf einmal, auf einmal die deutsche Außenpolitik gegenüber Diktatoren überdenken. Und auf einmal friert die deutsche Bundesregierung die Rüstungsexporte gestern nach Ägypten ein. Kann man das glauben?

Diejenigen, die die Diktatur Hosni Mubaraks und seiner Clique dreißig Jahre unterstützt haben, lassen jetzt ihren Schützling fallen. Dabei hat doch Westerwelle noch vor kurzem gesagt, Mubarak sein ein "Mann mit enormer Erfahrung, großer Weisheit und die Zukunft fest im Blick".

Das ist der Gipfel der Heuchelei! Jetzt, wo ihre Diktatorenfreunde in Schwierigkeiten stecken, versuchen sie die Öffentlichkeit zu täuschen. Von diesen Herren dürfen wir uns nicht weiter Sand in die Augen streuen lassen. Westerwelle und Co versuchen alles, um Mubarak zu retten oder um seinen willfährigen Stellvertreter Omar Suleiman zu installieren. Suleiman war zwanzig Jahre Geheimdienstchef in Ägypten. Er ist verantwortlich für massenhafte Folter, politische Morde und Unterdrückung. Und wir rufen ihnen auf ihrer Kriegskonferenz zu: Wer solche Freunde hat, gibt sich wirklich zu erkennen.

Und so ist es auch kein Zufall, dass der Autokrat Hamid Karsai, heute in München zu Gast ist. Karsai, der Wahlfälscher, der für das Bündnis mit Warlords und Kriegsverbrechern steht, der das Afghanistan zusammen mit der NATO beherrscht. Dieses Bündnis von Westerwelle, Merkel, von Obama und Clinton mit ihren willfährigen Diktatoren und Autokraten ist einfach unerträglich. Zeigen wir diesen Leuten die Rote Karte! Entlarven wir ihr Geschwätz von Demokratie und Rechtstaatlichkeit! Glauben wir ihnen ebenso wenig, wie ihnen die Menschen in der arabischen Welt glauben!

Diese mutigen Menschen, die sich aufgemacht haben, um für Freiheit, Demokratie und Frieden die vom Westen jahrzehntelang unterstützten Regime zu stürzen. Und wir sollten von hier ein deutliches Signal senden, nach Tunis, nach Kairo, nach Sanaa, nach Amman, nach Casablanca und ja auch nach Riad: Wir stehen an eurer Seite. Hoch die internationale Solidarität!

Liebe Freundinnen und Freunde,

worum geht es ihnen denn, wenn sie Krieg führen in Afghanistan, im Irak, in Somalia und im Jemen? Worum geht es ihnen, wenn sie weltweit Diktaturen unterstützen, ob in Äthiopien oder in Saudi-Arabien? Sie selbst geben die Antwort. Es ginge um Stabilität. Stabilität wofür? Um einem entfesselten Kapitalismus, und Profite und Extraprofite, nach denen das Kapital ruft, durchzusetzen. Um ein unmenschliches System weiter zu stabilisieren. Denn können wir ihnen glauben, wenn sie sagen, sie führten für Menschenrechte und gegen Terrorismus Krieg? Nein! Gerade der Aufstand in der arabischen Welt zeigt das.

Sie unterstützen noch die schlimmsten Menschenrechtsverletzer. Sie haben nicht einmal mit der Wimper gezuckt, wenn tausende in arabischen Gefängnissen gefoltert und ermordet wurden und noch immer werden. Die Antwort ist - und es ist leider so einfach: Für die Macht der Reichen gehen sie über Leichen! So boomen denn auch die Waffenexporte in die arabische Welt. Mit Saudi-Arabien will man ein Freihandelsabkommen abschließen. Die monarchistischen Diktaturen auf der arabischen Halbinsel, die Frauenrechte jeden Tag mit Füßen treten, garantieren Stabilität für das Kapital in Deutschland und den USA. Und wenn die arabischen Massen unter einer derartigen Bedrohung ihrer Gesundheit und ihres Lebens den Mut haben, um gegen diese Systeme aufzustehen, dann sollten wir hier diesen Mut aufnehmen. Und die wirksamste Solidarität ist hier aktiv zu werden gegen ihre Kriege, gegen ihre Unterstützung der Diktatoren und gegen die Vorbereitung eines neuen Krieges gegen den Iran.

Liebe Freundinnen und Freunde,

jetzt entschuldigen sich ARD und ZDF für ihre verfälschte Berichterstattung über Ägypten in den letzten Jahrzehnten. So hat der Chefredakteur von ARD Aktuell, Kai Kniffke, der verantwortlich ist für Tagesschau und Tagesthemen, erklärt: "Nicht hinreichend gewürdigt" worden sei, dass "in Ägypten Ausnahmerecht herrscht." Das ist doch der blanke Hohn!

Denn schauen wir uns doch mal um. Eine kritische Berichterstattung über die Kriegskonferenz findet nicht statt. Wir sollten also dafür kämpfen, dass der Tag kommt, an dem sich ARD und ZDF für ihre Hofberichterstattung über diese Kriegskonferenz entschuldigen. Dass Herr Kniffke eines Tages erklärt: "Nicht hinreichend gewürdigt" worden sei, dass "auf der Münchner Sicherheitskonferenz die Unterstützung von Kriegen und Diktatoren verabredet wird". Es ist eine Schande, dass sich Journalisten so zum Werkzeug der Mächtigen machen lassen. Sie haben noch nicht einmal den Mut, auch nur einen einzigen Kritiker zu Wort kommen zu lassen. Vermutlich sind auch sie an dem Projekt Stabilität beteiligt.

Alles soll so weitergehen wie bisher. Auf der einen Seite die Ausbeuter und auf der anderen Seite diejenigen, die dies stumm über sich ergehen lassen. Doch wir rufen ihnen zu: Eure Welt ist auf Sand gebaut. Was ihr für die Ewigkeit errichtet habt, kann schon morgen zusammenstürzen. Und ich bin mir sicher; dieser Kapitalismus, der ständig neue Kriege produziert, ist nicht von Dauer.

Liebe Freundinnen und Freunde;

und es ist eine Schande in diesem Zusammenhang, dass die Partei des tunesischen Diktators Ben Ali, jahrzehntelang Mitglied der Sozialdemokratischen Internationale war. Bis sie wenige Tage nach seiner Flucht ausgeschlossen wurde! Nicht nur schwarz-gelb auch rot-grün hat die arabischen Diktatoren immer unterstützt. Die Mubaraks, die Ben Alis, die Könige aus Marokko, die Prinzen aus Saudi-Arabien waren und sind ihre besten Freunde. Und es ist höchste Zeit hier endlich umzukehren. Nicht weiter die Hand im Bundestag für Krieg und weltweite politische Unterdrückung zu heben. Gegen die große Mehrheit der Bevölkerung. Denn die Mehrheit der Bevölkerung will keinen Krieg in Afghanistan.

Sie will keine Ausbildung von Kindersoldaten in Somalia und Äthiopien. Sie will nicht, dass in ihrem Namen weltweit Menschen unterdrückt oder für Kapitalinteressen leiden und regelrecht abgeschlachtet werden. Die große Mehrheit der Bevölkerung will die Ausbeutung der so genannten Dritten Welt beenden. Die große Mehrheit will, dass nicht weiter einen Milliarde Menschen auf der Welt hungern, während wir ständig neue Waffen weltweit liefern!

Und wir stehen an der Seite dieser Mehrheit! Und deshalb sagen wir: Nein zu dieser Versammlung der Kriegsvorbereiter und Diktatorenunterstützer.

Liebe Freundinnen und Freunde,

wenn es nach der Bundesregierung geht, soll auf der Kriegskonferenz verabredet werden, dass sich die EU noch mehr als bisher an weltweiten Kriegen beteiligt. Verstärkte Zusammenarbeit sei das Gebot der Stunde sagt Außenminister Westerwelle. "Wenn Europa weiter in der ersten Reihe mitspielen will, darf es sein Potenzial nicht verspielen.", schrieb er gestern in der Süddeutschen. Deshalb müsse die europäische Sicherheitspolitik verstärkt werden.

Und als Helfershelfer bot sich ihm zugleich der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu an. Die Türkei sei "unersetzlich für die EU, wenn diese ihre Vision verwirklichen will, ein globaler sicherheitspolitischer Akteur zu werden." Übersetzt heisst das: "Wir wollen und können für unsere Interessen selbst Kriege führen. Allein können wir das aber nicht. Dazu brauchen wir die EU." Und die Türkei sagt: "Lasst uns beitreten, dann helfen wir euch bei euren imperialistischen Feldzügen." Um es mit den Worten der EU-Außenbeauftragten Lady Ashton zu sagen: It's that simple.

Simpel ist auch der von Merkel gestern vorgelegte Pakt für Wettbewerbsfähigkeit für Europa. Danach soll es Lohnkürzungen im öffentlichen Dienst geben, als Vorbild für ein weiteres Lohndumping in der Privatwirtschaft. Eine Erhöhung des Renteneintrittsalters und die Verankerung einer Schuldenbremse in der Eurozone sind geplant. Die Agenda 2010 wird zum deutschen Exportschlager für ganz Europa, nach dem Motto "Am deutschen Wesen soll Europa genesen". Krieg und Sozialabbau sind also nur zwei Seiten der ein und derselben Medaille.

Es muss Schluss sein mit Sozialabbau und Lohndrückerei, die die Krise weiter verschärfen und somit neue Kriege heraufbeschwören.

Und es muss Schluss sein mit Kriegskonferenzen wie hier in München, die mittels Kriegen nur die Stabilität ihres menschenverachtenden Kapitalismus' sichern wollen.

Freiheit statt Krieg und Kapitalismus!


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