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Kalte Dusche im Bayerischen Hof

Unterschiedliche Reaktionen auf die Rede des russischen Präsidenten Putin

Von Hans Voß*

Auf den ersten Blick nahm die Konferenz den gewohnten Verlauf: Vor dem Konferenzgebäude protestierten Kriegsgegner gegen den Trend zur Militarisierung der internationalen Beziehungen, im Nobelhotel Bayerischer Hof hingegen debattierten Regierungsvertreter und Militärs unbeeindruckt über künftige Paktstrategien und Rüstungspläne. Doch ganz so war es doch nicht. Das lag vor allem am russischen Präsidenten Wladimir Putin, der völlig neue Elemente ins Konferenzgeschehen einbrachte.

In der Vergangenheit hatte stets das Vorgehen der NATO im Mittelpunkt der Münchener Sicherheitskonferenz gestanden. Die Aggression gegen Irak und ihre Folgen waren zuletzt beherrschende Themen. Doch das Scheitern der USA im Zweistromland hat schon seit geraumer Zeit zu einer veränderten Sichtweise geführt. Inzwischen übertönt der Ruf nach einem stärkeren Engagement des Nordatlantikpakts in Afghanistan alles andere. Der Erfolg der NATO am Hindukusch sei ein Prüfstein ihrer Existenz, hieß es auch auf der diesjährigen Sicherheitskonferenz. Dort dürfe sich nicht wiederholen, was in Irak geschehen sei. Es versteht sich, dass in München vor allem seitens des US-Verteidigungsministers Robert Gates und des NATO-Generalsekretärs de Hoop Scheffer der Druck auf die Allianz-Mitglieder intensiviert wurde, zusätzliche Verpflichtungen zum Truppeneinsatz in Afghanistan zu übernehmen. Das gerade zu Ende gegangene Treffen der NATO-Verteidigungsminister in Sevilla hat die gewünschten Ergebnisse nicht erbracht. Nach de Hoop Scheffer will das Militärbündnis aber bis zu seinem 60. Geburtstag im Jahre 2009 Stabilität in Afghanistan hergestellt haben.

Nach wie vor wurden dabei die unterschiedlichen Konzeptionen für das Vorgehen sichtbar. Die USA setzen weiterhin auf den vorrangigen Einsatz militärischer Kräfte, während sich zum Beispiel Bundeskanzlerin Angela Merkel, assistiert von Verteidigungsminister Franz-Josef Jung, für eine Kombination aus politischen, wirtschaftlichen und militärischen Mitteln stark macht. An der deutschen Bereitschaft, auf allen Gebieten Beiträge zu leisten, ließ sie keinen Zweifel.

Aber wie bereits erwähnt, war die NATO nicht das alleinige Thema der Konferenz. Eine Vielzahl von Spannungsfeldern wurde angesprochen. Dazu lud bereits die einführende Rede der deutschen Kanzlerin ein. Sie sprach nahezu alle internationalen Fragen an, wobei die Lage im Nahen Osten einen Schwerpunkt bildete. Nachdrücklich wurde Iran auf Konsequenzen aufmerksam gemacht, falls es weiterhin keine Bereitschaft zu Kompromissen zeigen sollte. Auffällig war die kritische Sicht auf das chinesische Vorgehen in Afrika. Zum eigentlichen Höhepunkt der Münchner Konferenz wurde jedoch das Auftreten des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Im Vorfeld gab es viele, die von seiner Rede definitive Zusicherungen für einen ungestörten Zufluss von Öl und Gas nach Westeuropa erwarteten. Das sah Putin anders. Zwar streifte er das Thema, machte aber keine Abstriche am bisherigen Standpunkt – dass Moskau keine einseitigen Verpflichtungen eingehen werde, ansonsten aber eingegangene Vereinbarungen einhalten werde.

Wladimir Putins Auftreten in München verfolgte einen ganz anderen Zweck. Für viele überraschend, nahm der russische Präsident eine Analyse der internationalen Sicherheitssituation vor, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließ. Unverblümt kritisierte er eine Reihe bedenklicher Entwicklungen in der Politik der USA und der NATO. So beschuldigte er Washington, eine Politik der ungezügelten Anwendung von Gewalt zu betreiben, die alle Regeln des Völkerrechts breche. Er bedauerte die Stagnation auf dem Gebiet der Abrüstung, warnte vor der Gefahr einer neuen Runde des Wettrüstens. Insbesondere sprach Putin die US-amerikanischen Pläne zur Militarisierung des Weltraums und die damit verbundene Absicht an, in Polen und Tschechien eigene Radarstationen zu installieren. Gleichzeitig wandte er sich gegen die fortgesetzte Ausdehnung der NATO in die Nähe russischer Grenzen. In diesem Zusammenhang kritisierte Putin auch die Tatsache, dass die NATO-Staaten sich unter Vorwänden weigern, den revidierten Vertrag über die Begrenzung der konventionellen Streitkräfte in Europa (KSE) zu ratifizieren. Er nahm gleichfalls die Verwerfungen der OSZE aufs Korn, die immer stärker zu einem einseitigen Instrument der Einmischung in innere Angelegenheiten von Teilnehmerstaaten geworden sei.

Auf die Frage der Zukunft Kosovos angesprochen, sagte Wladimir Putin, Russland würde lediglich einer Regelung zustimmen, die von allen Seiten, das heißt auch von Serbien, akzeptiert werden kann. Interessant ist dabei, dass neben der deutschen Kanzlerin auch andere Staatenvertreter ein behutsames Vorgehen bei der Lösung des Kosovo-Konfliktes anmahnten. De Hoop Scheffer stellte in Aussicht, dass die KFOR mindestens bis zum Jahr 2009 in der Region verbleiben werde.

Alles in allem: Die Rede des russischen Präsidenten wirkte für viele der Anwesenden wie eine kalte Dusche. Der NATO-Generalsekretär sprach von einer großen Enttäuschung. Kolportiert wurde das Wort vom Neubeginn des Kalten Krieges. Davon hob sich die Rede des US-amerikanischen Verteidigungsministers Robert Gates wohltuend ab. Er nutzte sein Auftreten, um unter anderem darüber zu informieren, dass er eine Einladung von Präsident Putin und Verteidigungsminister Sergej Iwanow zu einem Besuch Moskaus angenommen habe. Neben den zahlreichen Rednern, die zu allgemeinen Sicherheitsproblemen, aber auch zu lokalen Konflikten sprachen (Iran war eine besondere Diskussionsrunde gewidmet), erregte das Auftreten des ukrainischen Präsidenten Viktor Juschtschenko besondere Aufmerksamkeit. Fast flehentlich appellierte er an die Staaten der NATO und der EU, der Ukraine doch endlich eine Perspektive in den beiden Gruppierungen zu geben. Klare Antworten blieben aus.

* Aus: Neues Deutschland, 12. Februar 2007


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