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"Polizei nahm Sambagruppe in Gewahrsam"

Proteste gegen Gelöbnis in Stuttgart friedlich. Beamte räumen Blockade gewaltsam. Ein Gespräch mit Thomas Trueten

Thomas Trueten ist Sprecher des Stuttgarter »Bündnisses für Versammlungsfreiheit« und war Demobeobachter bei den Protesten gegen ein öffentliches Gelöbnis der Bundeswehr am Freitag (30. Juli) in Stuttgart

Unter dem Motto »Kein Werben fürs Sterben« haben rund 1000 Kriegsgegner am Freitag (30. Juli) gegen das Bundeswehr-Gelöbnis in Stuttgart protestiert. Ist es den Demonstranten gelungen, die Vereidigung der Soldaten zu stören?

Aus meiner Sicht schon. Ich war etwa hundert Meter entfernt vom Gelöbnis. Von dort aus konnte ich beobachten, daß sich die zugelassenen Besucher sehr anstrengen mußten, um den gehaltenen Reden - unter anderem der des Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg Stefan Mappus (CDU) - folgen zu können. Unter den Besuchern waren Reservistenverbände und rechte Burschenschaftler. Das Trommeln der Sambatruppe und das Dröhnen der Vuvuzelatröter war ohrenbetäubend. Als störungsfrei kann das Gelöbnis nicht bezeichnet werden. Die Polizei hat die Sambagruppe später wegen Lärmbelästigung in Gewahrsam genommen, ihre Instrumente beschlagnahmt und teilweise beschädigt. Beim Abzug der Rekruten wurden »Mörder«-Rufe laut. Die Beamten haben das untersagt, mit dem Hinweis auf »die Würde der Soldaten«. Demonstranten wurden von der Polizei und der Bundeswehr gefilmt; letzteres kommt einem verbotenen Einsatz von Militär im Inneren gleich.

Die Beteiligung an den Blockaden war jedoch insgesamt nicht so groß wie wir es uns gewünscht hätten, weil das Gelöbnis an einem Werktag morgens um acht Uhr stattfand.

In welchem Zusammenhang hat die Polizei Protestierer verhaftet?

Die meisten Festnahmen gab es vor der Kirche St. Eberhard, wo der Gelöbnisgottesdienst mit den Rekruten und ihren Angehörigen stattfand. Davor gab es eine Spontandemo mit etwa 200 Teilnehmern, die von der Polizei in zwei Gruppen getrennt wurde. Die eine wurde abgedrängt und eingekesselt, die andere Gruppe von etwa 60 Aktivisten hatte vor der Kirche eine friedliche Sitzblockade begonnen. Die meisten der etwa 77 Festnahmen fanden dort statt, kurz bevor der Gottesdienst begann. Die Polizei hat den Platz unfriedlich geräumt. Sie hat Leute mit umgedrehten Handgelenken oder Kopf im Schwitzkasten abtransportiert und auf verschiedenen Polizeiwachen bis abends um 18.30 Uhr festgehalten.

Bereits im Vorfeld des Gelöbnisses gab es Auseinandersetzungen um den Militärgottesdienst?

Aktivisten hatten die Kirche am Sonntag vor einer Woche besetzt. Im Anschluß an einen Gottesdienst hatten sie sich und ihr Anliegen vorgestellt, wobei sie sich auf das Gebot »Du sollst nicht töten« bezogen. Sie forderten dazu auf, die Kirche für den Gelöbnis-Gottesdienst nicht zur Verfügung zu stellen - und wollten die Kirche bis zum Freitag nicht mehr verlassen. Der verantwortliche Dompfarrer und Stadtdekan Michael Brock hatte aber die Polizei gerufen, die am selben Tag räumte. Das wurde von vielen kritisiert und hat auch in Kirchenkreisen zu Debatten geführt. Denn auch dort gibt es Pazifisten, die es nicht in Ordnung finden, eine Kirche der Bundeswehr zur Verfügung zu stellen - beispielsweise die katholische Friedensbewegung Pax Christi.

Wie hat sich der Widerstand gegen die Bundeswehr-Gelöbnisse in Stuttgart historisch entwickelt, und wie ist er organisiert?

Die Tradition öffentlicher Gelöbnisse stammt aus der Zeit des Faschismus. In den vergangenen 30 Jahren hat die Bundeswehr in Stuttgart dreimal Gelöbnisse in der Öffentlichkeit abgehalten: 1980, 1999 und jetzt. Die Proteste Anfang der 80er Jahre waren von militanten Auseinandersetzungen begleitet, die nachfolgenden waren friedlich. Im März 1999, als das damalige Gelöbnis bekannt wurde, hat sich das Bündnis »Gelöbnix« gegründet. Es beschränkte sich auf legale Protestformen, um so beispielsweise Organisationen wie dem DGB die Teilnahme zu ermöglichen, ohne dabei in Schwierigkeiten zu geraten. Seit diesem Jahr gibt es zusätzlich ein Blockadebündnis, das den Anspruch hatte, das Gelöbnis zu verhindern. Mit der Begründung, es handele sich um eine Straftat, untersagte diesmal die Polizei Transparente, auf denen die Forderung »Gelöbnis verhindern« stand.

Festzuhalten ist, daß sich die positive Wirkung solcher Gelöbnisse auf die Bevölkerung in Grenzen hält: Passanten waren genervt, weil praktisch die ganze Stadt gesperrt war, Ladenbesitzer mußten ihre Geschäfte schließen.

Interview: Gitta Düperthal

* Aus: junge Welt, 2. August 2010

Kein Werben fürs Sterben!

Grußwort von Konstantin Wecker zum Gelöbnix, 30. Juli 2010, Stuttgart

Die Mitte Stuttgarts, unweit des Denkmals für die Opfer von Krieg und Faschismus, soll für militärische Selbstdarstellung missbraucht werden. Die Bundeswehr plant dort für den 30. Juli ein öffentliches SoldatInnengelöbnis. Dies ist ein weiterer Schritt zur Militarisierung öffentlicher Räume. Aber wir wollen kein Militärspektakel in Stuttgart und auch in keiner anderen Stadt! Diese öffentlichen Gelöbnisse dienen nur einem Zweck: Sie sollen den Krieg in die Öffentlichkeit tragen und das Militärische wieder ins Bewusstsein der Menschen bringen.

Niemand verteidigt am Hindukusch unsere Freiheit, stattdessen beteiligt sich die Bundeswehr an einem mörderischen Krieg, der die Probleme dieser Region nur vergrößert und tausende Opfer kostet. Kriege werden doch alle aus wirtschaftlichen Interessen geführt. In den neuen Richtlinien der Bundeswehr wird die militärische Absicherung von Ressourcen, Rohstoffen und wirtschaftlichen Interessen ganz offen propagiert.

Im Klartext müsste die Gelöbnisformel deshalb heissen:
"Ich gelobe den Interessen der Rüstungsindustrie treu zu dienen, das Recht der Besitzenden und die grenzenlose Freiheit des globalen Kapitalismus tapfer zu verteidigen und der Profitgier von Banken und Konzernen notfalls mein Leben zu opfern."

Noch besser wäre allerdings mein Wunsch:
Es würden sich statt der Soldaten zehntausend Menschen am 30. Juli auf den Schloßplatz stellen: Nicht uniformiert, sondern in bunten, zivilen Kleidern und sie würden sagen: "Wir geloben, alles dafür zu tun, dass nie wieder Kriege geführt werden, dass nie wieder von Armeen Menschen getötet werden und dass nie wieder Soldaten zu Mördern werden müssen und dass nicht mehr täglich 80 000 Kinder an Hunger sterben." Das wären die Gelöbnisse, die ich gerne unterstützen würde auf dem Schloßplatz, dem Marienplatz, vor dem Bundestag und wo auch immer.

Ich solidarisiere mich mit eurem Protest heute in Stuttgart!

Euer Konstantin Wecker
München, 27. Juli 2010




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