Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Umstrittene Nachwuchsgewinnung - Streit um den Einsatz von Wehrdienstberatern an Schulen

Ein Beitrag von Djamila Benkhelouf aus der NDR-Sendung "Streitkräfte und Strategien" *


Andreas Flocken (Moderation):

Wehrpflicht ade. In dieser Woche hat der Bundestag das sogenannte Wehrrechtsänderungsgesetz verabschiedet. Von Juli an setzt die Bundeswehr nur noch auf Freiwillige. Für den neuen Verteidigungsminister ist dieser historische Schritt notwendig und nicht mehr in Frage zu stellen. Aber auch bei Thomas de Maizière bleibt nach Aussetzung der Wehrpflicht eines ungewiss:

O-Ton de Maizière
„Niemand kann Ihnen heute mit Sicherheit sagen, wie viele Freiwillige am 1. Juli zu uns kommen werden... Ich freue mich über Jede und ich freue mich über Jeden, der kommt.“

Das Problem: Bisher hat die Bundeswehr ihre Freiwilligen vor allem aus den Wehrpflichtigen rekrutiert. Rund 40 Prozent. Damit ist es nun aber vorbei. Denn es werden keine Wehrpflichtigen mehr einberufen. Um den Bedarf zu decken, setzt de Maizière nun auch stärker auf junge Frauen. Der Appell des Verteidigungsministers im Bundestag:

O-Ton de Maizière
„Bisher haben wir uns gekümmert und geworben um junge Frauen für länger dienende Zeitsoldaten. Nicht im Grundwehrdienst. Das wird sich jetzt ändern. Und es wird nicht nur im Interesse der Demographie und nicht nur im Sinne eines Ergänzungsbedarfs [geschehen]. Sondern es ist im Sinne der Streitkräfte, dass wir mit dieser tollen Generation junger Frauen so umgehen, dass wir sie so werben, dass wir viele davon für die Streitkräfte gewinnen. Und ich würde mich freuen, wenn sie da alle mithelfen.“

Um künftig die erhofften Freiwilligen zu bekommen, muss die Bundeswehr also kräftig die Werbetrommel rühren. Wehrdienstberater treten dabei auch in Schulen auf. Das stößt aber nicht überall auf Zustimmung. Djamila Benkhelouf weiß mehr:

Manuskript Djamila Benkhelouf

In Schulen geht die Bundewehr schon seit Jahren ein und aus. Immer wieder besuchen Jugendoffiziere Schulklassen - in allen Bundesländern. Sie sollen über die Sicherheitspolitik und die Rolle der Streitkräfte informieren. In einigen Ländern gibt es dazu sogar Kooperationsvereinbarungen mit der Bundeswehr. In Schleswig-Holstein hat es um das Thema Bundeswehr in Schulen einen heftigen Streit gegeben. Die Grünen sind zwar nicht grundsätzlich gegen den Besuch von Bundeswehrangehörigen, sie befürchten aber eine schleichende Rekrutierung im Klassenzimmer. Deshalb müsse jederzeit sichergestellt sein, dass die Veranstaltungen ausgewogen seien, sagte Anke Erdmann, bildungspolitische Sprecherin der Grünen. Ihrer Ansicht nach ist die Linie zwischen gezielter Nachwuchswerbung und reiner Informationsvermittlung aus dem Bereich der Sicherheitspolitik zu schmal. Die Kieler Landesregierung sieht das anders. Eine Kooperationsvereinbarung mit der Bundeswehr wird allerdings trotzdem nicht angestrebt. Das FDP-geführte Bildungsministerium teilte auf Anfrage der Grünen-Fraktion im Kieler Landtag mit:

Zitat
„Es ist entschieden worden, dass Schleswig-Holstein keine Kooperationsvereinbarungen mit dem Bundesverteidigungsministerium abschließt. Eine Notwendigkeit wird nicht gesehen, weil die Kooperation auf der Arbeitsebene zuverlässig, effektiv und problemlos funktioniert.“

In vielen anderen Bundesländern gibt es solche Kooperationsvereinbarungen: Darunter in Bayern, Nordrhein-Westfalen, Hessen, im Saarland, Rheinland- Pfalz und in Mecklenburg-Vorpommern. Die Lehrer-Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft GEW lehnt diese Vereinbarungen ab. Auf ihrer Internetseite macht sie ihren Standpunkt deutlich. Dort heißt es unter anderem:

Zitat
„Die GEW wendet sich entschieden gegen den zunehmenden Einfluss der Bundeswehr auf die inhaltliche Gestaltung des Unterrichts und der Lehreraus- und -fortbildung, wie sie in den Kooperationsabkommen zwischen Kultusministerien und Bundeswehr deutlich werden.“

Und weiter:

Zitat
„Die politische Bildung – auch in Fragen der Sicherheitspolitik – gehört in die Hand der dafür ausgebildeten pädagogischen Fachleute und nicht in die von Jugendoffizieren. Die GEW fordert die Landesregierungen auf, entsprechende Passagen in den Kooperationsabkommen zu kündigen.“

Die Kritik der Gewerkschaft ist auch deshalb so deutlich, weil Veranstaltungen mit Jugendoffizieren für Schüler zur Unterrichtspflicht gehören. Anders sieht es beim Besuch des Wehrdienstberaters aus. Die Teilnahme an diesen Veranstaltungen ist freiwillig. Hingehen kann, wer sich dafür interessiert. Aber auch die Wehrdienstberater in den Klassenzimmern werden von der GEW und den Grünen kritisch gesehen.

Nach Aussetzen der Wehrpflicht braucht die Bundeswehr jährlich etwa 12.000 junge Männer und Frauen, die sich für 12 bis 23 Monate verpflichten. Das Interesse an diesem freiwilligen Kurzwehrdienst ist aber eher gering. In diesem Monat meldeten sich knapp 400 junge Leute. Für April rechnen Experten mit ähnlichen Zahlen.

Die Truppe macht verstärkt Werbung. Die Frage ist nur, wie?!

Beispiel Gesamtschule in Prerow – Mecklenburg-Vorpommern: Einmal im Jahr kommt der Wehrdienstberater in die Schule. Diesmal ist es Oberleutnant zur See Henry Gebhardt von der Wehrdienstberatung Rostock. Mehr als 20 Schüler, darunter auch einige Mädchen, sitzen nachmittags freiwillig in der Klasse, um sich über das Berufsbild Soldat informieren zu lassen.

O-Ton Gebhardt
„Wer bin ich? Mein Name ist Henry Günther Gebhardt. Das Günther habe ich ein bisschen kleiner gelassen, weil, na gut, für den zweiten Namen kann ich nichts. Mein Vater heißt mit Vornamen Günther. Meine Aufgabe ist es halt, jetzt in die Schulen zu fahren, um junge Leute für die Bundeswehr zu begeistern, die Bundeswehr vorzustellen, und halt dementsprechend für die Bundeswehr zu werben. Die Bundeswehr ist ein ganz normaler Arbeitgeber, wie jeder andere auch, so sehe ich das. So als wenn ich bei BMW oder bei Mercedes oder auf einer Werft irgendwo anfange zu arbeiten.“

Die Schüler hören sich den 90-minütigen Vortrag geduldig an. Gebhardt stellt die Vorzüge der Bundeswehr geschickt heraus: Kostenloses Studium plus Gehalt, Berufsausbildung, Teamarbeit und viel Sport. So mancher Schüler bekommt da Lust, sich bei der Truppe zu verpflichten:

O-Ton Schüler
„Das ist erst mal eine gesicherte Zukunft. Wenn ich Abitur mache, soll das ja auch einen Sinn haben. Also ich werde später auch schon aufs Gehalt gucken. Das soll ja auch irgendwie stimmen. Und durch dieses Studium passt das auch alles gut. Studieren ist ja auch nicht schlecht. Ist alles eine ganz gute Sache.“

Auch für Mädchen ist die Bundeswehr nicht uninteressant, allerdings schrecken Auslandseinsätze doch etwas ab:

O-Ton Schülerin
„Ich würde es jetzt schon komisch finden, in ein anderes Land zu fahren, und zu wissen, man könnte jetzt irgendwie bedroht werden, oder müsste Leute erschießen. In manchen Situationen wäre es sehr beängstigend, und in manchen wäre es halt so ok.“

Apropos Auslandseinsätze. Das Thema kommt im Vortrag vor, da heißt es, wenn man sich verpflichte, zeige man damit auch seine Bereitschaft für einen Auslandseinsatz. Was das allerdings bedeuten kann, - schwere Verletzung, Trauma oder gar Tod – davon spricht der Wehrdienstberater nicht. Die Worte Krieg oder kriegerische Auseinandersetzung fallen nicht ein einziges Mal in dem Vortrag. Nachfrage beim Wehrdienstberater Gebhardt:

O-Ton Gebhardt
„Also, laut Definition sind wir nicht in einem Kriegseinsatz. Sondern eher in einem Auslandseinsatz. Und letztendlich möchte ich dann halt dieses Wort auch nicht verwenden. Also die Prämisse bei der Wehrdienstberatung allgemein, auch in meinem Job, ist ja, wirklich objektiv und auch deutlich aufzuklären über die Bundeswehr und unter anderem auch über die Auslandseinsätze. Und da muss auf jeden Fall Afghanistan mit fallen. Auch der Dienst an der Waffe, die Mobilität, die Bereitschaft für die Auslandseinsätze. Das sind die Kernpunkte, die in jedem Vortrag, und auch in jeder Wehrdienstberatung, rüber kommen müssen, weil jeder, der sich dafür entscheidet, sich auch selbst [damit] konfrontieren muss, und sich halt sagen muss: Ja, wenn ich das eine will, muss ich das andere mögen.“

Einige der Schüler sind gerade einmal 15 Jahre alt. Ob sie die Gefahr des Soldatenberufes auch wirklich realistisch einschätzen können, bleibt offen. Andere Teilnehmer in Prerow haben bereits konkrete Vorstellungen. Nach einem kurzen Gespräch mit Wehrdienstberater Gebhardt will dieser junge Mann nun ein Praktikum bei der Truppe machen:

O-Ton Schüler
„Ich habe auch schon konkrete Vorstellungen. Und zwar möchte ich gerne, sofern es möglich ist, zur Kampfschwimmereinheit in Eckernförde. Ja [gut ist] auch Teamplay und so was, halt Teil einer Einheit zu sein.“

Distanzierter dagegen ist ein 19-Jähriger. Seine doch eher pazifistische Einstellung sieht man dem jungen Mann an. Seine kurzen braunen Rastalocken werden von einem braungrünen Tuch zusammen gehalten. Bundeswehr komme für ihn niemals in Frage, sagt er. Trotzdem habe er teilgenommen, aus strategischen Gründen – man müsse den Feind halt gut kennen, um ihm argumentativ zu begegnen:

O-Ton Schüler
„Ja ich fand den Vortrag gut, und gut aufgebaut. Ich hatte nicht die Absicht mich hier überreden zu lassen. Es ist für mich nur mal interessant gewesen, also informationstechnisch zu gucken. Also man kann nicht sagen, ich verurteile das jetzt. Aber ich habe davon keine Ahnung. Das steckt eigentlich dahinter.“

Geschichtslehrer Ingo Koch hat den Vortrag des Wehrdienstberaters kritisch verfolgt. Was bleibt, seien gemischte Gefühle, sagt Koch:

O-Ton Koch
„Weil das junge Leute sind, die noch wenig politische Erfahrung haben, die wenig gesellschaftliche und historische Erfahrung haben. Für die ist natürlich dieser Auslandseinsatz vielleicht auf der einen Seite ein großes Abenteuer. Sie machen sich darüber zu wenig Gedanken. Und wir wissen ja aus der Geschichte, dass der Enthusiasmus, der Glaube junger Leute immer wieder missbraucht wird. Und so habe ich natürlich auch bei solchen Gesprächen im Ganzen natürlich Bauchschmerzen.“

Trotzdem seien solche Veranstaltungen wichtig, sagt Koch. Jugendoffiziere oder Wehrdienstberater aus Schulen zu verbannen, davon hält er nicht viel. Wichtig sei ihm, eine gute Aufklärung und eine klare Haltung der Lehrer:

O-Ton Koch
„Ich sehe das natürlich auf der anderen Seite auch als eine politische Veranstaltung. Sie werden ja in unserem Geschichtsunterricht und unserer politischen Bildung gerade auch auf diese Missbrauchsaspekte in der Geschichte immer wieder hingewiesen. Vor allen Dingen, weil man auch weiß, wie in der Vergangenheit Lehrer missbraucht wurden. Versucht wurde, sie gerade für den Dienst an der Waffe zu gewinnen. Das ist nicht nur in der Nazi-Zeit so gewesen. Das ist unter Kaisers-Zeiten so gewesen. Und das ist auch in der DDR so gewesen. Ich kann mich auch selber noch an Gespräche mit meinen Lehrern erinnern, die – wenn es auch nur einige wenige waren - versucht haben, uns vom Dienst an der Waffe im Sinne eines länger Dienens in der damaligen NVA zu überzeugen. Und das trägt man natürlich ein Leben lang mit sich. Und da sage ich: das mache ich nicht mit. In dem Sinne werde ich also nie so eine Überzeugungsarbeit leisten. Aber die Schüler sollen es sich anhören. Sie sollen selber entscheiden. Ich denke, wir sind dabei, mündige Bürger zu erziehen, die selber nachdenken können. Und so ist der Geschichtsunterricht nicht ganz abstrakt.“

Wer dann nach einem solchen Vortrag mehr über die Bundeswehr wissen will, der informiert sich in der Wehrdienstberatung weiter. Die sitzen in den Kreiswehrsatzämtern, dort wo auch bis vor kurzem noch die Musterung stattfand. Jetzt verstehen sich die Kreiswehrsatzämter als Dienstleister, als Werber in eigener Sache.

Ortswechsel: Im schleswig-holsteinischen Husum steht Wehrdienstberater Oberleutnant zur See Sascha Schwede wieder einmal vor einer Berufsschulklasse. Die Jungs vor ihm seien sehr gute Kandidaten für die Bundeswehr, die meisten machen gerade einen Abschluss in Elektrotechnik – sie könnten beim Bund also die Feldwebel-Laufbahn einschlagen. Seinen Einsatz in Schulen sieht Oberleutnant Schwede überaus positiv – er liebt seinen Job. Mit viel Humor und Einsatz macht der Wehrdienstberater den inhaltlich doch eher trockenen Vortrag interessant. Er ist ein Kumpeltyp. Die Schüler merken das, die Stimmung ist locker, die Schüler fragen nach. Die Kritik, die Bundeswehr habe in Schulen nichts zu suchen, kennt Oberleutnant Schwede nur zu gut. Seine Antwort kommt daher schnell und routiniert:

O-Ton Schwede
„Das, was ich hier im Schulvortrag mache: Ich spreche über die Herausforderungen. Und die habe ich ja am Anfang des Schulvortrages sehr deutlich herausgestellt. Ich habe eben gesagt, worauf es uns ankommt, und was wir von den zukünftigen Soldaten verlangen. Und ich hatte ja auch gesagt, dass es ein Geben und Nehmen sei. Das ist die erste Information. Mit dieser Erstinformation kommen die Leute in die Beratung. Sie gehen auf unsere Internetseiten, erkundigen sich dort. Und immer wieder werden sie darauf stoßen, dass wir an Auslandseinsätzen teilnehmen. Also der Jugendoffizier hat ein ganz klares Aufgabenfeld. Und auch der Wehrdienstberater hat ein ganz klares Aufgabenfeld. Der Jugendoffizier, berichtet über sicherheitspolitische Themen, macht sicherheitspolitische Unterrichte und berichtet über die Bundeswehr mit ihren Aufgaben usw. Meine Aufgabe ist es, im Bereich der Nachwuchsgewinnung junge Leute über Möglichkeiten bei der Bundeswehr zu informieren. Der Bereich vermischt sich natürlich ein bisschen, weil ich natürlich auch über die Herausforderungen sprechen muss. Ich muss genauso und will natürlich auch über Auslandseinsätze sprechen, über den Dienst an der Waffe, was das Hauptthema des Jungendoffiziers ist. Das gehört aber bei mir mit dazu. Die Kritiker sagen ja meistens, dass die Arbeit des Jugendoffiziers nicht vermischt werden darf mit dem Wehrdienstberater, dass er also nicht aktiv werben darf, oder Leute aktiv für die Streitkräfte gewinnen darf. Bei mir ist das ein bisschen anders. Ich muss eben auch politische Hintergründe bringen. Und dass ich jetzt auch über Auslandseinsatz gesprochen habe, gehört dazu.“

Nach Ansicht von Wehrdienstberater Schwede muss sich der Bund über den Nachwuchs nicht allzu große Sorgen machen. Der freiwillige Wehrdienst müsse nur bekannter werden, dann kämen die jungen Männer und Frauen schon von allein.

Nicht ganz so zuversichtlich ist der Bundeswehrverband. Die Truppe müsse attraktiver werden. Dafür werde mehr Geld benötigt – sonst könnte es wirklich eng werden. Und die Bundeswehr sollte jungen Menschen ehrlicher gegenüber treten – dazu gehöre auch, über die unangenehmen Seiten eines Auslandseinsatzes zu sprechen. Dieser Punkt richtet sich vor allem an die Wehrdienstberater.

* Aus: NDR Info: Das Forum "Streitkräfte und Strategien", 26. März 2011


Zurück zur Seite "Schule und Bundeswehr"

Zur Bundeswehr-Seite

Zurück zur Homepage