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"Patrioten" zunehmend isoliert

Erneuter Teilnahmerekord bei Pegida-Protest in Dresden. Doch in allen anderen Städten dominieren die Gegner der Islamkritiker. In Düsseldorf verprügelt die Polizei Antifaschisten

Von Markus Bernhardt *

Die Bundesregierung begrüßt die Demonstrationen für Toleranz und Menschlichkeit als »wichtiges Signal« gegen das rassistische Netzwerk »Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes« (Pegida) . »Bevölkerungsgruppen wegen ihres Glaubens oder ihrer Herkunft auszugrenzen, das ist unseres freiheitlichen Staates nicht würdig«, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel am Dienstag. Fremdenhass, Rassismus, Extremismus hätten hier keinen Platz. Am Montag abend standen sich in mehreren bundesdeutschen Städten insgesamt Zehntausende Anhänger und Gegner von Pegida gegenüber. In Dresden gelang es den westlichen Kulturkämpfern erneut, einen Teilnehmerrekord aufzustellen. Rund 25.000 Personen sollen dort laut Polizeiangaben an den Pegida-Protesten teilgenommen haben. Etwa 8.000 Dresdner demonstrierten gegen rassistische Stimmungsmache, für Solidarität mit Flüchtlingen und ein weltoffenes Sachsen. Für besondere Empörung sorgte bei den antifaschistischen Protesten, dass Teilnehmer des rechten Aufmarsches mit Trauerflor gekommen waren und so die Opfer des Anschlags auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo in Paris für ihre antimuslimische Stimmungsmache missbraucht hatten.

An einem zeitgleich zu den Protesten in Dresden durchgeführten Zug à la Pegida in Leipzig nahmen etwa 4.000 Reaktionäre teil. Mehr als 30.000 Gegendemonstranten gaben ihnen Kontra. Weitere Proteste fanden in München statt, wo mehr als 20.000 Demonstranten gegen die antimuslimische Hetze von etwa 1.500 Personen auf die Straße gingen. In Berlin zeichnete sich ein ähnliches Bild ab. Mit etwa 4.000 Teilnehmern protestierten zehnmal mehr Menschen gegen die rechte Kundgebung, als an dieser teilnahmen. Auch in der saarländischen Landeshauptstadt Saarbrücken waren die Mehrheitsverhältnisse klar, versammelten sich doch dort 9.000 Menschen, um gegen etwa 300 Pegida-Anhänger mobil zu machen.

Während es in Leipzig zu kleineren Scharmützeln zwischen den Rechten und der eingesetzten Polizei kam, ging die Polizei im Düsseldorfer Hauptbahnhof mit Schlagstöcken gegen Antifaschisten vor, die dort gegen einen Aufmarsch des Pegida-Ablegers Dügida (»Düsseldorf gegen die Islamisierung des Abendlandes«) protestierten. »Allein aufgrund des Schutzes durch die eingesetzte Polizei ist es den Rassisten und Neonazis von Dügida überhaupt gelungen, in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt aufzumarschieren«, kommentierte die Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen, migrationspolitische Sprecherin der Linksfraktion, am Dienstag die Vorfälle. »Die politische Verantwortung für den zeitweise aus dem Ruder gelaufenen Polizeieinsatz« trage Düsseldorfs Polizeipräsident Norbert Wesseler, stellte die aus Bochum kommende Linke-Parlamentarierin außerdem klar. »Herr Wesseler hat bereits als Polizeipräsident in der rechten Hochburg Dortmund eindrucksvoll bewiesen, dass er entweder nicht in der Lage oder aber nicht willens ist, entschlossen gegen das Treiben von Neonazis vorzugehen«, kritisierte Dagdelen weiter.

Insgesamt 7.000 Menschen hatten sich frühzeitig in der Nähe des Düsseldorfer Bahnhofs versammelt, um gegen einen Aufzug von 350 Rechten zu protestieren, die unter anderem Parolen wie »Lügenpresse – auf die Fresse!« skandierten. Zu dem maßgeblich von Melanie Dittmer organisierten Aufmarsch waren mehrheitlich Neonazis angereist, darunter Funktionäre und Anhänger der Partei »Die Rechte«. Dies verwundert kaum. Schließlich galt Dittmer, die heutzutage auch für das rechtspopulistische Magazin Compact schreibt, in den 1990er Jahren als eine der Führungsfiguren der nordrhein-westfälischen Neonaziszene. Sie kündigte bereits an, von nun an wöchentlich mit ihren Gesinnungsgenossen in Düsseldorf aufmarschieren zu wollen.

Zunehmend kristallisieren sich die lokalen Unterschiede zwischen den Aufmärschen in Ost und West heraus. Während im Westen der Republik in der Mehrheit bekannte Neonazis, Rassisten und rechte Splittergruppen an den Pegida-Aufmärschen teilnehmen, ist in Dresden oder Leipzig durchaus auch »Otto Normalbürger« zugegen. Die inhaltliche Ausrichtung der Aufmärsche unterscheidet sich ebenfalls von Ort zu Ort. So geht die Mehrheit der Menschen im Osten keineswegs nur gegen eine von ihr ausgemachte »Islamisierung« der Bundesrepublik auf die Straße. Vielmehr dominiert dort eine diffuse, aber nicht konkreter artikulierte Wut auf »die da oben«, welche auf eine zunehmende Entfremdung der Bevölkerung von der etablierten Politik und dem vorherrschenden politischen System hindeutet. In den Altbundesländern versuchen hingegen vielerorts die zuvor mit ihrem oftmals martialischen Auftreten gescheiterten Neonazis, die Mobilisierungserfolge von Dresden zu kopieren. Um der Anschlussfähigkeit an rassistische Kreise der sogenannten politischen Mitte willen schieben sie sogar eine Verteidigung des »christlich-jüdischen Abendlandes« als Grund dafür vor, auf die Straße zu gehen.

Doch nicht nur die Gruppe der Pegida-Anhänger ist unterschiedlich zusammengesetzt. Auch das Lager der Gegendemonstranten ist kein einheitlicher Block. Stehen doch dort linke Aktivisten, Antirassisten und Kapitalismusgegner neben denjenigen Kräften aus Politik und Gesellschaft, die für soziale Missstände und den menschenunwürdigen Umgang etwa mit Flüchtlingen Verantwortung tragen. Letztere wollen sich aber nun als Teil der »Guten« inszenieren, die gegen die rechten Wutbürger aufstehen.

Reaktion: Weltweites Presseecho

Berichterstatter aus aller Welt behalten die Dresdner Pegida-Demonstranten im Blick, doch das internationale Presseecho erwähnt auch die wachsende Zahl der Gegendemonstranten sowie den anhaltenden Gegenwind aus der Politik. Viele Kommentatoren erkennen Zusammenhänge zu den Terroranschlägen von Paris – aber gerade in den französischen Blättern spielen die deutschen Demonstrationen kaum eine Rolle. In einer Randnotiz von Le Figaro heißt es lediglich: »Die Pegida-Bewegung will die Attentate gegen Charlie Hebdo nutzen, um ihren Kampf gegen den fundamentalistischen Islam zu rechtfertigen – und gleichzeitig den gegen Einwanderung. (...) Dieser Vereinnahmungsversuch schockiert Deutschland, wo gestern rund 100.000 Menschen gegen Intoleranz auf die Straße gingen.«

Die Tageszeitung USA Today schreibt über den wachsenden Zulauf zu Pegida: »Was Ende vergangenen Jahres als kleiner Protest in der ostdeutschen Stadt Dresden begann, hat (...) Zehntausende Anhänger gewonnen, die montags an öffentlichen Demonstrationen teilnehmen.« Doch das Blatt lässt auch nicht unerwähnt, dass die antiislamischen Proteste in den meisten Städten auf noch größere Gegendemos getroffen sind. Die New York Times berichtet von einer »öffentlichen Auseinandersetzung über Einwanderung und Integration«.

Der italienische Corriere della Sera hebt hervor, dass sich Bundeskanzlerin Angela Merkel den fremdenfeindlichen Protesten entgegenstelle: »Es herrscht eine totale Verständnislosigkeit zwischen der deutschen Kanzlerin und den Pegida-Demonstranten. Langfristig könnte der Unterschied zu einem richtigen Problem werden. Doch Angela Merkel ist fest entschlossen, ein gutes Zusammenleben mit Muslimen in Deutschland und Europa zu unterstützen.« In Spanien würdigen die Zeitungen die Gegendemonstranten, doch El País registriert auch, dass der Terror von Paris den deutschen Islamfeinden Auftrieb gebe. Und die Zeitung El Mundo spottet: »Dieselben Demonstranten, die vor einer Woche die Journalisten als Lügner beschimpft hatten, demonstrieren nun in Dresden für die Pressefreiheit. Und diejenigen, die für eine ›Regermanisierung‹ der deutschen Gesellschaft plädiert hatten, proklamieren jetzt auf Französisch mit sächsischem Akzent: ›Je suis Charlie‹.« (dpa/jW)



* Aus: junge Welt, Mittwoch, 14. Januar 2015


So denken sie wirklich

Pegida-Führer toben Ausländerhass im Internet aus. Bei ihren Anhängern schadet es ihnen offenbar nicht

Von Knut Mellenthin **


Der Verein Pegida hat in seinem Gründungsort Dresden beim zwölften Aufmarsch am Montag abend in Sachen Demonstrantenzahlen noch einmal kräftig zugelegt. 25.000 Menschen beteiligten sich nach Polizeiangaben. Die Veranstalter behaupten gar, dass es 40.000 gewesen seien. Eine Woche zuvor waren 18.000 Menschen, darunter viele Angereiste aus dem ganzen Bundesgebiet, den Parolen gegen die »Islamisierung« gefolgt.

Der Spiegel macht in seiner aktuellen Ausgabe auf aggressiv ausländer- und muslimfeindliche Internetbeiträge von zwei Mitgliedern des zehnköpfigen »Organisationsteams« aufmerksam, das seit Oktober vergangenen Jahres die Dresdner Aufmärsche leitet. Thomas Tallacker, damals noch CDU-Vertreter im Stadtrat von Meißen, schrieb zum Beispiel im Sommer 2013 auf Facebook: »Was wollen wir mit dem zu 90 % ungebildeten Pack, was hier nur Hartz 4 kassiert und unseren Sozialstaat ausblutet«. Siegfried Däbritz, ehemaliges FDP-Vorstandsmitglied in Meißen, postete den Recherchen zufolge im Internet Hitlerzitate. Muslime beschimpfte er als »mohammedanische Kamelwämser« und »Schluchtenscheißer«. Die kurdische PKK, die in Syrien und im Irak am Abwehrkampf gegen die Fundamentalisten des »Islamischen Staats« beteiligt ist, kam bei Däbritz auch nicht besser weg: »Sie sind genauso eine große Gefahr für das zivilisierte Europa/Deutschland wie alle anderen Strömungen innerhalb der Mohammedaner.«

Man kennt solche faschistoiden Töne ansonsten aus dem größten rechtsradikalen Internetblog PI (»Politically Incorrect«), der sich im Kopf seiner Startseite als »proamerikanisch« und »proisraelisch« bezeichnet. Dort hieß es zum Beispiel am Montag angesichts der zahlreichen Gegenkundgebungen polemisch: »Also demonstriert mal schön weiter für Terroristen, Ehrenmörder, Räuber und Verbrecher und Sozialschmarotzer.« – PI gibt weitgehend die Stoßrichtung vor, unter der Rechtsradikale auch in anderen Städten Pegida-Ableger auf die Beine zu bringen versuchen.

Die jetzt vom Spiegel ans Licht gebrachten Schreibereien von Tallacker und Däbritz widersprechen der routinemäßigen Behauptung der Pegida-Sprecher, die Dresdner Demonstrationen seien nicht gegen den Islam und die Muslime gerichtet. Eine Distanzierung von den Äußerungen und der Ausschluss der beiden aus dem Führungskreis wäre, wenn schon nicht ein Gebot des menschlichen Anstands, so doch wenigstens der politischen Klugheit gewesen. Man hätte auch erwarten können, dass Menschen, denen es nicht um ausländerfeindliche Stimmungsmache, sondern um sachlich begründbare Unzufriedenheit mit konkreten Zuständen geht, nach dieser Enthüllung der Demonstration fernbleiben. Aber das Gegenteil geschieht. Das wirft die Frage auf, ob nicht Ausländerfeindlichkeit und nationale Überheblichkeit das Hauptmotiv der meisten Pegida-Demonstranten sind, und nicht bloß ein irregeleiteter Ausdruck »berechtigter Sorgen«.

In Leipzig wurde am Montag unter dem Kürzel Legida erstmals für einen eigenen Forderungskatalog marschiert, der sich nicht an die 19 Punkte von Pegida anlehnt, sondern sich explizit deutlich weiter rechts positioniert. Besonders auffällig ist der dritte Punkt des Legida-Papiers »Beendigung des Kriegsschuldkultes und der Generationenhaftung«. Weitere Forderungen sind, »dass islamistische Einflüsse auf unsere Kultur, gleich welcher Art, unterbunden werden« müssten und den Muslimen die »Unterwanderung unserer Glaubenskultur«, was immer man sich darunter vorstellen mag, verboten werden müsse.

** Aus: junge Welt, Mittwoch, 14. Januar 2015


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