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Wofür steht Kristina Schröder?

Die Bundesjugendministerin und ihre Agitation gegen den "Linksextremismus"

Von Jürgen Amendt *

Im politischen Weltbild von Bundesfamilien- und -jugendministerin Kristina Schröder (CDU) stehen die Feinde der Demokratie links. Das Aufdecken der rechtsterroristischen Mordserie hat dieses Weltbild nicht nachhaltig erschüttert.

Was sagt eigentlich Kristina Schröder, was sagt die Familien- und Jugendministerin mit CDU-Parteibuch dazu, dass offenbar unbehelligt von staatlichen Behörden mutmaßlich mindestens zehn Menschen von Rechtsterroristen ermordet wurden? Kristina Schröder reagiert in dieser Situation, in der von Politikern nicht nur ein Statement, sondern auch ein Zeichen menschlicher Anteilnahme erwartet wird: überfordert. Das Online-Magazin »MiGAZIN«, das von Migranten produziert wird, wollte von Schröder wissen, ob sie eine Stellungnahme zu den rechtsterroristischen Mordaktionen abzugeben gedenke und erhielt aus ihrem Ministerium ein deutliches »Nein!« als Antwort. Schließlich habe das Familienministerium nichts mit der Thematik zu tun, hieß es zur Begründung.

Stur verteidigt Schröder dagegen ihr Lieblingsprojekt - die Bekämpfung des Linksextremismus' - gegen die Kritik, damit den Rechtsextremismus zu verharmlosen. In einem Interview mit der »Welt« erklärte sie, dass sie an der sogenannten Extremismusklausel festhalten wolle. Diese Klausel verpflichtet Initiativen gegen Rechts nicht nur, für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einzustehen, sondern auch zu einer »Ehrerklärung«, jeden ihrer Partner und Mitarbeiter dementsprechend in die Pflicht zu nehmen, wenn sie weiterhin vom Schröder-Ministerium gefördert werden wollen. Gruppierungen, die sich schon seit Jahren gegen Rechts engagieren, sprechen von einer Kultur des Misstrauens des Ministeriums gegenüber ihrer Arbeit. Schröder dagegen bleibt dabei: Es reiche nicht aus zu wissen, wogegen jemand sei, man müsse auch wissen, »wofür er steht«, erwidert sie ihren Kritikern im »Welt«-Interview.

Das »nd«: eine linksextreme Zeitung?

Doch wofür steht Kristina Schröder? Im September dieses Jahres erschien die Broschüre »Demokratie stärken - Linksextremismus verhindern«. Anhand von Texten über »linksextreme Gewalt«, »linksextreme Positionen« sowie zu »Vergangenheit und Gegenwart des Linksextremismus in Deutschland« erhalten Lehrerinnen und Lehrer auf 36 Seiten laut Vorwort »methodische Anregungen zu pädagogischen Zugängen und Umgangsweisen mit dem Thema ›Linksextremismus‹«. Neben der »Jungen Welt«, der »Jungle World« und der DKP-Zeitung »Unsere Zeit« wird u.a. das »nd« als »linksextremistisches Medium« gelistet. Wachsamkeit ist oberstes Gebot, denn, so heißt es im Vorwort: »Linksextreme Positionen wurden bisher zu wenig beachtet.« Das Impressum nennt den Politologen Eckhard Jesse, der wegen seiner Gleichsetzung von Rechts- und Linksextremismus umstritten ist, als »wissenschaftlichen Berater«. Herausgegeben wird das Magazin von der Zeitbild-Stiftung, einer Ausgliederung aus dem auf Bildungsthemen spezialisierten Zeitbild-Verlag. Gefördert wird das Projekt von Schröders Ministerium. Autorin des Vorworts ist: »Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend«.

Die Broschüre »ist nicht einmal schlecht gemacht«, sagt der Berliner Geschichts- und Sozialkundelehrer Lars Böhme. Die didaktische Aufbereitung der Arbeitsblätter erinnere an Publikationen der Bundeszentrale für politische Bildung und sei für den Schulunterricht durchaus einsetzbar. Gerade in Sozialkunde fehle es den Schulen an Lehrmaterial. Viele Kolleginnen und Kollegen, so Böhme, seien daher froh, wenn sie gut aufbereitete Unterrichtsmaterialien angeboten bekämen - »vor allem dann, wenn diese auch noch kostenlos sind.« Böhmes Kollege Michael Sack wirft den Autoren der Unterrichtsblätter allerdings eine »einfach gestrickte Argumentation« vor. Der Lehrer für das Fach Sozialkunde an einer Thüringer Regelschule kritisiert vor allem, dass der Gedanke des sozialen Ausgleichs in die Nähe des Linksextremismus' gerückt werde.

»Wie macht man gleich?« heißt die diesbezügliche Fragestellung in einem der Arbeitsblätter. Die Schüler sollen diskutieren, »ob es gerecht ist, dass ein Zehntel der Bevölkerung über 50 Prozent des Steueraufkommens leistet.« Die abgedruckte Tabelle legt den Eindruck nahe, dass die Steuerbelastung der höheren Einkommensklassen in Deutschland zu hoch ist. Dass die Schüler eigentlich zu einem gegenteiligen Schluss kommen müssten, geht aus einer anderen Zahl im Text hervor. Demnach verfügt das reichste Zehntel der Bevölkerung über 61,1 Prozent des gesamten Einkommens. Gleichzeitig kommt diese Gruppe für 51,8 Prozent der Einkommenssteuer auf. »Würde ich das meinen Schülern vorlegen, dann würden sie mir erklären, dass es nur gerecht wäre, wenn dieses Zehntel der Bevölkerung auch 61,1 Prozent des Einkommenssteueraufkommens leisten müssten«, meint Michael Sack.

Mit sozialpolitischen Argumenten wollen sich die Macher der Broschüre aber gar nicht aufhalten. »Linksextremisten machen die ›kapitalistische Klassengesellschaft‹ für alle sozialen Probleme verantwortlich« und fordern eine »radikale Umverteilung«, um hierdurch »soziale Unterschiede zu beseitigen«, heißt es. Dem gegenüber wird ein längeres Zitat des österreichischen Wirtschaftsliberalen Ludwig van Mises aus dem Jahr 1961 gestellt. Der marktradikale Ökonom meinte, dass Menschen von Geburt an mit unterschiedlichen physischen und geistigen Begabungen ausgestattet seien. »Einige übertreffen ihre Mitmenschen an Gesundheit und Kraft, an Verstand und Fähigkeiten, an Energie und Entschlusskraft, und sind dadurch besser als der Rest der Menschheit geeignet zum Verfolg irdischer Angelegenheiten.«

Wie soll man eine solche Ansicht nennen? Vielleicht biologistisch, sozialdarwinistisch? Den Schülern wird von den Verfassern der Broschüre die Antwort erleichtert. »Wer hat die besseren Argumente?« heißt die Frage. Gemeint sind die »Linksextremen« mit ihrer Forderung nach einer »radikalen Umverteilung« oder Experten wie Ludwig van Mises, die die Ungleichheit aus der Natur des Menschen zu legitimieren versuchen. Zusammen mit der Tabelle zur höheren Besteuerung der Besserverdienenden ist die Richtung der Antwort eigentlich schon vorgegeben, kritisiert Philipp Mattern von der »Jungen GEW« der Berliner »Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft«. Mattern hat die Broschüre für das Berliner Landesjugendwerk unter die Lupe genommen und kommt zu dem Schluss, dass vor allem die Frage zur Einkommensverteilung und sozialen Gleichheit gegen das Überwältigungsverbot des »Beutelsbacher Konsens« verstößt. Dieser Grundkodex der politischen Bildungsarbeit von 1976 verpflichtet Lehrer dazu, im Unterricht keine Positionen vorzugeben, die die eigene Meinungsbildung der Schülerinnen und Schüler behindern. Zudem müssen Themen, die in der Gesellschaft kontrovers diskutiert werden, auch im Unterricht kontrovers dargestellt werden. Auch dagegen verstößt die Broschüre nach Auffassung des Berliner Junglehrers. Die angebotenen Arbeitsblätter sprechen »den gängigen Standards politischer Bildung Hohn«, so Matterns niederschmetternde Kritik.

Mit gängigen wissenschaftlichen Standards hat auch Ministerin Schröder ihre Probleme. So schrieb sie kürzlich in einem Gastbeitrag für die FAZ über Zwangsehen und missinterpretierte dabei Forschungsergebnisse einer von ihrem Ministerium in Auftrag gegebenen Studie. So behauptete Schröder mit Berufung auf die Studie, dass 2008 insgesamt 3443 Fälle von Zwangsverheiratungen in den Beratungsstellen in Deutschland registriert worden seien. Da mehr als 80 Prozent der Ratsuchenden aus muslimischen Elternhäusern stammten, dürfe »der religiöse Aspekt« nicht verleugnet werden. In Wahrheit, so stellten die Verfasser der Untersuchung klar, hatten die Wissenschaftler überhaupt nicht nach dem religiösen Hintergrund gefragt, es handele sich dabei lediglich um Vermutungen der Beratungsstellen. Auch hätten sie keine repräsentativen Zahlen erhoben - die von der Ministerin genannte Zahl von 3443 Zwangsverheiratungen könne Mehrfachnennungen enthalten und in 60 Prozent der Fälle, in denen sich vornehmlich junge Frauen an die Beratungsstellen gewandt hatten, habe es sich lediglich um die Androhung einer Zwangsheirat gehandelt. Kritik an ihrem Umgang mit den wissenschaftlichen Daten ficht Kristina Schröder indes nicht an. Über ihren Pressesprecher ließ sie der nachfragenden »taz« mitteilen, hier versuchten »einige Beteiligte bestimmte Forschungsergebnisse zu relativieren«.

Missbrauch von wissenschaftlichen Daten

Die Politikerin bleibt ihrer Linie treu. Im hessischen Landtagswahlkampf 2008 hatte Schröder, die damals noch Köhler hieß, behauptet, es gebe eine Zunahme »deutschenfeindlicher Gewalt« von Ausländern, und sich dabei auf eine Studie des Kriminologen Christian Pfeiffer berufen. Der bewertete dies als Missbrauch seiner wissenschaftlichen Arbeit. Mit Pfeiffers Kritik hatte die CDU-Politikerin keine Probleme. So sei das halt in der Wissenschaft, ließ sie verlauten. »Jeder zieht seine eigenen Schlussfolgerungen.«

Ihre eigene Schlussfolgerung aus der Aufdeckung des rechten Terrors in Deutschland hat Schröder durchaus gezogen: In besagtem »Welt«-Interview bedauert sie, dass die Regierung nicht erkannt habe, »dass es bereits agierende rechtsterroristische Strukturen gibt. Auch ich nicht, und das ärgert mich sehr.« Andere Politiker sind schockiert, trauern mit den Angehörigen der Opfer des rechten Terrors; in der einstimmig vom Bundestag Ende November verabschiedeten Resolution heißt es: »Wir sind zutiefst beschämt, dass nach den ungeheuren Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes rechtsextremistische Ideologie in unserem Land eine blutige Spur unvorstellbarer Mordtaten hervorbringt.« Kristina Schröder hat dieser Resolution als Bundestagsabgeordnete ebenfalls ihre Stimme gegeben. Wenn sie aber nach einer persönlichen Empfindung gefragt wird, reagiert sie wie ehedem - mit kühler Distanz. Ob der rechten Mordspur ist sie vor allem eines: verärgert!

* Aus: neues deutschland, 13. Dezember 2011


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