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Zelle oder Netzwerk?

Anklageerhebung gegen die mutmaßliche Rechtsterroristin Beate Zschäpe steht in nächsten Tagen bevor. Sie als "einzige Überlebende" des NSU zu bezeichnen ist unseriös

Von Claudia Wangerin *

In den nächsten Tagen soll Anklage gegen die mutmaßliche Rechtsterroristin Beate Zschäpe erhoben werden – vor einem Jahr wurde sie als Mitglied der »Zwickauer Terrorzelle« bekannt, die für zehn Morde und zwei Sprengstoffanschläge mit über 20 Verletzten verantwortlich gemacht wird. Ob die Bundesanwaltschaft Zschäpe wegen Beihilfe oder Mittäterschaft anklagt, ist weiterhin unklar. Laut Haftbefehl werden ihr Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und besonders schwere Brandstiftung vorgeworfen, weil sie nach dem Tod ihrer Komplizen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt am 4. November 2011 die gemeinsame Wohnung im sächsischen Zwickau anzündete. Vier Tage später stellte sie sich der Polizei. Mit den jahrelangen Versäumnissen der Sicherheitsbehörden und der Rolle der Geheimdienste befassen sich zur Zeit vier parlamentarische Untersuchungsausschüsse im Bundestag, Thüringen, Sachsen und Bayern.

Wären vor zwölf Monaten nicht die Leichen zweier Bankräuber in einem ausgebrannten Wohnmobil in Eisenach gefunden worden und in ihrem Nachlaß eine Ceska-Pistole mit Schalldämpfer, dann wäre der Begriff »Dönermorde« nicht zum Unwort des Jahres erklärt worden, sondern vielleicht immer noch eine gängige Bezeichnung für eine Verbrechensserie, der von 2000 bis 2006 neun Männer mit Migrationshintergrund zum Opfer fielen. Der Ton änderte sich erst, nachdem die toten Bankräuber als seit über 13 Jahren untergetauchte Neonazis identifiziert waren, die offensichtlich aus rassistischen Motiven getötet hatten. Die Ermittler mußten mit der Nase darauf gestoßen werden.

Seit dem mutmaßlichen Selbstmord ihrer Komplizen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt vor einem Jahr wird Beate Zschäpe von vielen Medien als »einzige Überlebende« des »Nationalsozialistischen Untergrunds« (NSU) bezeichnet. Seit November 2011 können der vorher unbekannten Organisation die neun Morde an Männern türkischer, kurdischer und griechischer Herkunft sowie der Mord an einer Polizistin und zwei Sprengstoffanschläge zugeordnet werden.

Ob der NSU tatsächlich nur drei Mitglieder hatte, die nach dem Tod von Mundlos und Böhnhardt als »Zwickauer Terrorzelle« bekannt wurden, wird aber schon durch das vor einem Jahr verschickte Bekennervideo in Frage gestellt. Die Macher des zynischen Kurzfilms mit der Comicfigur Paulchen Panther bezeichnen den NSU nicht als »Zelle«, sondern als »Netzwerk von Kameraden mit dem Grundsatz Taten statt Worte«.

Die Ermittlungen ergaben, daß ein größerer Kreis von Neonazis bereit war, das 1998 untergetauchte Trio mit Geld, Papieren und Waffen zu versorgen. Gegen 13 Beschuldigte wird offiziell ermittelt, 100 Personen sollen dagegen auf einer Liste stehen, die Bundeskriminalamt und Verfassungsschutz »dem engeren und weiteren Umfeld« zurechnen.

Die Behauptung, Zschäpe sei die einzige Überlebende des NSU, hält auch Rechtsanwalt Yavuz Narin für unseriös. Mit dem Ziel einer umfassenden Aufklärung vertritt er Anghörige des 2005 in München ermordeten Theodorus Boulgarides in der Nebenklage. »Entscheidend ist, daß alle Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden«, sagte Narin am Freitag gegenüber junge Welt. Leider erhalte die Nebenklage nur zögerlich Akteneinsicht. Der Prozeß wird aller Voraussicht nach vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts München stattfinden.

Mit Ausnahme von Zschäpe und Ralf Wohlleben, der eine zentrale Rolle bei der Waffenbeschaffung gespielt haben soll, sind zur Zeit alle Beschuldigten auf freiem Fuß. Neben Wohlleben werden weitere elf Personen als NSU-Helfer beschuldigt. Ob sie mehr als zehn Jahre nach der letzten beweisbaren Unterstützungshandlung noch verurteilt werden können, hängt davon ab, ob ihnen das Wissen um die geplanten Morde nachgewiesen werden kann, oder ob sie dem Gericht glaubhaft vermitteln können, sie hätten maximal von Banküberfällen zur Finanzierung des Lebens im Untergrund gewußt. Daß die drei mutmaßlichen Bombenbastler aus Jena keine Pazifisten waren, dürfte ihren Helfern bekannt gewesen sein – aber auch Polizei und Verfassungsschutz hatten das Untertauchen des Trios nach Aufdeckung seiner Bombenwerkstatt in einer von Zschäpe gemieteten Garage nicht mit der gut zwei Jahre später begonnenen Mordserie in Verbindung gebracht.

Offene Fragen

In diesen mehr als zwei Jahren muß sich das ins benachbarte Sachsen geflohene Trio erheblich professionalisiert haben. »Am Anfang haben sie buchstäblich ihre Eltern angebettelt, haben die Szene angebettelt, waren darauf nicht vorbereitet«, sagte der Grünen-Politiker Wolfgang Wieland am Mittwoch abend in einer Diskussion in Berlin. Er ist als Obmann seiner Fraktion im NSU-Untersuchungsausschuß des Bundestags mit der Aufarbeitung der Mordserie beschäftigt. Ein »selbst lernendes Killersystem« sei das Trio gewesen. War es das? Reichten ihm Publikationen wie das »Combat 18 Field Manual«, das »Handbuch des nationalsozialistischen politischen Soldaten« der »Blood & Honour«-Bewegung, um sich fortzubilden?

Fest steht: Die Frau, deren Rolle in dem Dreigespann sonst als rätselhaft gilt, leistete den größten Beitrag zu seiner Tarnung. Sie stellte sich beim Einzug in eine neue Wohnung unter falschem Namen gleich den Nachbarn vor, sie galt als nett und hilfsbereit, ihre Mitbewohner eher als verschlossen.

Zschäpe und der Staat

»Nazibraut«, »Killerluder« oder »braune Witwe« wurde Beate Zschäpe in den letzten zwölf Monaten genannt. Ihr Leben mit zwei Männern im Untergrund, was Smalltalk mit den Nachbarn, Campingbekanntschaften und regelmäßige Tierarztbesuche nicht ausschloß, war ein gefundenes Fressen für die Boulevardpresse. Ihre privaten Surfgewohnheiten im Internet wurden ebenso ausgeleuchtet wie die Familiengeschichte des »Omakindes«. Mysteriös blieb dagegen ihr Verhältnis zu Vater Staat.

Die heute 37jährige schweigt seit einem Jahr zu den ihr vorgeworfenen Taten – jedenfalls ist der Öffentlichkeit nichts anderes bekannt. Ihre Verteidiger wollen auch weder bestätigen noch dementieren, daß Zschäpe je »Vertrauensperson« des Verfassungsschutzes war. Nach Kenntnis der Untersuchungsausschüsse war das etwa jedes vierte Mitglied des »Thüringer Heimatschutzes« (THS), dem sich das spätere Terrortrio in den 1990er Jahren anschloß. Auch der Anführer des THS, Tino Brandt, stand ab 1994 im Sold des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz.

Zschäpes vorübergehende Festnahme im Jahr 1996 soll nach Aussage ihrer Mutter ein einschneidendes Erlebnis gewesen sein, das ihre Tochter radikalisierte – sie werde sich nie wieder festnehmen lassen, soll sie damals gesagt haben. Aus alten Polizeiakten ergab sich aber im Zuge der NSU-Ermittlungen ein anderes Bild: Demnach plauderte Zschäpe seinerzeit bereitwillig mit den Beamten und identifizierte mehrere Teilnehmer einer obskuren Feier im Stil des rassistischen Ku-Klux-Klan auf sichergestellten Fotos.

»Vertrauenspersonen«

Der Versuch, mit Polizei und Geheimdiensten zu taktieren, war in der Neonaziszene kein Tabu, das zeigten die Rechtfertigungen Tino Brandts nach seiner Enttarnung. Nah dran war auch der V-Mann des Berliner Landes¬kriminalamts, Thomas Starke, der den Innenausschuß der Hauptstadt noch einige Zeit beschäftigen wird. Der heute 44jährige Neonazi besorgte dem Trio schon vor dessen Untertauchen gut ein Kilo TNT-Sprengstoff – angeblich, um Beate Zschäpe zu imponieren, wie er in einem Interview mit der Berliner Morgenpost sagte.

Vor wenigen Wochen wurde kein geringerer als der in U-Haft sitzende Ralf Wohlleben als weiterer möglicher V-Mann ins Gespräch gebracht: Bundesanwalt Hans-Jürgen Förster hatte in einer dienstlichen Erklärung geschrieben, er habe in einer »tabellarischen Aufstellung« von V-Leuten dessen Namen gelesen. Zur Zeit des gescheiterten NPD-Verbotsverfahrens hatte Förster im Innenministerium gearbeitet. Inzwischen suchte er vergeblich nach dem Papier, soll aber im Untersuchungsausschuß des Bundestags zu seinen Erinnerungen befragt werden.

Im Zuge der Ermittlungen zum Mord an Michèle Kiesewetter 2007 in Heilbronn stellte sich heraus, daß nicht nur einer der Vorgesetzten der jungen Polizistin Mitglied der deutschen Sektion der »European White Knights of the Ku Klux Klan« war, sondern womöglich auch deren Gründer Achim Schmid ein V-Mann des baden-württembergischen Verfassungsschutzes. Der Patenonkel von Michèle Kiesewetter soll laut Vernehmungsprotokoll schon 2007 geäußert haben, der Mord an seiner Nichte stehe womöglich im Zusammenhang mit den »Türkenmorden«. Obwohl sie mit einer anderen Waffe erschossen wurde und zu diesem Zeitpunkt niemand sonst eine Verbindung herstellen konnte.

* Aus: junge Welt, Samstag, 03. November 2012


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