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Trauer über die Mordopfer der rechten Terrorszene / Bundestag verabschiedet gemeinsame Erklärung aller fünf Fraktionen

In der Debatte allerdings brachen Gräben auf: Opposition will NPD-Verbot und Streichung der "Extremismus-Klausel"

Es war schon ein ungewohnter Vorgang im Deutschen Bundestag: Alle fünf Fraktionen einigten sich auf einen gemeinsamen Entschließungsantrag zur Mordserie der Thüringer Neonazis. "Wir sind zutiefst beschämt", heißt es darin, "dass nach den ungeheuren Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes rechtsextremistische Ideologie in unserem Land eine blutige Spur unvorstellbarer Mordtaten hervorbringt." Der Bundestag sprach den Angehörigen der Opfer sein Mitgefühl aus und kündigte eine zügige Aufklärung der Morde sowie eine Überprüfung der Strukturen der Sicherheitsbehörden an. Außerdem solle die Regierung prüfen, ob sich Konsequenzen für ein NPD-Verbot ergeben. Offenbar gibt es Verknüpfungen zwischen dem "Thüringer Heimatschutz", aus dem die Terroristen stammen, und der NPD.

Der gemeinsame Antrag (Nr. der Drucksache: 17/7771) wurde am 22. November im Bundestag verabschiedet. Er ist hier herunterzuladen: pdf-Datei (externer Link)

Zuvor war der Opfer des rechten Terrors gedacht worden:
  • Enver Simsek und Abdurrahim Özüdogru aus Nürnberg,
  • Süleyman Tasköprü aus Hamburg,
  • Habil Kibc aus München,
  • Yunus Turgut aus Rostock,
  • Ismal Yasar aus Nürnberg,
  • Theodoros Boulgarides aus München,
  • Mehmet Kubasik aus Dortmund,
  • Halit Yozgat aus Kassel und
  • Michèle Kiesewetter aus Heilbronn.
Doch in der debatte zeigte sich dann doch die tief sitzenden Widersprüche zwischen den Fraktionen. Grüne und Linke kritisierten die sog. Extremismusklausel, wonach Initiativen, wenn sie staatliche Mittel in Anspruch nehmen wollen, einen Revers unterschreiben müssen, in dem sie sich verpflichten, nicht mit "extremistischen" Gruppierungen zusammenzuarbeiten. In der Praxis wird damit die Arbeit von antifaschistischen Bündnissen behindert. Die Linke und die SPD forderten zudem endlich das Verbot der NPD.

Über die Debatte berichtet der Informationsdienst des Bundestags u.a.:

In der Debatte nannte Bundesinnenminister Dr. Hans-Peter Friedrich (CSU) die Morde einen "Angriff auf unsere Gesellschaft, auf unsere freiheitliche Ordnung, auf unsere Demokratie". Er plädierte zugleich für eine bessere Verzahnung von Polizei und Verfassungsschutz sowie zwischen Bund und Ländern. Er verwies auf die für den Bereich des islamistischen Terrors eingerichtete Verbunddatei, in der unterschiedliche Behörden Informationen einspeisen können.

Etwas ähnliches wolle man nun für den Bereich des Rechtsextremismus auf den Weg bringen. Auch wolle man ein Gemeinsames Abwehrzentrum (GAZ) gegen Rechtsextremismus etablieren, kündigte der Minister an. Dieses solle "schon bald seine Arbeit aufnehmen - in der Hoffnung, dass auch alle Länder sich an diesem GAZ beteiligen werden". "NPD eine verfassungsfeindliche Partei'"

Bei der Frage, welche Informationen über Extremisten gespeichert werden dürfen, soll nach Friedrichs Worten zudem nicht mehr zwischen gewaltbereiten und gewaltfreien Personen unterschieden werden. Man müsse dafür sorgen, dass "diese Unterscheidung aufgehoben wird" und über alle Extremisten ein Lagebild erstellt werden könne. Ferner sprach er sich dafür aus, die Länder zu verpflichten, aus ihren Verfassungsschutzbehörden Erkenntnisse "ungefiltert und unbewertet" bei den Bundesbehörden "anzuliefern". (...)

Zur Diskussion über ein erneutes NPD-Verbotsverfahren sagte Friedrich, er habe "keine Zweifel, dass es sich bei der NPD um eine verfassungsfeindliche Partei handelt". Das für ein Verbot erforderliche Abschalten von V-Leuten sei indes mit einem Risiko verbunden. Er halte die V-Leute "für ein wichtiges und unverzichtbares Frühwarnsystem in der Szene". Dennoch werde man prüfen müssen, ob man "in einer Abwägung von Risiko und Möglichkeit" ein solches Verbotsverfahren dennoch mit Erfolg durchführen kann. Ministerin will Entschädigung an Angehörige zahlen

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) sagte, nun sei "die Stunde der Demokraten". Man sei sich einig, dass es eine schonungslose Analyse von Fehlern, Defiziten und Versäumnissen geben müsse. Aus dieser Analyse werde man dann die richtigen Konsequenzen ziehen. (...)

Mit Blick auf die NPD fügte die Ministerin hinzu, es dürfe auf keinen Fall ein Verbotsverfahren eingeleitet werden, das nicht eine ausreichende Erfolgsaussicht hat. Sie bekräftigte zugleich, aus ihrem Haushalt als "kleines Zeichen" eine Entschädigung an Angehörige der Mordopfer zahlen zu wollen.

SPD-Fraktionschef Dr. Frank-Walter Steinmeier kritisierte, der Staat habe auf beschämende Weise bei der Aufgabe versagt, dafür zu sorgen, dass Bürger in Sicherheit leben können. Dies müsse Konsequenzen haben. Neben einer lückenlosen Aufklärung brauche man auch ein Ende der Verharmlosung rechtsextremer Gewalt. Obwohl es seit 1990 annähernd 140 Opfer solcher Gewalt gegeben haben solle, sei es "ganz offenbar die Grundphilosophie der Sicherheitsbehörden" geblieben, dass es in Deutschland keinen organisierten gewalttätigen Rechtsterrorismus gebe.

Nachdrücklich sprach sich Steinmeier dafür aus, Hindernisse für ein erneutes NPD-Verbotsverfahren zu beseitigen und die V-Leute abzuschalten. Zugleich warf er Bundesfamilienministerin Dr. Kristina Schröder (CDU) vor, Menschen unter "linksextremen Generalverdacht" gestellt zu haben, die gegen rechtsextreme Gewalt und Propaganda ankämpften. Es sei einer Demokratie nicht würdig, diese Menschen unter einen "Gesinnungs-TÜV" zu stellen, fügte Steinmeier mit Blick auf die sogenannte Extremismusklausel hinzu, die Träger von Projekten gegen Extremismus unterzeichnen müssen, wenn sie Fördergelder vom Bund erhalten wollen.

Der Vorsitzende der Linksfraktion, Dr. Gregor Gysi, forderte die Streichung der Extremismusklausel. Alle Programme und Projekte gegen Rechtsextremismus seien so zu ändern, "dass linke und andere demokratische Kräfte nicht mehr ausgeschlossen werden". Er begrüßte, dass man sich fraktionsübergreifend geeinigt habe, die Mittel dafür nicht zu kürzen.

Gysi mahnte zudem eine "vollständige Aufklärung dieses Rechtsterrorismus und aller Umstände hinsichtlich des Handelns der Sicherheitsbehörden" an und plädierte für eine schnelle und großzügige Entschädigung für die Angehörigen der Opfer. Auch verlange seine Fraktion eine Abschaltung der V-Leute und anschließende Einleitung eines NPD-Verbotsverfahrens. Ferner bedürften Neonazi-Gegner "in sogenannten national befreiten Zonen" sofortiger ideeller und materieller Unterstützung.

Grünen-Fraktionschefin Renate Künast sprach von einer "Legitimationskrise der Sicherheitsbehörden". Die Verfassungsschutzämter seien "viel mehr fokussiert auf Linksextremismus" und hätten eine "Blindheit gegenüber der rechten Seite". Nun sei eine transparente, öffentliche Aufklärung notwendig: "Wir wollen wissen, wer was wusste und was unternommen hat oder nicht unternommen hat - und da reicht uns kein Ermittler. Wir wollen Untersuchungsausschüsse und schriftliche Berichte, in die jeder blicken kann", sagte Künast.

Sie forderte zudem ebenfalls, die Extremismusklausel zu streichen, bei der "die, die gegen Rechtsextreme kämpfen, selber erst erklären müssen, dass ihre Kämpfer und Mitkämpfer auf dem Boden des Grundgesetzes stehen". Dies sei "eine Anfeindung gegenüber diesen Menschen", argumentierte Künast. Auch "die Kofinanzierung von 50 Prozent bei den Projekten" müsse weg. (...)

(Quelle: www.bundestag.de)


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