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Bundestag soll BKA überwachen

Regierungskommission fordert im Bericht über die "Sicherheitsgesetze" schärfere Kontrollen der Behörde

Von Aert van Riel *

Ein Gremium der Bundesregierung zur Überprüfung der sogenannten Sicherheitsgesetze empfiehlt, die Sicherheitsbehörden stärker zu kontrollieren und deren Befugnisse präziser zu regeln. Dies bleibe weit hinter den Notwendigkeiten zurück, kritisierte die Linkspartei.

Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 wurden in der Bundesrepublik zahlreiche Gesetze zur »Sicherheit« und Terrorismusbekämpfung verabschiedet. Diese sind in den vergangenen sieben Monaten von einer Expertenkommission untersucht worden, die paritätisch vom Justiz- und Innenministerium besetzt wurde. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger entsandte ihren FDP-Kollegen und ehemaligen NRW-Innenminister Burkhard Hirsch, den Mannheimer Juraprofessor Matthias Bäcker und ihren früheren Ministerialdirektor Volkmar Giesler. Der Minister für Inneres, Hans-Peter Friedrich (CSU), berief die Ex-Generalbundesanwältin Monika Harms, den Rechtswissenschaftler Heinrich Amadeus Wolff sowie Ministerialdirektor Stefan Kaller.

Die Konflikte zwischen dem Hardliner Friedrich und der liberaleren Leutheusser-Schnarrenberger bezüglich Bürgerrechten und innerer Sicherheit spiegeln sich auch in den Ergebnissen der Kommission wider, über die die »Süddeutsche Zeitung« gestern berichtete. Überwiegend kamen die sechs Kommissionsmitglieder nicht zu einer einheitlichen Bewertung, bei einigen Fragen hatte sich aber Wolff auf die andere Seite geschlagen. Die Hälfte der Mitglieder des Gremiums sprach sich dafür aus, dass das Bundeskriminalamt (BKA) den Generalbundesanwalt frühzeitig über seine Aktionen informieren müsse. Einige Mitglieder forderten zudem, das BKA unter die Aufsicht eines Kontrollgremiums des Bundestags zu stellen. Denn das BKA hat seit vier Jahren quasi geheimdienstliche Befugnisse.

Eine Mehrheit gab es bei der Forderung nach stärkeren richterlichen Kontrollen. Die »Antiterrorermittlungen« des BKA sollten nicht wie bisher vom Amtsgericht Wiesbaden kontrolliert werden, sondern vom Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs. Ebenfalls mehrheitlich empfehlen die Kommissionsmitglieder ein Gesetz, das die Grenzen der Zusammenarbeit des Gemeinsamen Terrorabwehrzentrums (GTAZ) definiert. Das GTAZ wurde 2004 in Berlin eingerichtet. Es ist eine gemeinsame Koordinierungsstelle der Sicherheitsbehörden der Länder und des Bundes und beschäftigt sich mit dem islamistischen Terrorismus. Das GTAZ, dem 40 Behörden angeschlossen sind, beruht auf den allgemeinen Regeln zum behördlichen Informationsaustausch. Die Kommissionsmehrheit weißt darauf hin, dass die enge Kooperation von Polizei und Nachrichtendiensten verfassungsrechtlich nicht unproblematisch sei.

Kritik an dem Bericht übte der LINKE-Innenpolitiker Jan Korte. »Wir brauchen eine unabhängige Überprüfung der völlig aus dem Ruder gelaufenen Sicherheitsarchitektur und einen Paradigmenwechsel in der Innenpolitik«, forderte der Bundestagsabgeordnete gegenüber dem »nd«. Viele der bekannt gewordenen Kritikpunkte teile er, die Kommission bleibe allerdings bei der Therapie weit hinter den Notwendigkeiten zurück.

Die Forderung nach einer Aufsicht des BKA durch das parlamentarische Kontrollgremium (PKG) bezeichnete Korte als falsch. »Wenn man feststellt, dass das BKA in Teilen wie ein Geheimdienst agiert, dann muss man dies doch als Gefahr für den Rechtsstaat erkennen und es stoppen«, sagte er. Eine Kontrolle der Polizei in einem geheim tagenden Gremium sollte in einer Demokratie unnötig sein.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 24. August 2013


»Konsequenzen statt Lob«

NSU-Abschlußbericht: Freundliche Worte von Merkel; Polizeigewerkschaft verschnupft **

Nach den Worten ihres Regierungssprechers hat Bundeskanzlerin Angela Merkel die Arbeit des Untersuchungsausschusses zur Mordserie des »Nationalsozialistischen Untergrunds« (NSU) gewürdigt. Die CDU-Politikerin sei dankbar für »die sehr umfassende und für unsere Gesellschaft ungeheuer wichtige Aufklärungsarbeit, die dieser Ausschuß geleistet hat«, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Freitag. Die Ergebnisse müßten nun eingehend geprüft werden. Das gelte vor allem mit Blick auf die geforderten Maßnahmen. »Es reicht nicht, den Ausschuß zu loben«, erklärte unterdessen die Vertreterin der Linksfraktion im Untersuchungsausschuß, Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau. »Die gemeinsamen und weitergehenden Empfehlungen des Ausschusses und einzelner Fraktionen sind dringend.« Pau warf der Bundesregierung vor, die Statistik über Opfer rassistischer Morde noch immer kleinzuschreiben. Der Untersuchungsausschuß hatte in seinem Abschlußbericht Reformen und einen Mentalitätswandel bei Polizei und Geheimdiensten gefordert, um künftig Neonaziterror wie die NSU-Mordserie zu verhindern. Das Bundestagsgremium legte dazu Empfehlungen in 47 Punkten vor. Demnach soll die Polizei verpflichtet werden, bei Morden an Menschen mit Migrationshintergrund immer auch ein rassistisches Motiv zu prüfen.

Das Bundesinnenministerium wies in diesem Zusammenhang Vorwürfe gegen die Bundespolizei zurück. Innenminister Hans-Peter Friedrich habe entsprechende Äußerungen aus der SPD »mit großer Verwunderung« zur Kenntnis genommen, sagte Sprecher Jens Teschke am Freitag in Berlin. Auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hatte den Vorwurf rassistisch geprägter Verdachtsstrukturen im Ausschußbericht am Donnerstag als »ungeheuerliche Unterstellung« zurückgewiesen. »Der Untersuchungsausschuß hat bislang nicht aufzeigen können, wo und wann eine polizeiliche Ermittlung aus rassistischen Motiven unterblieben ist«, erklärte der GdP-Vorsitzende Oliver Malchow. Der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Michael Sommer, fordert dagegen, die Empfehlungen des Ausschusses konsequent umzusetzen. »Daß der NSU über Jahre hinweg seine Mordtaten fortsetzen konnte, hängt auch mit dem Versagen der Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden zusammen«, erklärte Sommer am Donnerstag abend.

** Aus: junge Welt, Samstag, 24. August 2013


Rechtsstaat ausgehöhlt

Von Aert van Riel ***

In Deutschland hat die Politik die Terroranschläge vom 11. September 2001 zum Anlass genommen, die Bürgerrechte immer weiter einzuschränken. Sicherheitspakete und Terrorismusbekämpfungsgesetze wurden erlassen, die dazu dienen sollten, die Überwachung von Bürgern zu intensivieren. Es wurde zudem ein Gemeinsames Terrorabwehrzentrum (GTAZ) geschaffen, dessen polizeilich-geheimdienstliche Zusammenarbeit verfassungsrechtlich problematisch ist. Zur Bewertung dieser Entwicklung in der deutschen Innenpolitik hatten die Bundesministerien der Justiz und des Innern vor einigen Monaten eine Kommission eingesetzt. In deren Bericht wird nun eine stärkere richterliche und parlamentarische Kontrolle des Bundeskriminalamts angemahnt. Zudem ein Gesetz, das die Grenzen der Zusammenarbeit im GTAZ definiert. Das klingt alles nach einer nachträglichen Legitimierung der bisherigen Praxis.

Wie und ob diese Reformen überhaupt umgesetzt werden, wird die nächste Bundesregierung entscheiden. Der Ausgang der Bundestagswahl wird allerdings wohl nicht entscheidend für die künftige deutsche Innenpolitik sein. Denn selbst kleine Schritte zurück in Richtung Rechtsstaat sind weder von einem Unions- noch von einem SPD-Innenminister zu erwarten. Dass sie in Sicherheitsfragen Hardliner sind, haben Amtsträger beider Parteien in den vergangenen Jahren nur allzu oft bewiesen.

*** Aus: neues deutschland, Samstag, 24. August 2013 (Kommentar)


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