Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Viel Papier - zu schnell, zu spät

Konjunktur für Verfassungsschutz-Reformideen

Von René Heilig *

Einen grundlegenden »Neustart«, der »nur mit neuem Personal auf allen Ebenen und mit klaren gesetzlichen Vorgaben für den Arbeitsauftrag und die nachrichtendienstlichen Mittel« möglich sei, forderten am Wochenende die Grünen und wollen so mitmischen im längst begonnenen Geheimdienst-Reformwettbewerb.

»Mit Hochdruck«, so hatte die Kanzlerin den Hinterbliebenen der Opfer versprochen, arbeiten die Sicherheitsbehörden an der Aufklärung der Verbrechen des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU). Ein gutes halbes Jahr ging seither ins Land. Und in der Tat, die Behörden in Bund und Ländern arbeiten mit Hochdruck - an ihrem eigenen Schutz. Die Öffentlichkeit lässt es geschehen. So gesehen hat hat Angela Merkel mit der folgenden Passage ihrer Trauerrede recht: »Wir vergessen zu schnell - viel zu schnell. Wir verdrängen, was mitten unter uns geschieht...« Noch immer liegen zu wenige Fakten über das »Versagen« der Sicherheitsbehörden auf dem Tisch. Man kann nur ahnen, wie viel verschüttet, vertuscht, vernichtet wurde und wird, um die Mitschuld am Tod von zehn Menschen nicht zu offenkundig werden zu lassen. Drei Länderparlamente und der Bundestag haben Untersuchungsausschüsse gebildet - alle mit dem Auftrag, aus den ermittelten Fehlern und Schwachstellen Schlussfolgerungen für die längst überfällige Reform der Sicherheitsbehörden zu ziehen.

Doch lange bevor die Abgeordneten auch nur zu einem halbwegs stimmigen Bild der Vorgänge um den NSU und das Handeln oder Unterlassen von Geheimdiensten, Polizei und Justiz gelangen können, hat unter den Parteien ein Wettlauf um die besten Reformideen eingesetzt. Union und SPD wollen das Thema möglichst aus dem Bundestagswahlkampf im kommenden Jahr heraushalten.

Auch wenn die Vorschläge insgesamt zu früh in die Debatte geworfen werden, weil sie die Erkenntnisse aus der NSU-Aufklärung nur partiell einbeziehen, kommen die Parlamentarier mit ihren - in der Masse - wenig ausgereiften und bisweilen sehr blauäugigen Reformideen dennoch viel zu spät. Denn der Bundesinnenminister hat längst Nägel mit Köpfen gemacht. Er hat die Führungspositionen des Bundesamtes für Verfassungsschutz, der Bundespolizei und demnächst auch die des Bundeskriminalamtes mit seinen ministerielle Ziehsöhnen neu besetzt und verkauft der Öffentlichkeit alte Zentralisierungsideen als Allheilmittel gegen Extremismus und Terrorismus jedweder Art. Die Länderinnenminister sind bestrebt, ihre Claims zu sichern. Transparenz und Zweckmäßigkeit werden zwar oft im Munde geführt, sind aber keine Kriterien der Umbauarbeiten. Ende vergangener Woche hat der FDP-Obmann im Berliner NSU-Untersuchungsausschuss, Hartfried Wolff, seine Reformideen unters politische Volk gebracht. Frage: Kommen nicht auch die liberalen Ideen, die er noch abstimmen muss mit seiner Fraktion und den Koalitionspartnern nicht auch zu spät?

»Nein, ganz klar nein«, antwortet Wolff. Die Vorschläge der Innenminister eine Reform des Verfassungsschutzes - jüngst auf einer Sonderkonferenz als Minimalkompromiss zusammengerührt - bezeichnet der Liberale als »Allgemeinplätze« und »pure Selbstverständlichkeiten«. Vor allem im Bereich der parlamentarischen Kontrolle will er »endlich weiterkommen«. Schon in der vergangenen Legislaturperiode, als man die Kriegshilfsdienste des BND und andere illegale Anti-Terror-Praktiken deutscher Dienste untersuchte, habe man Vorschläge auf den Tisch gelegt. Geschehen ist so gut wie nichts.

Nun fordert Wolff die Berufung eines »ständigen Sonderermittlers« zur Kontrolle der Nachrichtendienste. Zudem sollen die elf Bundestagsabgeordneten des geheimen Parlamentarischen Kontrollgremiums ohne vorherige Anmeldung »freien und ungehinderten Zugang« zu den Sicherheitsbehörden erhalten. Dort dürften die Abgeordneten »ungehindert und frei« Einblick in Akten nehmen und »jeden Mitarbeiter des Dienstes im Haus befragen« dürfen. Träumt Wolff und fordert eine Vereinheitlichung und Verbesserung der Ausbildung von Verfassungsschützern. Drei Jahren lernen sei wohl nicht zu viel verlangt. Auch befürwortet er eine »stärkere Zentralstellenfunktion« des Bundesamtes gegenüber den Ländern und ist überdies für »vieles offen«, beispielsweise die Abschaffung des Militärischen Abschirmdienstes.

Das klingt zwar nicht so schwammig wie die Vorschläge der SPD, doch nachhaltige Reformen sehen anders aus, radikaler. Und damit einfacher. Siehe Vorschläge der Linkspartei. Deren Innenexperte Jan Korte hat vor einigen Wochen - gemäß dem Parteiprogramm - die Auflösung des Verfassungsschutzes gefordert und dazu ein Zwölf-Stufen-Plan vorgelegt. Am Ende des mühevollen Aufstieges soll dann eine zivilgesellschaftliche, parteiübergreifende, regierungsunabhängige, transparente Institution treten, die gesellschaftliche Vorgänge analysiert und der Demokratie als grundgesetzliche Warninstanz dient. Doch mit solchen Visionen möchten sich die bürgerlichen Parteien gar nicht erst befassen.

* Aus: neues deutschland, Montag, 03. September 2012


Sammeln für ein NPD-Verbot

Bundesinnenminister weiter zögerlich

Von René Heilig **


Die NPD sei eine zutiefst rassistische Partei - so der Kontext eines 1200-Seiten-Dossiers, das im Bundesinnenministerium unter Verschluss liegt. Es soll - laut »Spiegel« - Grundlage für ein neues Parteiverbotsverfahren sein.

Das Dossier bestehe laut dem Bericht überwiegend aus Material, das nicht durch V-Leute gesammelt wurde. Lediglich auf 65 Seiten seien Belege aufgeführt, die mit Hilfe von solchen Quellen zusammengetragen wurden. Man hat also, so steht zu vermuten, aus dem Schiffbruch, den man 2003 vor dem Bundesverfassungsgericht erlitten hat, gelernt. Ein Sprecher von Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) sagte am Sonntag: »Die Materialsammlung ist noch nicht abgeschlossen.« Auch eine juristische Bewertung der Informationen sei noch nicht erfolgt. Für eine solche ist jedoch genügend Zeit: Die Innenminister der Länder hatten sich darauf geeinigt, erst im Dezember eine Entscheidung darüber zu fällen, ob sie ein erneutes Verbotsverfahren gegen die NPD anstrengen.

Die Dokumente, so heißt es, belasteten die NPD als eine zutiefst rassistische Partei. Das ist eine Binsenweisheit und vielfach belegbar durch Äußerungen von Funktionären verschiedener Ebenen in und außerhalb von Parlamenten. Ob das ausreicht, um bei den Richtern in Karlsruhe Gehör zu finden? Auch sie wissen natürlich, dass die NPD sich gegen ein Verbot auch an die EU-Gerichtsbarkeit wenden kann. Kurzum: Die Aussichten für ein Parteiverbot sind ungewiss, sagt Bundesinnenminister Friedrich und argumentiert schwammig: »Wenn wir ein Verbot der NPD erreichen können, würde ich sagen: Her damit! Dann wäre diese unappetitliche Partei nicht mehr auf dem Markt.« Er fürchtet, dass die NPD aus einem Verbotsverfahren »neue Impulse« schöpfen könnte.

Fraglos gibt es eine Zusammenarbeit zwischen der NPD und sogenannten Freien Kräften. Bei der jüngsten Razzia in Nordrhein-Westfalen wurden bei »Autonomen Nationalisten« rund 1000 NPD-Plakate entdeckt. Vor Ort solidarisierte sich der NPD-Bundeschef Holger Apfel mit den militanten Neonazis. Auch der NPD-Kreisverband Dortmund sprang ihnen zur Seite. Auf der Facebook-Seite des Bundesverbandes war zu lesen, die »aktuelle Verbotswelle in NRW« hätte deutlich gemacht, »dass man eine Idee, deren Zeit gekommen ist, nicht verbieten kann«.

Doch nicht überall hält das Bündnis. Jüngst meldeten sich der Chef des Bezirksverbands Oberpfalz, dessen Vize sowie ein Vorstandsmitglied aus der Partei ab. Sie waren auch NPD-Kreisvorsitzende. Sie beklagen, dass der bayerische Landesverband der Partei die Zusammenarbeit mit »Freien Kräften« ablehne. Auftrieb erhalten Befürworter eines Verfahrens durch die Verstrickung des Ex-NPD-Funktionärs Ralf Wohlleben in den Terror des NSU. Er soll den Mördern eine Waffe verschafft haben. Die Anklage gegen ihn und andere soll im Spätherbst vorliegen, sagt die Bundesanwaltschaft. Friedrich will sie abwartet.

* Aus: neues deutschland, Montag, 03. September 2012


Die NPD und das Netz

Von René Heilig ***

Nur selten lässt sich in der Politik Versäumtes problemlos nachholen. Wie oft hatten Antifaschisten gemahnt: Wehrt den Anfängen! Doch man ließ die NPD gewähren. In ihr und in ihrem Umfeld konnten nationaler Größenwahn und Rassenhass überleben. Diese ideologischen Grundmuster trifft man inzwischen nicht nur in Wohnzimmern und Terrorzellen, sondern auch in Parlamenten. Einig sind sich die Neonazis im Ziel, das friedliche Zusammenleben von Menschen verschiedener Herkunft und Anschauung zu stören. Um es zu zerstören.

Die Duldsamkeit - manchem Rechten erschien die NPD sogar brauchbar zur Rekrutierung eigener Anhänger - ermöglichte, dass sich mit der Partei und um sie herum ein Netzwerk gebildet hat. Vielfältig verflochten sind Antisemiten, Deutschnationale, Linkenhasser, Militante, Kameradschaftlern, »Burschis«, Freie Kräfte, Hooligans ... Fließend sind die Grenzen von Parteien, Vereinen, Verbänden, legal oder verboten. Jüngste Informationen besagen: Der Bundeschef der NPD-Jugend - die JN ist ein Scharnier zwischen NPD und Kameradschaften - sei Mitglied im deutschen Ableger des Ku-Klux-Klan. Wer die Liste der NSU-Unterstützer durchgeht, trifft gleichfalls KKK-Typen, die wiederum mit der Blood&Honour-Bande verwoben sind. Kürzlich kam hoch, dass Polizisten als Kapuzen-Schreck unterwegs waren.

Wäre also ein NPD-Verbot jetzt sinnlos? Nein! Nicht, wenn es konsequent erfolgt und kein neues Alibi für weitere Untätigkeit ist.

*** Aus: neues deutschland, Montag, 3. September 2012 (Kommentar)


Zurück zur Seite "Rassismus, Neofaschismus"

Zur Seite "Verfassungsschutz, Grundgesetz"

Zurück zur Homepage