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Warlords in Afghanistan - Wie ein Wirtschaftsunternehmen

Von Jan Heller (Kabul)

Unter dem Titel "Opium und Lapislazuli" veröffentlichte Jan Heller (Kabul) am 26. Mai 2000 in der Wochenzeitung "Freitag" einen Bericht über die Armeen und Milizen im heutigen Afghanistan.

Diamanten hat Afghanistan nicht zu bieten. Dafür Halbedelsteine wie Lapislazuli. Das blaue Mineral gehört zwar nicht zu den Waren, die eine Weltwirtschaft am Laufen halten, aber zur Finanzierung eines Bürgerkrieges und von Privatarmeen reicht es durchaus. In seinen verschiedenen Blautönen, geschliffen oder ungeschliffen, fand Lapislazuli aus Afghanistan schon im Altertum seinen Weg bis nach Ägypten - und die Minen im Hindukusch sind bis heute nicht leer. Kaum verändert haben sich seither auch die Abbaumethoden. Zu Hammer und Keil ist lediglich Sprengstoff gekommen. Auf wackligen Leitern steigen die Minenarbeiter in die Schächte und Klüfte hinab, Unfälle sind alles andere als selten.

Die wichtigsten Lapislazuli-Minen Afghanistans befinden sich im Panjschir-Tal, jenem 150 Kilometer langen, schmalen und von steilen Felswänden geschützten, fruchtbaren Flusseinschnitt, den Ahmad Schah Massud beherrscht. Der heute 44 Jahre alte Tadschike ist das Paradebeispiel des afghanischen Warlords. Ein Teil der Einnahmen aus dem Abbau und dem Schmuggel der Steine nach Pakistan fließt in seine Kriegskasse. Es heißt, dass einige Minen Unterführern Massuds gehören und dass dort Kriegsgefangene eingesetzt werden.

Massud wurde an Kabuls französischem Lyzeum ausgebildet, spricht die Sprache nach 20 Jahren in den Bergen immer noch recht gut, hat die einschlägigen Guerrilla-Handbücher von Mao bis Regis Débray studiert, was ihm - wohl ungerechfertigt - den Ruf einbrachte, ein verkappter Maoist zu sein. Als einziger der Mudschahedin-Führer baute er schon in der sowjetischen Besatzungszeit (1979-89) in seinem Herrschaftsbereich zivile Verwaltungsstrukturen auf.

Ein traditioneller Warlord ist Massud nur in einer Hinsicht: Der "Löwe vom Panjschir-Tal" stützt sich vor allem auf Kämpfer aus seiner engeren Heimat. Aber seine Panjschiris hat er schon in den achtziger Jahren aus einer losen Miliz in feste Kampfverbände umgeformt, zu denen auch sogenannte "Schocktruppen" gehören, die er beliebig an Brennpunkte der Front werfen kann. Nicht zuletzt diese für afghanische Verhältnisse militärische Innovation hat sein Überleben bis heute gesichert. Allerdings ist es Massud im ethnisch fragmentierten Afghanistan nie gelungen, seinen heroischen Ruf in wirklichen Einfluss über seine Stammregion hinaus auszudehnen. Dafür sitzt er dort fest im Sattel. Die Taleban rennen bereits seit vier Jahren vergeblich dagegen an. Aber Ethnizität ist ein - zu einfaches - Erklärungsmuster für die Ursachen des Afghanistan-Konflikts. Wenn etwas das beherrschende Bild aus über 20 Jahren Krieg ist, dann der ständige Fronten- und Lagerwechsel aller Beteiligten. Paschtune, Tadschike, Usbeke oder Hazara ist man, wenn es politisch opportun ist. Allianzen aber werden bei Bedarf über alle ethnischen Grenzen hinweg geschlossen.

Der blaue Lapislazuli ist nur eine jener Waren, die eine "afghanische Kriegsökonomie" am Laufen halten, wie sie der US-amerikanische Afghanistan-Experte Barnett Rubin wohl als erster bezeichnete. Es geht ebenso um Drogen und Bauholz. 1999 war Afghanistan mit 4.600 Tonnen weltgrößter Produzent von Rohopium. Warlords und Stammesführer kontrollieren die Anbaugebiete, Exportrouten, Transportmittel und die seit einigen Jahren auch in Afghanistan errichteten Heroinlabors, in denen das braune, harzartige Rohopium zu weißem Gift raffiniert wird. Die Drogen waren es auch, die den Taleban die anfängliche Sympathie der USA einbrachten. Als sie Ende 1994 - kurz nachdem Präsident Clinton seinen "War on Drugs" proklamierte - ihren Siegeszug von Südafghanistan aus begannen, richteten sie Drogenhändler hin und brannten Opiumfelder nieder. Bald aber stellte sich heraus, dass sie damit nur konkurrierende Kommandanten ausschalteten. Die Taleban selbst begannen, von den Opiumbauern den Zehnten für ihre Kriegskasse einzutreiben.

Auch die Stammesguerilleros in den ostafghanischen Provinzen Kunar und Laghman bekämpfen die Taleban weniger aus politischer Opposition, als um zu verhindern, dass sie ihre Gemeindewälder abholzen. Die Taleban sind mit der pakistanischen Holzmafia verbandelt, die nicht nur in den restlichen Zedern- und Pinienwäldern auf der afghanischen Seite der Grenze systematischen Kahlschlag betreibt. Und es waren afghanische und pakistanische Transportunternehmer, die mit ihrem Geld 1994 die Taleban in den Kampf schickten, weil die zahllosen Strassensperren der zerfallenen Mudschahedingruppen jeden Handel unrentabel machten.

Die wichtigste Einnahmequelle der Taleban ist jedoch heute der so genannte afghanische Transithandel, eine besondere Art des Schmuggels. Japanische Autos, Radios und Recorder, deutsche Kosmetika und französisches Parfüm werden aus den Golfemiraten nach Afghanistan eingeflogen oder über den Hafen Karatschi importiert und sofort wieder nach Pakistan zurückgeschickt, wo sie zollfrei in den 6.000 Schmugglerläden verkauft werden. Ähnlich wird geschütztes Holz aus Nordwestpakistan nach Afghanistan geschmuggelt, dort umdeklariert und kann dann "legal" abgesetzt werden. Auf zwölf Milliarden Dollar wird der Gesamtumsatz geschätzt. Was Nachteile für den Binnenstaat Afghanistan ausgleichen soll, kostet den Taleban-Alliierten Pakistan Steuereinnahmen in Milliardenhöhe. Die Taleban hingegen verdienen daran, denn sie besteuern auch die Schmuggeltransporte. Schließlich sind die Kämpfer selber ein Wirtschaftsfaktor. Sie haben ihre Kalaschnikows zu Produktionsinstrumenten gemacht und verdienen damit sich und ihren Familien den Lebensunterhalt. So wie Ende der siebzigerJahre Straßenbanden die grüne Flagge hissten und sich in Glaubenskämpfer verwandelten, ohne ihr ursprüngliches Handwerk aufzugeben.

Während Geld aus russischen und iranischen Kassen Massuds Kämpfer bei der Stange hält, sind auch viele Taleban - angetreten als Bannerträger der reinsten Form des Islam - längst zu Söldnern geworden. Ein einfacher Taleber hält 2.000 bis 3.000 pakistanische Rupien im Monat, umgerechnet 40 bis 60 Dollar - Summen, von denen ein Durchschnittsafghane nur träumen kann.

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