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Privatarmeen in Afrika - Kindersoldaten sind billiger

Von Jens Voigt (Kigali)

Im "Freitag" erschien am 26. Mai nachfolgender erschütternder Bericht von Jens Voigt: "Willige, genügsame Killer. MÖRDERISCHES KALKÜL. In Afrika rekrutieren Privatarmeen mit Vorliebe Kindersoldaten"

Im April 1995 war Philippe sieben. Oder acht. Jedenfalls holten sie ihn, als ich damals im Zentralgefängnis von Kigali nach dem jüngsten Kriegsverbrecher fragte. Man schob ihn vor meine Kamera, die Kapos riefen "Cheese". Aber Philippe lächelte nicht.

Warum bist du hier, fragte der Dolmetscher.
Ich habe Menschen getötet.
Wie viele?
Ich weiß nicht, sechs oder acht.
Womit hast du sie umgebracht?
Mit dem Buschmesser oder mit Knüppeln, meist mit dem Messer. Ich war der Anführer.
Wen hast du getötet?
Solche, die kleiner waren als ich. Die Großen wurden von den Erwachsenen getötet. Zweimal durfte ich mithelfen.
Mithelfen?
Beim Zerhacken, mit dem Buschmesser.
Warum hast du getötet?
Die Großen haben es mir gesagt.


1995, ein Jahr nach dem Völkermord in Ruanda, warteten in Kigali fast 200 Minderjährige auf ihr Gerichtsverfahren. Der damalige Justizminister Nkubito hätte sie gern aus den zehnfach überbelegten und verseuchten Gefängnissen in - wie er meinte - "humanere Anstalten mit psychologisch geschultem Personal" verlegt. Nichts davon gab es. "Im Gefängnis sind die Kinder wenigstens in Sicherheit", fand der Minister. Wohl wahr: Bis Ende 1998 bezahlte von den rund 200 nach Gerichtsverfahren freigelassenen Genozid-Verdächtigen jeder zehnte die Heimkehr mit dem Tod.

Fünf Jahre später stehe ich wieder vor dem Backsteinklotz des Zentralgefängnisses. Der Direktor ist neu, im Gefängnis viel Platz. Sie haben noch zehn halbwüchsige Häftlinge hier. Philippe ist nicht dabei. Im Kindergefängnis von Gitagata, wo 350 Jugendliche nicht nur verwahrt werden, sondern auch eine Berufsbildung erhalten, steckt Philippe auch nicht. Aber Ruanda hat viele Gefängnisse, und so besteht Hoffnung für den Mörder.

Denn draußen wird immer noch rekrutiert, und Jugend schützt vor Waffendienst nicht. Während die heutige Tutsi-Regierungsarmee, wenigstens offiziell, keinen unter 18 Jahren einberuft, holt sich die Interahamwe - einst Jugendorganisation der Hutu-Staatspartei - das menschliche Verbrauchsmaterial für ihren Rebellenkrieg ohne Achtung irgendwelcher Altersgrenzen. Wenn die Interahamwe-Kommandos vom Kongo oder aus Uganda in den Norden Ruandas einfallen, nehmen sie den Dörflern das Geld, die Nahrungsmittel und immer wieder auch die Jungen. In den Lagern jenseits der Grenze werden die Kinder gedrillt und mit Drogen "mutig gemacht". Nicht nur die Interahamwe verfährt so: Die Mai-Mai-Milizen im Kongo setzen drogenabhängige Kinder gegen die meist ebenso süchtigen Teenager-Kommandos der RDC-Allianz (Demokratische Sammlungsbewegung des Kongo) ein, die wiederum gegen die Armee des Diktators Kabila kämpft, der längst zum Rekrutieren von 16-jährigen übergegangen ist.

Wieviel Kindersoldaten es in West- und Zentralafrika wirklich sind, die von Rebellenverbänden, Milizen oder Privatarmeen ins Feuer geschickt werden, lässt sich kaum verlässlich angeben - schon deshalb, weil die meisten Warlords 14- oder 15jährige Rekruten als Selbstverständlichkeit betrachten und nicht gesondert registrieren. Allein in Liberia wurden nach Ende des vorläufig letzten Bürgerkrieges 1997 über 5.000 Soldaten unter 15 Jahre entwaffnet. In der Regierungsarmee der Demokratischen Republik Kongo tragen laut UNO über 20.000 Minderjährige Waffen. Bei insgesamt 20 militärisch ausgetragenen Konflikten allein in Afrika dürfte die UNICEF-Schätzung von rund 200.000 Kindersoldaten die unterste Grenze der Realität beschreiben.

Seit Jahren bemühen sich UNICEF und NGO wie Terre des hommes, die in der UN-Kinderrechtskonvention fixierten Forderungen nach Schutz von Kindern im Krieg umzusetzen. Gerade in Afrika fällt die Bilanz wenig ermutigend aus. Während in Ruanda oder Liberia Programme zur Reintegration der Kindersoldaten laufen, empfand es UN-Sekretär Olara Otunnu schon als Erfolg, dass er 1999 den Oberkommandierenden der RCD-Rebellen im Kongo, Ernest Wamba dia Wamba, dazu überreden konnte, keine weiteren Kadogos (Swahili für "Kleine") zu rekrutieren. In Sierra Leone hingegen dreht sich die Schraube rückwärts: Mühsam genug hatten es Terre des Hommes und belgische NGO geschafft, in zwei Zentren den Kindersoldaten und deren Opfern medizinische und psychologische Betreuung anzubieten, da zog im Frühjahr der aufwallende Bürgerkrieg die meisten mit Geld und Drohungen zurück in die Warlord-Kommandos. Dass sich Soldat-Sein der Teenager auch im Nachhinein lohnen kann, das gab es ebenfalls in Sierra Leone als paradoxes Schauspiel zu beobachten: Wer als RUF-Rebell bei den ECOMOG-Friedenstruppen oder den UN-Blauhelmen seine AK-47 oder M 16 ablieferte, erhielt 500 Dollar für den Start ins demilitarisierte Leben - ohne weitere Nachfrage nach dem Alter.

Das Soldaten-Mindestalter auf 18 Jahre festzulegen, wie es das UN-Zusatzprotokoll zur Konvention für die Rechte der Kinder vom Januar fordert, ist nach Ansicht des amerikanischen Zentralafrika-Experten Edward Marek blanke Illusion: "Alle Parteien brauchen Kinder zum Kriegführen. Erwachsene Kriege kann sich Afrika nicht leisten."

Und oft genug sind die Opfer von heute die (Mit-)Täter von morgen. Marguerite Barankitse leitet in Burundi das Waisenhaus "Maison Shalom". Fast 900 Kinder und Jugendliche hat das Haus seit 1993 aufgenommen, als nach der Ermordung des Hutu-Präsidenten Ndadaye erneut ein Bürgerkrieg ausbrach. Inzwischen finden sich im "Maison Shalom" auch Kinder aus Tansania, Uganda oder dem Kongo, deren Eltern verschwunden sind oder umgebracht wurden. Mehrfach haben Milizen das Waisenhaus heimgesucht, um Nachwuchs zu rekrutieren - nicht immer hat es die 1998 mit dem UN-Menschenrechtspreis geehrte "Shalom"-Chefin verhindern können.

Ruanda und Burundi sind junge Länder. Nur jeder dritte Einwohner ist über 35 Jahre alt. Doch Krieg und Nachkrieg, Konflikte und Massaker entwerten die Jugendzeit. Bujumbura, die Hauptstadt Burundis, galt vor zehn Jahren noch als quirlige, weltoffene Metropole mit einem berühmten Nachtleben. Davon ist fast nichts geblieben. In Kigali eröffnete vor rund einem Jahr das "Cadillac", eine Diskothek, die in einem Zirkuszelt zum Feiern einlädt, doch das Geschäft läuft schlecht. Der Besitzer, ein Belgier, lässt die Bassboxen "nur noch aus Gewohnheit wummern", wie er sagt. Die meisten der rund 500.000 Einwohner haben wohl anderes im Sinn als zu tanzen. Wohin das "Land der tausend Hügel" treibt, wagt keiner zu prophezeien mit Ausnahme jenes Wahrsagers, den niemand je zu Gesicht bekam, von dem aber jeder weiß: er soll irgendwo im Regenwald leben und schon 1993 den Völkermord vorausgesagt haben, der ein Jahr später begann. Jetzt will das Orakel den nächsten Krieg für Ruanda gesehen haben.

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