Von Bagdad nach Basel
Als der Krieg in die Schweiz zog
Von Carlos Hanimann *
Was dürfen private Sicherheits- und Militärfirmen? Wie kann man sie regulieren? Oder sollen sie gar verboten werden? Seit die Söldnerfirma Aegis Defence Services ihren Sitz in Basel hat, sieht sich die Schweiz mit neuen Fragen konfrontiert.
23. Januar 2006: Drei Fahrzeuge fahren im Irak etwas ausserhalb von Bagdad westwärts. Wegen einer Strassenpatrouille halten sie an. Sie werden sogleich von beiden Strassenseiten beschossen. Die Insassen, private Sicherheitskräfte, hören russische Maschinenpistolen und leichte Automatikwaffen. Sie verlassen die Wagen. Ein Schuss trifft die Heckscheibe eines Wagens. Eine Person wird getroffen und in ein Spital gebracht.
4. Oktober 2006: Kurz vor neun Uhr morgens wird in Basra ein Autokonvoi angegriffen. Es folgt eine Schiesserei. Einem privaten Sicherheitsmann wird dabei in den Rücken geschossen. Die Kugel trifft eine Arterie, doch der Mann überlebt.
14. November 2007: Eine Gruppe von privaten Sicherheitskräften wird in der Nähe von Mosul beschossen. Die Sicherheitskräfte schiessen zurück. Ein Angreifer wird getötet.
Söldner und Zivilisten
Die Aufzählung liesse sich fast beliebig fortsetzen. Rund 700 solcher Zwischenfälle sind dokumentiert und öffentlich zugänglich, seit die Internetplattform WikiLeaks mehrere Hunderttausend Dokumente von US-Soldaten zum Irakkrieg veröffentlicht hat. Den erwähnten Beispielen ist eines gemeinsam: Sie alle betreffen eine Schweizer Firma – Aegis Defence Services, eine der grössten und bekanntesten Söldnerfirmen der Welt. Und seit vergangenem Frühjahr in Basel beheimatet.
Der Aufschrei war gross, als die «Basler Zeitung» Mitte August enthüllte, dass die umstrittene Firma ihren Sitz in aller Heimlichkeit von London nach Basel verlegt hatte. Der grüne Nationalrat Josef Lang verlangte mit einer Motion ein Verbot von militärischen Sicherheitsfirmen, der Kanton Basel-Stadt reichte eine Standesinitiative ein, die die Registrier- und Bewilligungspflicht von privaten Sicherheitsfirmen regeln soll, und der Ständerat hat in der Herbstsession eine ähnliche Motion der Sicherheitspolitischen Kommission gutgeheissen. Nächste Woche will die Kommission an ihrer Sitzung das Thema Aegis diskutieren. Das Bundesamt für Justiz hat angekündigt, bis Ende Jahr unter anderem zu prüfen, ob Firmen wie Aegis einer Bewilligungspflicht oder einem Lizenzsystem zu unterstellen sind.
Mit der Veröffentlichung der Irak-Protokolle durch WikiLeaks erhält die Debatte um die Regulierung privater Söldnerfirmen neue Aktualität. Als im Mai 2009 im Irak in der Nähe von Falludscha ein Sprengkörper detonierte, kamen drei US-Amerikaner ums Leben, die von Aegis eskortiert wurden. Die «New York Times», die die Irak-Protokolle von WikiLeaks eingehend analysierte, schrieb unter Berufung auf Regierungsberichte, dass einer der Toten ein hoher Navy-Offizier gewesen sei. Das wirft die Frage auf, ob die Aegis-Söldner in diesem Fall die Militärs überhaupt zum Schutz hätten begleiten dürfen. «Mitarbeiter von privaten Sicherheitsfirmen gelten in der Regel nicht als Söldner im Sinne des humanitären Völkerrechts», sagt der Genfer Völkerrechtsprofessor Marco Sassòli, der sich seit Jahren mit Fragen rund um private Sicherheitsfirmen beschäftigt. «Sie gelten also als Zivilisten und dürften sich demnach nicht an Kampfhandlungen beteiligen. Ausser es handelt sich um Selbstverteidigung.» Wenn aber Mitarbeiter einer Sicherheitsfirma beschäftigt würden, um Militärs zu schützen, müsse man davon ausgehen, dass sie in Kampfhandlungen involviert werden könnten. «Schliesslich können Militäroffiziere genau wie militärische Einrichtungen zum Ziel feindlicher Angriffe werden.»
Fehlende Gesetze
Wann dürfen private Sicherheitsleute eingesetzt werden? Was oder wen dürfen sie bewachen und eskortieren? In welchem Rahmen dürfen sie sich verteidigen? Wann spricht man von einer Kampfhandlung? Wer kontrolliert, ob sich die privaten Sicherheitsfirmen an internationales (und nationales) Recht halten? Wie können sie strafrechtlich verfolgt werden, wenn sie – wie dies in der Vergangenheit schon geschehen ist – gegen Gesetze verstossen? All dies sind Fragen, mit denen sich die Schweiz nun beschäftigen muss, seit mit der Söldnerfirma Aegis auch der Krieg in die Schweiz gezogen ist.
2008 unterschrieben siebzehn Staaten das sogenannte Montreux-Dokument, ein rechtlich nicht verbindliches Empfehlungsschreiben, wie Staaten mit privaten Sicherheitsfirmen umzugehen haben. Zu den Unterzeichnenden gehört neben den Vereinigten Staaten, Britannien und Afghanistan unter anderem auch die Schweiz. Sie müsste demnach als sogenannter Heimatstaat einer privaten Sicherheitsfirma dafür sorgen, dass durch diese keine internationalen Gesetze verletzt werden. Und die Schweiz müsste, falls es doch geschieht, geeignete Strafmassnahmen kennen. Ausserdem müsste sie gegen Personen und Firmen ermitteln, bei denen ein Verdacht auf Verletzung von internationalem Recht besteht.
Das Montreux-Dokument empfiehlt zudem die Einrichtung einer Zulassungsbehörde, die etwa prüft, ob sich ein Unternehmen ausreichend um die rechtliche Ausbildung ihres Sicherheitspersonals kümmert, ob das Unternehmen in der Vergangenheit gegen internationales Recht verstossen hat oder ob seine Mitarbeiter in schwere Verbrechen verwickelt waren.
Ausgerechnet die Schweiz, von der die Initiative für die Montreux-Richtlinien ausging, lehnte 2008 aber ab, eine entsprechende Gesetzgebung auszuarbeiten, weil man damals glaubte, dass die Schweiz kein attraktiver Markt für private Militärfirmen sei. Jetzt habe sich die Situation geändert, heisst es beim Bundesamt für Justiz.
Viel Geld für viele Tote
Mit Aegis ist nun ein äusserst umstrittenes Unternehmen in die Schweiz gezogen. Die Schweizer Firma erhielt 2004 (damals noch als britisches Unternehmen) von den USA den bis dahin grössten Sicherheitsauftrag im Irak, obwohl sie nicht einmal auf der Liste empfohlener Militärfirmen des US-Aussenministeriums stand.
Der US-amerikanische Journalist und Buchautor Jeremy Scahill bezeichnete Aegis als «einen der erfolgreichsten Profiteure im Krieg gegen den Terror». Dafür zahlt Aegis einen hohen Preis: Die «New York Times» errechnete aufgrund der Irak-Protokolle von WikiLeaks, dass Aegis in den Jahren 2004 bis 2010 mindestens dreissig Tote zu beklagen hatte – so viel wie keine andere Söldnerfirma im Irak.
Widerspricht es der Schweizer Neutralität, wenn Firmen wie Aegis in die Schweiz ziehen? Nein, meint Völkerrechtsprofessor Marco Sassòli. Die Neutralität werde nur tangiert, wenn es sich um zwischenstaatliche Konflikte handle und in der Schweiz rekrutiert werde. «Ich glaube auch nicht, dass die Schweiz als Hüterin des humanitären Völkerrechts deswegen unbedingt an Glaubwürdigkeit verliert. Aber wenn sie das auch in Zukunft nicht will, dann muss auf gesetzlicher Ebene etwas passieren.» Sassòli fordert deshalb mindestens ein Lizenz- und Kontrollsystem für private Sicherheitsfirmen.
Während beim Militär wenigstens in der Theorie eine Ausbildung und eine hierarchische Kontrolle beständen, fehlten diese für private Firmen vollständig. «Eine Firma kann im Gegensatz zum Militär ihre Mitarbeiter nicht bestrafen, sie kann sie nur entlassen. Bei Verbrechen müssten sie aber an die Gerichte übergeben werden.»
Tim Spicers Söldner
Aegis Defence Services ist eine ursprünglich britische Sicherheits- und Militärfirma. Ihr Chef und Mitgründer ist der berüchtigte Exsöldner Tim Spicer. Er gründete das Unternehmen 2004, nachdem seine vorherige Arbeitgeberin, die private Militärfirma Sandline International, ihre Dienste eingestellt hatte. Spicer und die Söldnerfirma Sandline waren in verschiedene dubiose Geschäfte in Sierra Leone und Papua-Neuguinea verwickelt. Spicer, der als britischer Elitesoldat gedient hatte, rechtfertigte ausserdem zwei seiner Männer, die in Nordirland einen unbewaffneten Teenager erschossen hatten.
Als Spicers neue Söldnerfirma Aegis den Irak-Auftrag erhielt, beschwerten sich verschiedene US-SenatorInnen beim damaligen Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, weil Spicer «in der Vergangenheit durch exzessiven Einsatz von Gewalt gegen die Zivilbevölkerung von sich reden gemacht hatte».
* Aus: Schweizer Wochenzeitung WOZ, 4. November 2010
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