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Streitfrage: Deutsche Schiffe durch private Sicherheitskräfte gegen Piraten schützen?

Es debattieren: Mike Nagler (Attac) und Ralf Nagel (Verband Deutscher Reeder)


Seit Jahren sind Schiffe am Horn von Afrika großer Gefahr ausgesetzt. Piraten besonders vor der Küste Somalias, einem Staat, in dem seit mehr als 20 Jahren Bürgerkrieg herrscht, kapern immer wieder auch deutsche Schiffe. Mit Schnellbooten nähern sie sich den Frachtern, klettern an Bord und nehmen die Besatzung als Geisel. Ziel der Piraten ist es, hohe Lösegelder zu erpressen. Die EU hat im Rahmen ihrer Atalanta-Mission Kriegsschiffe zum Horn von Afrika beordert, um die Piraterie zu bekämpfen und die Handelswege zu sichern.
Die Bundesregierung berät zur Zeit über die Änderung der Gewerbeordnung und des Waffenrechts, um gesetzliche Voraussetzungen für einen verbesserten Eigenschutz der Schiffe zu ermöglichen. Können private Kräfte zu mehr Sicherheit an Bord deutscher Schiffe beitragen?


Neue Märkte für Söldnerfirmen

Von Mike Nagler *

Auf allen politischen Ebenen wird darum gerungen, möglichst schnell sämtliche Hindernisse für Militäreinsätze am Horn von Afrika und darüber hinaus aus dem Weg zu räumen. Dabei geht es nicht um eine Bekämpfung der Ursachen der Piraterie, sondern im Wesentlichen um wirtschaftliche und geostrategische Interessen.

Bei den aktuellen Plänen der Bundesregierung geht es um nichts anderes als um das Outsourcing militärischer Aufgaben – einer Privatisierung des staatlichen Gewaltmonopols. Um Völkerrecht und Grundgesetz zu umgehen, soll auf den Einsatz privater Söldnerfirmen gesetzt werden, die hier in einer rechtlichen Grauzone operieren können. Auch deutsche private Sicherheitsfirmen sind bereits seit Jahren in verschiedensten Konfliktgebieten der Welt im Einsatz, unter anderem in Somalia, in Irak und in Afghanistan. Durch die Privatisierung kann die parlamentarische Kontrolle umgangen, Kriegsführung vertuscht und eine Berichterstattung über die Aktivitäten im Ausland erschwert oder verhindert werden. Es bereitet heutzutage offenbar kaum noch Schwierigkeiten, die Konventionen der Vereinten Nationen oder der Afrikanischen Union zu umgehen, die den Einsatz von Söldnern deutlich verbieten.

Man muss sich vor Augen führen, dass es sich bei den Piraten in erster Linie um Menschen handelt, die Hunger und Elend treibt. Die Menschen vor Ort haben Probleme, ihren Lebensunterhalt zu verdienen – eine der Folgen ist die Piraterie. In einem Land, in dem es aufgrund jahrelangen Krieges keine funktionierende Wirtschaft und Verwaltung gibt und das überwiegend von internationalen Hilfen abhängt, leben tausende Familien davon.

Die Bundesregierung und deutsche Unternehmen sind auch durch ihre exportorientierte Wirtschaftspolitik mitverantwortlich für die Verschärfung der Konflikte in Ostafrika, da sie eben nicht auf die Entwicklung der Region, sondern seine wirtschaftliche Abhängigkeit setzen. Im Zuge der Finanzmarktkrise treiben Spekulanten wie die Deutsche Bank mit Termingeschäften die Grundnahrungsmittelpreise in astronomische Höhen. Die Folge sind Nahrungsmittelengpässe und Hungersnöte, die den Menschen die Lebensgrundlage rauben. Anstatt die Ursachen von Piraterie zu bekämpfen und den eigenen außenpolitischen Kurs zu überdenken, will die Bundesregierung nun mit der Ausweitung ihrer militärischen Präsenz eine Drohkulisse aufbauen.

Der Golf von Aden hat eine hohe strategische Bedeutung für die Wirtschaft der westlichen Länder, da über die Seeroute zwischen Somalia und Jemen über die Hälfte aller fossilen Brennstoffe transportiert wird. Jährlich kommen hier über 16 000 Schiffe durch. Hierbei handelt es sich nicht nur um zivile Fracht, sondern mehr und mehr um militärische Lieferungen – auch aus deutscher Produktion. Waffen die auch für Äthiopien oder Eritrea bestimmt sind und die zur Fortführung des Kriegs in der Region dienen.

Die Entsendung von Militär zum Schutz internationaler Handelsrouten und die weitere Lieferung von Waffen auf diese oder jene Seite in der Konfliktregion sind aber völlig ungeeignet für die Schaffung von Stabilität und Frieden. In Somalia herrscht eines der derzeit schlimmsten Flüchtlingselende auf der Welt. Mitverursacht auch durch eine Politik westlicher Staaten, die offenbar von der Instabilität des Landes profitieren. Eine weitere Erhöhung der Militärpräsenz wird auch nicht zu mehr Sicherheit in der Region führen. Entgegen den aktuellen Forderungen nach militärischer Aufrüstung der Handelsmarine belegen sogar die Zahlen aus den Berichten des International Maritime Bureau, dass die Piraterie im Golf von Aden seit der Präsenz von Kriegsschiffen enorm zugenommen hat.

Im Zusammenhang mit der Forderung der deutschen Reeder kann auch darauf verwiesen werden, dass gerade mal noch ein Sechstel der deutschen Handelsschiffe unter deutscher Flagge fahren. Einerseits verschafft man sich durch Ausflaggung offenbar gern finanzielle Vorteile, andererseits ruft man nach dem Staat, um militärischen oder polizeilichen Schutz der Handelsrouten zu garantieren.

Anstatt privaten Söldnerfirmen neue Märkte zu öffnen und durch Lockerung des Waffengesetzes das Kriegsgeschäft zu erleichtern, muss die Regierung ihre Politik gegenüber den afrikanischen Staaten ändern. Politische Lösungen sind Voraussetzungen für Frieden in Somalia. Wer an einer Lösung des Piraterieproblems interessiert ist, der muss sich ernsthaft für Frieden in der Region und für den Wiederaufbau staatlicher Strukturen stark machen.

Dafür ist eine Umkehr in der Aufrüstungspolitik und eine Abkehr des Exports von Kriegsgerät und Militärdienstleistungen unerlässlich. Den Plänen der weiteren Privatisierung hoheitlicher Aufgaben muss eine klare Absage erteilt werden. Anstatt militärischer Wege muss der Welthandel in den Dienst von Menschenrechten, Umweltschutz und Gerechtigkeit gestellt werden. Wenn sich Deutschland und Europa mit seiner Festungsmentalität weiterhin vom Elend in Afrika abschotten, tragen sie zur Eskalation von Konflikten nicht aber zu deren Lösung bei.

* Mike Nagler ist Mitglied im Koordinierungskreis des globalisierungskritischen Netzwerkes Attac und promoviert über den Einfluss von Eliten auf Privatisierungsprozesse.


Menschenraub auf hoher See

Von Ralf Nagel **

Seit drei Jahren sind unsere Besatzungen großer Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt, wenn sie in dem sehr weiten Seegebiet vor Somalia fahren. 15 deutsche Schiffe waren gekapert, die Besatzungen wurden zum Teil monatelang in Geiselhaft.

Die Piraterie vor Somalia hat nur ein Ziel: Brutalen Menschenraub. Es geht nicht um die Ladung oder die Schiffe. Es geht den Piraten nur um tausendfache Geiselnahme, um so Millionen Lösegelder zu erpressen. Verletzte und Tote werden dabei in Kauf genommen. Diese Piraterie kann nicht mit Raubüberfällen auf Geldtransporte an Land gleichgesetzt werden.

Die Bekämpfung und Strafverfolgung von Piraten ist eine hoheitliche Aufgabe. Daran gibt es nicht nur für die Reeder keinen Zweifel. Das ergibt sich bereits aus dem Internationalen Seerechtsübereinkommen, dem Deutschland 1994 beigetreten ist.

Selbstverständlich unternehmen Mannschaften und Reedereien alles technisch und organisatorisch Mögliche, um mit passiven Maßnahmen Piraten davon abzuhalten, an Bord zu kommen. Fest geschrieben ist das in den »Best Management Practices«, die inzwischen in der vierten Auflage vorliegen. Der Selbstschutz ist erfolgreich. Die »Erfolgsquote« der Piraten hat spürbar nachgelassen.

Aber die Piraten rüsten auf, die Überfälle werden brutaler, so dass Stacheldraht, Wasserschläuche und Schmierseife nicht mehr reichen. Selbst die sichere Zelle, in die sich die Besatzungen zurückziehen, wenn Piraten das Schiff gekapert haben, ist nicht wirklich sicher. Alle Experten wissen, dass der passive Selbstschutz an Grenzen kommt. Das gilt ebenso für die bisherigen staatlichen Maßnahmen zum Beispiel im Rahmen des Atalanta-Mandats der EU, an dem Deutschland dankenswerterweise beteiligt ist.

Wir mahnen schon lange an, endlich in einer Gesamtstrategie die verschiedenen Fähigkeiten zusammenzuführen, um wirksamer gegen die Piratenpest vorgehen zu können. Was darf und kann die Bundespolizei leisten und was braucht sie dazu? Was kann und darf die Deutsche Marine zusätzlich leisten, und was braucht sie dazu? Was können die Reeder zusätzlich zu den passiven Maßnahmen zum Beispiel durch den ergänzenden Einsatz seriöser, zertifizierter und an strenge Einsatzregularien gebundene private Sicherheitskräfte beitragen? Wie können die unterschiedlichen Möglichkeiten und Fähigkeiten koordiniert eingesetzt werden? Und schließlich auch, wie kann ein politisches Handlungskonzept aussehen, das mit der internationalen Staatengemeinschaft einen staatlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aufbau in Somalia unterstützt und den Menschen dort die Chance gibt, sich eine Lebensperspektive ohne Not und Kriminalität zu erarbeiten.

Die Bundesregierung hat ein solches Handlungskonzept gegen Piraterie nicht, anders als beispielsweise Dänemark. Stattdessen haben die Ministerien immer wieder diskutiert, ob die Polizei oder die Marine die Seeleute unmittelbar schützen müsste. Vorläufiges Ergebnis: Keine der beiden, sondern ausschließlich private Sicherheitsdienste im Auftrag der Reeder sollen das machen.

Dieses »Zuständigkeits-Hütchen-Spiel« ist der drittgrößten Schifffahrtsnation der Welt nicht angemessen und ignoriert, dass sich täglich friedliche Seeleute auf deutschen Handelsschiffen bei den Passagen durch den Indischen Ozean und den Golf von Aden größter Gefahr aussetzen, um unsere Volkswirtschaft am Laufen zu halten und ebenso, um den Warenverkehr zum Beispiel zwischen Indien und Ostafrika zu gewährleisten. Gerade auch die ostafrikanischen Staaten leiden unter der Piraterie.

Es ist erstaunlich, wie sehr die Realität unserer Welt hier verkannt wird. Zum Beispiel auch, dass wir jährlich alleine in Deutschland produzierte Warenwerte von über 165 Milliarden Euro in östlicher Richtung durch die Piratengebiete transportiert haben. Mit diesen Waren kann man nicht »drumherumfahren«.

Es gibt in der nationalen Debatte über die Piraterie immer wieder den Versuch, vom eigentlichen Problem abzulenken, in dem Negativ-Klischees gegen die Reederschaft bedient werden. Dass die Schifffahrtsbranche beispielsweise die einzige Branche ist, die ein weltweit ausgehandeltes Mindestlohnsystem hat, wird unterschlagen. Ebenso, dass wir in Kürze ebenfalls als einzige Branche weltweit über soziale Mindeststandards für die Arbeit an Bord verfügen werden. Diese Standards sind in der Maritime Law Convention der International Labour Organisation festgelegt und werden durch Hafen- und Flaggenstaatskontrollen überwacht, auch auf Schiffen von Staaten, die dieses Abkommen nicht ratifizieren.

Durch Flaggen- und Hafenstaatskontrollen werden die mittlerweile weltweit geltenden, sehr hohen technischen Sicherheits- und Umweltstandards überwacht. In der Schifffahrt gibt es schon lange eine sogenannte Schwarze Liste von Flaggenstaaten, die die Standards nicht einhalten und geächtet werden. Schiffe in deutschem Eigentum, die von Deutschland aus betrieben werden, sichern zehntausende Arbeitsplätze hier in Deutschland.

Die Seeleute auf deutschen Schiffen haben, wie alle Seeleute in internationaler Fahrt, ein Recht darauf, dass alle Beteiligten das ihnen Bestmögliche leisten, um sie besser zu schützen. Sie sind für uns unterwegs, in friedlicher Absicht.

** Ralf Nagel ist Hauptgeschäftsführer des Verbandes Deutscher Reeder. Der SPD-Politker war Senator für Wirtschaft und Häfen sowie Senator für Justiz und Verfassung in Bremen.

Beide Beiträge erschienen im Neuen Deutschland, 3. September 2011 ("Debatte")


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