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Söldner im Kampf gegen Piraten – wird die hohe See zu einem rechtsfreien Raum?

Ein Beitrag von Michael Weisfeld in der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien"

Joachim Hagen (Moderator der Sendung):

Seit zweieinhalb Jahren läuft jetzt die Operation Atalanta. Kriegsschiffe aus Staaten der Europäischen Union schützen den Schiffsverkehr am Horn von Afrika vor Piratenangriffen. Oder besser gesagt: Diese Schiffe versuchen es. Denn das Seegebiet ist 24 Mal so groß wie Deutschland und zurzeit sind dort gerade mal vier Kriegsschiffe sowie drei Flugzeuge zur Fernaufklärung. Und die Gefahr wird eher größer als kleiner. In den ersten sechs Monaten dieses Jahres wurden 160 Schiffe von Piraten attackiert. Das ist deutlich mehr als im entsprechenden Zeitraum der vergangenen beiden Jahre. Auch der Staatssekretär im Verteidigungsministerium Rüdiger Wolf räumte vor kurzem ein, dass ein so großes Gebiet mit den vorhandenen Kräften nicht vollständig zu überwachen ist. Deshalb verstehe er auch das Bedürfnis deutscher Reeder, private Wachleute an Bord zu nehmen:

O-Ton Wolf
„Soweit sie nicht selber dieses Seegebiet meiden können, und ich verstehe, dass dies in vielen Fällen nicht der Fall sein kann, wird es darauf ankommen, dass die Reeder sich auch selbst – jawohl selbst – entsprechend taktisch und operativ klug verhalten.“

Dieses Zugeständnis des Staatssekretärs im Verteidigungsministerium eröffnet allerdings auch einige rechtliche Fragen, denen Michael Weisfeld nachgegangen ist:

Manuskript Michael Weisfeld

Die deutschen Reeder fordern, dass der Staat ihnen hoheitliche Sicherheitsleute stellt, Bundespolizisten oder Soldaten, die auf ihren Schiffen mitfahren. Aber bisher gibt die Bundesregierung diesem Drängen nicht nach. Auf der anderen Seite bieten private Sicherheitsfirmen den Reedern ihre Dienste an. Vor etwa einem Jahr erlagen die ersten deutschen Reeder diesem Liebeswerben, seither sind es immer mehr geworden. Max Johns vom Verband Deutscher Reeder:

O-Ton Johns
„Die ersten Sicherheitsdienste haben versucht, 2008 in das Geschäft zu kommen, und das ist den meisten damals noch nicht gelungen. (..) Wir hatten vor allem Hoffnung auf das (..) internationale Seerechtsüberkommen, und darin ist sehr genau definiert, dass für die Pirateriebekämpfung staatliche Kräfte zuständig sind, (..) dass Polizei oder Militär (..) die einzigen Kräfte sein sollten, und (...) dass die Gewalthoheit auch auf hoher See nur von Staaten ausgehen sollte. Wir halten es nicht für vernünftig, wenn dauerhaft private Sicherheitsdienste in dieses Gewaltmonopol eindringen, es sollte ein Gewaltmonopol sein und es sollte tatsächlich in staatlicher Hand sein. Dort wird möglicherweise der Kern für etwas gelegt im Seerecht, was sehr lange Wirkung hat. Gleichwohl bleibt uns im Moment nicht anderes übrig, weil die Staaten uns eben nicht helfen.“

Kann die hohe See also zu einem rechtsfreien Raum werden, in dem Piraten und private Sicherheitsleute, die der Volksmund auch Söldner nennt, gegeneinander kämpfen?

Das Innenministerium in Berlin hat die Tür allerdings offiziell noch nicht zugeschlagen. Piratenbekämpfung sei Aufgabe der Bundespolizei, sagt ein Ministeriumssprecher. Bundespolizisten könnten grundsätzlich auf Schiffen unter deutscher Flagge mitfahren. Die Überlegungen seien noch nicht abgeschlossen, so ist zu hören.

Während die Bundesregierung also weiter prüft, haben private Sicherheitsfirmen im Indischen Ozean eine eigene Infrastruktur aufgebaut. Max Johns:

O-Ton Johns
„Die Teams befinden sich auf See, auf Versetzbooten: Das ist einmal vor der Südspitze Indiens, das ist im Roten Meer, (…) und das ist auch im weiteren Gebiet vor dem südlichen Afrika, vor Tansania ungefähr, also gerade außerhalb der gefährdeten Gebiete, sodass die bewaffneten Sicherheitsdienste zwei bis fünf Tage mitfahren, um dann auf der anderen Seite des gefährdeten Gebietes wieder auszusteigen, wieder auf ein solches Versetzschiff.“

Ihre Schnellfeuergewehre und Maschinenpistolen bringen die Sicherheitsleute mit. Es gehört zu ihren Aufgaben, solch brisantes Kriegswerkzeug durch Häfen und Flughäfen zu transportieren. Christoph Enge, geschäftsführender Gesellschafter der größten deutschen Schiffsversicherung:

O-Ton Enge
„Entscheidend ist, dass die Sicherheitsfirmen eine legale Infrastruktur haben, um die Waffen an Bord zu bringen, denn nichts ist schlimmer als wenn sie dann in der Presse lesen, das Team X von der Firma Y ist arrestiert worden in Oman oder wo auch immer wegen Waffenschmuggel.“

Zu den ersten Sicherheitsfirmen, die das Geschäftsfeld Piratenabwehr für sich erschließen wollten, gehört Blackwater. Im Irak erwarb sich die Firma einen zweifelhaften Ruf, weil ihre Angestellten in vermeintlicher Notwehr unbewaffnete Zivilisten erschossen hatten. Heute tritt Blackwater unter dem Namen „Xe Services“ auf. Einschlägige Erfahrungen auf See konnte die Firma zunächst nicht vorweisen. Zu dem Problem Pottengal Mukundan, Direktor des Internationalen Maritimen Büros in London, das sich mit Kriminalität in der Schifffahrt und mit Piraterie beschäftigt:

O-Ton Mukundan (overvoice)
„Es kommt darauf an, dass man die richtigen Sicherheitsleute einsetzt. Sie müssen gut ausgebildet sein, und sich mit Schiffen auskennen. Und sie müssen über eine ausgeprägte Selbstbeherrschung verfügen. Das ist sehr wichtig.“

Inzwischen hat Xe, früher Blackwater, eine Reihe ehemaliger Marinesoldaten unter Vertrag. Trotzdem haben viele Reeder wenig Vertrauen zu den international tätigen Sicherheitsfirmen. Sie befürchten, dass nervöse, schießwütige Männer an Bord kommen, die formell zwar dem Kommando des Kapitäns unterstehen, sich aber bei einem Schusswechsel nichts sagen lassen. Deswegen verlangen die deutschen Reeder vom Staat, dass er – wenn er schon keine Polizisten auf die Handelsschiffe schickt – zumindest die privaten Sicherheitsfirmen unter die Lupe nimmt. Max Johns vom Verband Deutscher Reeder:

O-Ton Johns
„Wir würden uns wünschen, dass (..) diejenigen Sicherheitsdienste, die verlässlich sind (..) bei denen wir dann auch sicher davon ausgehen können, dass sie nicht hintenherum mit den Hintermännern der Piraten vielleicht zusammenarbeiten und so für die Geldströme sorgen, die gerade unterbunden werden sollen, wenn es dort Zertifikate geben würde, und wir uns verlassen könnten, wen wir nehmen, das würde uns sehr helfen.“

Der Schiffsversicherer Christoph Enge, der den Reedern spezielle Policen gegen die Risiken Krieg und Piraterie anbietet, berät seine Kunden auch bei der Auswahl der Sicherheitsleute. Firmen aus Israel, Großbritannien und Südafrika dominieren den lukrativen Markt. Deutsche Unternehmen kommen selten zum Zuge.

Die Firma „Result Group“ aus München bietet auf ihrer Internet-Seite die - wörtlich - „Begleitung von Schiffen in High-Risk-Aereas“ an. Das Unternehmen wurde von einem Hauptkommissar der Bayrischen Polizei gegründet und hat sich lange darum bemüht, in arabischen Ländern Polizisten auszubilden. Jetzt hat „Result Group“ in der Piratenabwehr ein neues Standbein gefunden. Auskünfte dazu erteilt die Firma nicht.

Die Internationale Transportarbeitergewerkschaft ITF, die die Seeleute vertritt, ist gegen den Einsatz von Bewaffneten an Bord, egal, ob es sich um staatliche Kräfte wie Polizisten oder Soldaten handelt oder um private Sicherheitsleute. ITF-Fachgruppenleiter Karl-Heinz Biesold:

O-Ton Biesold
„Wir haben Sorge, dass mit der Bewaffnung an Bord die Spirale der Gewalt sich nach oben dreht. Wenn ich an Bord jemand habe, der schießt, (..) dass die dann auch mit schwereren Waffen kommen, und wir Tote haben werden, was heute (..) nur bedingt passiert. Das bringt uns in der Sache nicht weiter, hier muss ein konzertiertes Handeln aller Seefahrtsnationen über die UN organisiert werden.“

Im Piratengebiet sind inzwischen nicht nur Fregatten der NATO und EU unterwegs, sondern auch Kriegsschiffe aus Russland, China und Indien. Wenn sie alle koordiniert operieren, könnten sie nicht nur vor der Küste Somalias, sondern auch in der Weite des Indischen Ozeans effektiv sein, meint der Gewerkschafter Biesold. Sie könnten die Mutterschiffe der Piraten auf kurze Distanz beobachten, sodass von ihnen keine Angriffe mehr ausgehen würden.

Dass durch den Einsatz von bewaffneten Sicherheitsleuten die Gewalt eskalieren könnte, hält auch Pottengal Mukundan vom Internationalen Maritimen Büro für wahrscheinlich. Und Schiffsversicherer Enge sagt:

O-Ton Enge
„Es gibt sicherlich die Gefahr, dass es eskaliert, dass die Piraten ihre Taktik ändern und die Besatzungen angreifen. Nur: Was ist die Alternative? Nach den Erkenntnissen, die wir haben, hat es bisher keinen erfolgreichen Überfall auf ein Schiff gegeben, was bewaffnete Sicherheitskräfte an Bord hat, die eine bestimmte Qualität haben. Insofern kann man sagen: Es hat sich bewährt. Die zeigen sich, zeigen ihre Waffen, daraufhin drehen die ab, weil das ein zu schwieriges Ziel für sie ist, und die suchen sich dann lieber ein weicheres Ziel. Es hat auch Feuergefechte gegeben, aber ich weiß jetzt nicht, in welchem Umfang, ich weiß nicht, inwieweit es Opfer gab. Ich glaube auch, dass es darüber keine belastbaren Zahlen gibt, weil das auch nicht an die Öffentlichkeit geraten soll.“

Wahren die privaten Sicherheitsleute die Verhältnismäßigkeit der Mittel? Achten sie das internationale Recht und die Menschenrechte? Fragen die offen bleiben. Denn Öffentlichkeit oder gar öffentliche Kontrolle sind unerwünscht. Insofern besteht die Gefahr, dass die hohe See tatsächlich zu einem rechtsfreien Raum wird.

* Aus: NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien", 13. August 2011; www.ndrinfo.de


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