Leserreaktionen auf Ludger Volmers Abrechnung mit dem Pazifismus - Teil II
"Ein bisschen Pazifismus gibt es nicht"
Die Leserdebatte in der Frankfurter Rundschau zum Wesen und Begriff des Pazifismus geht weiter. Wir dokumentieren einige Leserbriefe. (Die erste Staffel an Briefen finden Sie hier!)
Die Definitionsmacht darüber, was "richtiger" Pazifismus ist, steht Volmer nicht zu
Zu Was bleibt vom Pazifismus (FR vom 7. Januar 2002): Geradezu rührend mutet
der Versuch Ludger Volmers an, die Pazifisten sozusagen auf Linie zu bringen. Er
predigt den "neuen politischen Pazifismus", den er erträumt und der, wie er meint,
die Weltpolitik in Zukunft bestimmen wird. In einem Leserbrief können die einzelnen
Gedankengänge des Verfassers nicht nachvollzogen und, wo nötig, konterkariert
werden. So viel deshalb allgemein dazu: Der radikale Pazifist wird über den Artikel
mit einem Achselzucken hinwegsehen. Er ist und bleibt in den Augen anderer ein
"nützlicher Idiot", dessen Proteste Volmer im Einzelfall billigt, dessen Kritik an der
aktuellen Politik freilich unerwünscht ist. Unfair ist es, ihn als den darzustellen, der
sich bequem in seinen Sessel zurücklehnt und sich vor der Verantwortung drückt.
Bequem hatte es ein Pazifist noch nie. Pazifismus, der sich nicht auf reine
Gesinnungsethik beschränkt, sondern auch Verantwortung sieht, also etwa
Notwehr und Nothilfe, dies selbst am staatlichen Bereich, im Extremfall für
unausweichlich hält, kann und darf aber die Augen nicht davor verschließen, was
tatsächlich passiert, und wird immer ein unbequemer Mahner bleiben.
Er könnte zum Beispiel so denken: Jeder Krieg ist Wahnwitz. Die Opfer, die er
fordert, dürfen nicht als "Kollateralschäden" verniedlicht werden. Anders, als Ludger
Volmer es meint, kann ein Pazifist, also jeder, der Gewalt verabscheut und sie nur
im äußersten Notfall für entschuldbar hält, die derzeitige Weltpolitik auf einer
schiefen und äußerst bedrohlichen Bahn sehen. Er glaubt zum Beispiel nicht an
einen geläuterten Präsidenten Bush samt seiner Administration, sondern liest und
hört, wie hier Politik nach Art eines engstirnigen texanischen Sheriffs gemacht
wird, der sich dazu für einen guten Christenmenschen hält und genau weiß, was
Gut und Böse ist.
Dabei entsteht der fatale Eindruck, dass sich die Einteilung danach richtet, was
gut oder schlecht für die USA ist. Solche Glaubensgewissheiten sind gefährlich
und ein Merkmal der Fundamentalisten, die wiederum anfällig gegenüber dem
Terrorismus sind.
Gefährlich ist vor allem auch die zu beobachtende Aufweichung des Völkerrechts,
das sich den Machtinteressen der Starken anpasst und den ehernen
Rechtsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit der Mittel vernachlässigt, von der
Missachtung der Vereinten Nationen ganz abgesehen. Wenn es zulässig ist,
einzelne Verbrecher oder Verbrecherbanden auf fremdem Territorium ohne
Zustimmung der jeweiligen Regierung, mag sie legitim erscheinen oder nicht, mit
militärischen Mitteln anzugreifen und damit einen Krieg gegen den fremden Staat
zu entfesseln, ist das meines Erachtens Pervertierung des Rechts und ein Rückfall
in eine primitive Selbstjustiz.
Das hat schon jetzt verheerende Folgen: Israels Scharon rechtfertigt seine brutale
Gewalt gegen die Palästinenser (hier soll kein Terrorist entschuldigt werden!) mit
dem amerikanischen Vorgehen in Afghanistan, und ähnlich argumentiert der
indische Premierminister gegenüber "seinen" Terroristen in Pakistan. Die
Außenminister der sog. Shanghai-Gruppe, also China, Russland, Kasachstan,
Usbekistan und so weiter wollen "schärfer und gemeinsam" gegen den Terrorismus
in ihren Grenzen vorgehen. Hinter diesen Terroristen verbergen sich aber auch und
vor allem unterdrückte Minderheiten, deren berechtigte Forderungen auf Achtung
ihrer Menschenwürde missachtet werden. So gewinnt man freie Hand und kann auf
die Menschenrechte, die der Westen einfordert, pfeifen.
Dies sind nur einige kritische Bemerkungen eines "aufgeklärten Pazifisten" zu dem
Appell Ludger Volmers, seine Sicht der Friedenspolitik mitzutragen. An ihn richtet
sich der Appell, nichts zu verniedlichen und nichts zu verschweigen, sondern einen
offenen Dialog mit Andersdenkenden zu führen.
Den Frieden und eine Weltfriedenspolitik wollen alle. Über die Wege dahin kann fair
gestritten werden. Die Definitionsmacht darüber, was "richtiger Pazifismus in der
jeweiligen Situation ist, steht dem Verfasser des Artikels aber nicht zu.
Dr. Ernst Ankermann, Lübeck
28.01.2002
"Handlungsfähig" wofür?
Zu Pazifisten müssen umdenken und Was bleibt vom Pazifismus (FR vom 7.
Januar 2002): Dass Ludger Volmer als Teil der Regierungsmaschinerie wegen der
verstärkten Militarisierung der deutschen Außenpolitik seinen grünen
Parteifreunden gegenüber in Rechtfertigungszwänge gerät, kann niemanden
überraschen, der sich, und sei es inzwischen auch nur noch dunkel, an die
ursprüngliche Motivationslage der Grünen erinnert. Da geht es Volmer wenig
anders als seinem Parteikollegen, dem Minister für Umwelt. Doch dass er deshalb
derart kategorisch denkt und formuliert, stimmt bedenklich. So "fordert" er von den
Anhängern des Pazifismus "ein Umdenken".
Er macht damit den ersten Schritt auf einem Weg, wo dann nur noch wenig fehlt,
um Andersdenkende anzuprangern … Denn er sagt nicht: "nach meiner
Auffassung, mit der ich mich auch irren kann" und mit der er Respekt vor einer
gegenteiligen Ansicht ausdrücken würde, er formuliert apodiktisch: "Innerhalb des
Politischen ist ein abstrakt-gesinnungsethischer Pazifismus handlungsunfähig."
Punktum. Da wird weder "das Politische" oder die "Handlungsfähigkeit" definiert
noch die Berechtigung, Handlungsfähigkeit als oberste Maxime anzusetzen,
hinreichend reflektiert. Da wird Pazifismus durch das pauschale Label "abstrakt"
zum Buhmann degradiert, auf den sich fröhlich einschlagen lässt.
"Das Politische" meint vielleicht die Staaten-Gemeinschaft beziehungsweise deren
politisch agierende Gruppen, vor allem in den Ländern der westlichen
Industriestaaten, allen voran die USA, welche auch die UN dominieren. Wenn diese
zu einer "Aktion Bestrafung der Terroristen" aufrufen, mag bei denen die Erwartung
existieren, Deutschland solle sich daran beteiligen. Ob dieser Erwartung
entsprochen wird, muss in einer Demokratie Ergebnis offener Diskussion sein.
Dabei kann die pazifistische Position unterliegen, dass Pazifisten deshalb gleich
"umdenken" müssen, ist besonders dann nicht gesagt, wenn von
"uneingeschränkter Solidarität" hinsichtlich der Teilnahme an einer höchst
zweifelhaften Bestrafungsaktion in Form einer militärischen Aggression
schwadroniert wird. Wer von "Handlungsfähigkeit" spricht, muss sich fragen
lassen, Handlungsfähigkeit wofür? Die Volmers meint offensichtlich die
Möglichkeit, auch militärische Unterstützung zu leisten für einen Angriffskrieg
gegen Taliban-Afghanistan … Dass der schnelle Zusammenbruch des
Taliban-Regimes jetzt nur noch die Beteiligung an einer Frieden stiftenden Aktion
erfordert, ist Zufall. Handlungsfähigkeit auf pazifistischer Grundlage ist möglich.
Man muss sie nur wollen.
Hans-Jürgen Kolbe, Schwanewede
26.01.2002
Aufs Ganze gesehen ist heute starker Pazifismus
nötiger denn je
Zu Ludger Volmers Beitrag Was bleibt von Pazifismus (FR vom 7. Januar 2002)
und dem darauf eingehenden Leserbrief von Alexander Reisenhofer Wie der grüne
Staatsminister den Pazifismus zerfleddert (FR vom 10. Januar 2002): Zum Glück
wird der Pazifismus, der mit den Namen Bertha von Suttner, Rosa Luxemburg, Carl
von Ossietzky, Kurt Tucholsky, Mahatma Gandhi, Martin Luther King und Nelson
Mandela verbunden ist, sowohl den Staatsminister Ludger Volmer als auch den von
ihm erfundenen "politischen Pazifismus" überleben. Wenn heute dieser Pazifismus
nicht besonders stark in Erscheinung tritt und Niederlagen erleidet, dann liegt das
daran, dass nach dem 11. September 2001 tatsächlich eine neue Form des
Militarismus alle Andersdenkenden niederwalzt.
Dieser neue Militarismus wird einerseits angefeuert durch einen schon
Faschismus-Züge zeigenden Patriotismus in den USA. Er wird aber auch weltweit
medial unterstützt durch die ungeheure Vervielfältigung der Schreckensbilder vom
11. 9. Und schließlich hat dieser neue Militarismus gegen seine proklamierten
Gegner, den internationalen Terrorismus, seine ersten (möglicherweise
Pyrrhus-)Siege errungen. Wer sich öffentlich unter diesen Umständen für
nichtmilitärische Methoden einsetzt, wird entweder totgeschwiegen oder gerät gar
in den Verdacht, dem Terrorismus nahe zu stehen.
Auf der anderen Seite hat Volmer mit der Entwicklung seines politischen
Pazifismus, der Militäreinsätze gutheißt, seinen persönlichen Weg vom
Kriegsgegner zum Realpolitiker beschrieben, der auch Bombardierungen
Unschuldiger in Kauf nimmt. Aber schlimmer noch, dieser Realpolitiker ist so
blauäugig, nicht sehen zu wollen, welche Gelegenheiten sich der verbliebenenen
Supermacht bieten, unter dem Deckmantel der Terrorismus-Bekämpfung ihre
hegemonialen Stellungen zur Sicherung ihres überdimensionalen
Rohstoffverbrauchs auszubauen. Diese nunmehr globalisierte Sicherheitspolitik
verschärft sämtliche durch globalisierte Wirtschaftspolitik schon angerichteten
Schäden für die Umwelt und für die soziale Situation vieler Menschen.
Insgesamt gesehen ist heute starker Pazifismus nötiger denn je. Ein Pazifismus,
der die bombenden Realpolitiker in die Schranken weist, der einer weltweit immer
stärker in Erscheinung tretenden faschistoiden Politik (zum Beispiel gegenüber
Flüchtlingen weltweit, gegenüber dem Rechtsstaat allgemein, gegenüber
Volksgruppen wie dem palästinensischen Volk oder den Kurden) Zügel anlegt.
Dieser Pazifismus könnte darauf verweisen, dass seinerzeit einer der größten
Verbrecher des Naziregimes, Adolf Eichmann, der Millionen Tote zu verantworten
hatte, nicht durch eine Bombardierung und Zerstörung Paraguays und Argentiniens
zur Strecke gebracht wurde, sondern durch hochintelligente Aktionen des
israelischen Geheimdienstes. Dieser hat ihn sogar lebend nach Israel gebracht, wo
er einem ordentlichen Gericht zugeführt wurde.
So sehen die Methoden aus, die - ohne sinn- und wahlloses Bombardieren - zum
Ziel führen, Terroristen zu fassen und rechtmäßig abzuurteilen. Die ganz aktuelle
Konzentration von verhafteten Moslems unter menschenunwürdigen Bedingungen
in einem US-Militärlager auf Cuba - ohne jegliches Gerichtsverfahren - stellt ein
weiteres absurdes Beispiel dafür dar, wie die Spirale der Gewalt weiter gedreht
werden kann. Ein solch wahnwitziger Rachefeldzug wird erneute Gewalt erzeugen,
wie in Israel-Palästina jeden Tag demonstriert wird.
Die Terrorismusfrage selbst lässt sich ansonsten nur durch eine weit gespannte
Politik gegen die unmenschlichen, unsozialen Folgen der derzeitigen
Globalisierung bewältigen: Dies bedeutet Kampf gegen Armut und Unterdrückung,
nicht aber für den Reichtum Weniger und deren Vorherrschaft.
Die so genannten Globalisierungsgegner und die verbliebenen Pazifisten müssen
gemeinsam gegen die jetzigen Politikauswüchse des globalisierten Militarismus
vorgehen, der die deutsche Politik kritiklos und mit unbedingter Solidarität folgt.
Prof. Dr. Jürgen Rochlitz, Burgwald
25.01.2002
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