Leserreaktionen auf Ludger Volmers Abrechnung mit dem Pazifismus
Die Skala reicht von Skepsis bis barscher Zurückweisung
Im Folgenden dokumentieren wir die ersten sechs Leserbriefe, die im Anschluss an Ludger Volmers Absage an den Pazifismus der Friedensbewegung von der Frankfurter Rundschau abgedruckt wurden.
Die Grünen mutierten schon 1999 in der Farbskala zu Oliv
Zu dem Artikel Was bleibt vom Pazifismus (FR vom 7. Januar 2002): Das ist der
unverhohlene Versuch des Staatsministers im Auswärtigen Amt, Ludger Volmer,
die deutsche Bevölkerung kriegswillig zu machen. Er fragt zum Thema Terrorismus
und Pazifismus: "Sollen die alten Pazifisten ausgerechnet jetzt aus der Politik
aussteigen, nur weil militärische Mittel nicht ganz verzichtbar sind?"
Ludger Volmer versucht, bereits feststehende Begriffe - wie Pazifismus -
entsprechend der Opportunität des politischen Tagesgeschäfts in seinem Sinne
umzubiegen. Der Blick in ein Lexikon hätte ihm gezeigt, dass Pazifismus definiert
ist als Grundhaltung und Bewegung, die aus ethischen Gründen Gewaltanwendung
sowie militärische Vorbereitung eines Krieges verwirft und kompromisslose
Friedensbereitschaft fordert. Für Pazifisten - ob Jung oder Alt - stellt sich daher
nicht die zitierte Frage. Bündnis 90/Die Grünen mutierten schon 1999 in der
Farbskala zu Oliv, als sie den Angriffskrieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien
akzeptierten. Daher ist ihre Aussage unehrlich, sie "bleiben auch der pazifistischen
Tradition verpflichtet und verbunden" (aus dem Beschluss der 17. Ordentlichen
Bundesdelegiertenkonferenz von Bündnis 90/Die Grünen im November 2001).
Die Partei klebt an den Regierungsstühlen, hat eigenständige Politik aufgegeben
und passt sich einseitig machtpolitischen und wirtschaftlichen Interessen an. Sie
nutzt Gewaltanwendung und Krieg als Mittel der Politik und unterwirft sich damit
auch Forderungen von Militärs (zum Beispiel formuliert vom Generalinspekteur der
Bundeswehr Naumann, FR vom 9. Dezember 1992). Dieses Vorgehen des
Westens ist erfahrungsgemäß nicht lösungsorientiert; denn es erhält weltweit den
Kreislauf von Verelendung, Gewalt und Krieg. Der damit verbundenen Politik
können Pazifisten zum Beispiel begegnen, indem sie die dafür verantwortlichen
Politiker nicht mehr wählen. Damit steigen Pazifisten nicht aus der Politik aus,
vielmehr machen sie Politik und fördern den Wandel. Ursula Eigenwillig
Dr. Gerd Georg Eigenwillig, Frankfurt am Main
24.01.2002
Ein "bisschen Pazifismus" gibt es nicht
Zum Beitrag Was bleibt vom Pazifismus (FR vom 7. Januar 2002) von Ludger
Volmer: Was bleibt vom Pazifismus - bei den Grünen? Dieser Artikel wirft eine
weitere Frage auf: Was bleibt von der deutschen Aufklärung - in der deutschen
Außenpolitik?
Schon Immanuel Kant klagte in seiner Schrift Zum ewigen Frieden von 1795, dass
sich politisches Handeln meist nach der "Staatsklugheit" richtet und nicht nach der
"Vernunft" (als humane Dimension) und dass dies der Nährboden immer weiterer
Kriege sei.
Genau in diese Richtung der "Staatsklugheit" geht die Argumentation von Ludger
Volmer mit stiller Akzeptanz aller Folgen der "Unvernunft", - beispielsweise, was
das Leiden der Zivilbevölkerung in Afghanistan, besonders das Elend von
hunderttausenden Kindern, betrifft: Aktionismus im Sinne von "Der (gute) Zweck
heiligt die Mittel" scheint hier die einfache "Antwort" von Volmer auch auf die
globale soziale Problematik zu sein (denn die hat mit dem modernen Terrorismus
etwas zu tun). Nebenbei: Wo bleiben wirkungsvolle "begleitende humanitäre
Maßnahmen", die unser Kanzler Gerhard Schröder versprochen hat? . . .
Der Artikel mündet in dem Begriff "Politischer Pazifismus": Damit will Volmer dem
gegenwärtigen rot-grünen politischen Handeln eine humane Dimension geben, -
quasi als "Antwort" auf drängende Gegenwartsprobleme. Die aktuelle politische
Realität zeigt jedoch, dass dieser Begriff paradox, wenn nicht absurd ist:
"Pazifismus" kann eigentlich nicht als solcher bezeichnet werden, wenn er dem
Pragmatismus einer Machtpolitik untergeordnet wird. Ein "bisschen Pazifismus"
gibt es ebenso wenig wie ein "bisschen Frieden".
Manfred Schmelz, Malsfeld
23.01.2002
Politischer Pazifismus?
Zu dem Beitrag Was bleibt vom Pazifismus (FR vom 7. Januar 2002): Ludger
Volmer erfindet den "politischen Pazifismus", um den Grünen das Image einer
pazifistischen Partei zu retten. Dieser "Pazifismus" erlaubt es, alle Kriege der Nato
zu unterstützen. Volmer verlangt zwar das Primat der Politik und unter anderem ein
"humanitäres Kriegsvölkerrecht".
Im Hinterkopf allerdings haben die Vertreter des "politischen Pazifismus" immer,
dass als letztes Mittel immer noch der Krieg bleibt, nach Volmer unter der Geltung
eines "humanitären Kriegsvölkerrechts". Dieser schöne Begriff konnte Volmer nur
einfallen, weil er nie Soldat im Krieg war.
Ich habe Krieg als Soldat im Einsatz in Russland erlebt und nach
Lazarettaufenthalten auch noch nach der Invasion in der Normandie. Mir könnte ein
solches Denkmonster nie in den Sinn kommen. Was soll denn am Krieg humanitär
werden? Dass es nur noch schnell tötende Kopfschüsse geben wird und keine
quälenden Bauchschüsse mehr?
Die Attentate vom 11. September 2001 richteten sich wie andere vorher gegen die
USA. Es erschreckte die hohe Zahl der Opfer. Es sei daran erinnert, dass jede der
beiden Atombomben, die auf Hiroshima und Nagasaki fielen, mehr als 100 000
Menschen tötete, überwiegend Frauen und Kinder.
Schon am 11. September und immer noch an den Tagen danach haben George W.
Bush und Gerhard Schröder die Attentate als Krieg bezeichnet. George W. Bush
baute einen riesigen Militärapparat auf und stationierte ihn in Nahost. Beide den
Krieg immer im Hinterkopf. Es entstand eine von einem fanatischen Nationalismus
gespeiste Kriegsatmosphäre, die sich bald auf Afghanistan konzentrierte.
So menschlich verständlich solche Reaktion vielleicht sein mag, den
verantwortlichen Politikern ist sie nicht zu verzeihen. Sie arbeiteten den
Verbrechern der Attentate in die Hände, weil sie in der Bevölkerung Angst und
Schrecken noch steigerten. Schröder solidarisierte sich uneingeschränkt (!) mit
dieser Haltung. In Vollzug des "politischen Pazifismus" wurde Afghanistan mit
Krieg überzogen, um einen Mann zu fangen: Osama bin Laden. Bis heute ist er
nicht gefasst, aber das schon zerstörte Land wurde noch mehr zerbombt, eine
unbekannte Zahl, sicher mehr als tausend, von Zivilisten, Frauen, Kindern wurde
getötet, Zehntausende von Flüchtlingen sind in Lebensgefahr durch Hunger und
Kälte.
Das ist das Ergebnis einer Politik, die als Pazifismus, wenn auch politischen, zu
bezeichnen Volmer den Mut (die Chuzpe?) hatte.
Hans-Joachim Lemme, Frankfurt a. M.
19.01.2002
Vielleicht muss ein Staatsminister im Auswärtigen
Amt nicht unbedingt etwas von Geschichte verstehen .
. .
Zu dem Beitrag Was bleibt vom Pazifismus (FR vom 7. Januar 2002) von Ludger
Volmer: Schweres argumentatives Geschütz fährt der Grünen-Politiker und
Staatsminister im Auswärtigen Amt gegen alle diejenigen auf, die es noch wagen,
der Kriegspolitik der Regierung der USA und der "uneingeschränkten" deutschen
"Solidarität" mit derselben zu widersprechen. Pazifismus, so will Volmer die Leser
glauben machen, müsse sich heute in der Gefolgschaft zu George W. Bush - und
Gerhard Schröder sowie Joseph Fischer - beweisen. Um solcher Art ideologische
Disziplinierung geht es dem Staatsminister, und deshalb erzählt er Irreführendes
über historische Herkünfte des Pazifismus.
Pazifisten oder Antimilitaristen in der einstigen Arbeiterbewegung hätten als "arme
Schlucker" das damalige "Imponiergehabe . . . der hohen Herren" nicht leiden
können, aber das sei ja heute kein Problem mehr, meint Volmer. Hat er nie gehört,
dass es eine sehr reale und barbarische Kriegspolitik der Machteliten war, die den
Widerstand sozialistischer Gegner des staatlichen Massenmords herausforderte?
Die gewaltfreie Auffassung vom Christentum sei nur "ethisch abstrakt" gemeint
gewesen, "Handlungsmoral" müsse sie der "Politik" überlassen, um nicht
"fundamentalistisch" zu werden, meint Volmer. Hat er nie davon gehört, dass
christliche Pazifisten sich sehr konkret im Widerstand gegen eine wiederum sehr
konkrete Politik befanden, die auf Gewalt setzte und dies christlich zu legitimieren
suchte? Nun muss vielleicht ein Staatsminister im Auswärtigen Amt nicht
unbedingt etwas von der Geschichte verstehen. Aber er sollte dann wenigstens die
gegenwärtige Realität, die viel zitierte, zur Kenntnis nehmen. "Emanzipation" des
Volkes in Afghanistan, schreibt Volmer, sei das Ziel des "militärischen
Eingreifens". Wie denn das? Hieß es nicht, die Ergreifung bin Ladens sei die
leitende Absicht? Mit dem Etikett "Emanzipation" hatten seinerzeit schon die
Sowjets ihre Invasion in Afghanistan geschönt. (…) Ist dem "außenpolitischen
Experten" Volmer entgangen, dass terroristische "Nichtregierungsorganisationen"
in enger Kooperation mit interessierten Regierungs-"Organisationen" aufgekommen
sind, dass sie vielfach Stellvertreterkriege zu führen hatten …? (… ) Russland und
China seien jetzt beteiligt an der "Allianz gegen den Terrorismus", nun dürfe man
sie nicht "ideologiekritisch denunzieren", schreibt Volmer. Er will also darüber
hinwegsehen, dass diese - und andere - Staaten ganz real und nicht nur in ihrer
Ideologie Menschenrechte verletzen. Und die USA? Volmer lobt "Selbsteinbindung
in internationale Strukturen, die zentrale Rolle der Vereinten Nationen, humanitäres
Kriegsvölkerrecht und Verhältnismäßigkeit der Mittel". Wirft Volmer nie einen Blick
in die liberale Presse des Auslandes? Ist er nie darauf gestoßen, dass exakt in die
eben genannten Anforderungen die gegenwärtige Realität der US-amerikanischen
Regierungspolitik - als Kriegspolitik - sich nicht einfügt? Hat er nicht
mitbekommen, dass US-amerikanische Politiker, keineswegs Pazifisten, unter
ebendiesen Gesichtspunkten die politische und militärische Strategie der eigenen
Regierung kritisieren? (…)
Klaus Vack, Sensbachtal
17.01.2002
Versagen der Politik
Zu dem Leserbrief Wie der grüne Staatsminister den Begriff "Pazifismus" zerfledert
(FR vom 10. Januar 2002): Der Kritik Alexander Reisenhofers am Beitrag von
Ludger Volmer ist zuzustimmen: Die Grünen haben den Pazifismus aufgegeben.
Selbst wenn man Volmers Aufgliederung des Pazifismus in 10 Phasen akzeptiert,
waren für diesen immer die prinzipielle Ablehnung von Krieg und ein Gegeneinander
von oben und unten bzw. rechts-links charakteristisch: im Krieg der Herrschenden
wollten die kleinen Leute nicht das Kanonenfutter sein … Diese beiden
Charakteristika sind in Volmers neuem Pazifismus-Begriff nicht mehr gegeben.
Der radikalislamische Terrorismus gehört zum Konfliktpotenzial der postkolonialen
Welt: viele Menschen in Asien und Afrika reagieren auf den Einfluss des Westens
und der Moderne mit einer Radikalisierung, Politisierung und Verzerrung ihrer
Religion und Kultur. Eine pazifistische Position sollte in diesem Konflikt jegliche
neokolonialistische Haltung vermeiden, den Dialog auf gleicher Augenhöhe suchen
und die Menschen in Asien und Afrika ihren eigenen Weg in die Moderne finden
lassen. Zur pazifistischen Position gehören sowohl die Kritik an der Globalisierung
als auch die an der aggressiven Haltung des radikalen Islam. Letzteres schließt die
Gegenwehr gegen einen terroristischen Anschlag und die Anwendung kriegerischer
Mittel als Ultima Ratio nicht aus. Reisenhofer hat aber Recht mit seiner
Beobachtung, dass in den letzten Monaten die Politik versagt hat und den Militärs
viel zu schnell das Feld überlassen wurde. (…)
Georg Schmelz, Mannheim
12.01.2002
Wie der grüne Staatsminister den Begriff "Pazifismus"
zerfleddert
Zu dem Beitrag Was bleibt vom Pazifismus (FR vom 7. Januar 2002) von
Staatsminister Ludger Volmer (Bündnis 90/Die Grünen) über eine Weltinnenpolitik:
Mit dem Begriff "Pazifismus" wird eine weltanschauliche Strömung bezeichnet, die
jedem Krieg als Mittel der Auseinandersetzung ablehnt. Viele grüne Stammwähler
kommen aus den Reihen der Pazifisten. Im Wahljahr 2002 versucht man nun trotz
Ja zum Krieg die führende Friedenspartei zu bleiben.
Um diese Quadratur des Kreises zu begünstigen, "entkernt" Ludger Volmer erst
einmal das Wort "Pazifismus", indem er diesen eindeutigen Begriff in - sage und
schreibe - zehn Unterarten zerfleddert: "Politischer Pazifismus",
"Abstrakt-gesinnungsethischer P.", "Klassenkämpferischer P.", "Strenger
Ohne-mich-P.", "Nachkriegs-P.", "Anti-imperialistischer P.", "Nuklear-P.", "P. der
90er Jahre", "P. der Minimierung der bewaffneten Gewalt", "Alter P.". Am Ende
wird auch noch der letzte 68er-Idiot glauben lernen, dass man für den "Grünen
Pazifismus 2002" nicht auf Krieg verzichten muss.
Nicht alles, was der Staatsminister als Realität bezeichnet, ist real. Volmers
Aussagen, "das neue Jahrhundert begann mit einer neuen Bedrohung, einem
neuen Feind" und "Massenvernichtungswaffen in den Händen von Terroristen - das
ist die neue Gefahr" sind sachlich falsch. Wo ist der neue Feind, die neue Gefahr,
die neue Bedrohung? Seit Jahren gibt es Terroranschläge auf zivile Flugzeuge, der
Jet als Bombe wurde spätestens nach Tschernobyl zur Horrorvision.
Selbstmordattentäter, internationale Terrorausbildung und Anschläge auf
Hochhäuser gibt es schon länger.
Seit über zehn Jahren weiß man von Massenvernichtungswaffen in
"Schurkenstaaten". Die Taliban sind ebenso wie Osama bin Laden schon länger
bekannt. Auch die Völkermorde in Bosnien und Ostafrika ereigneten sich vor der
Bundestagswahl 1998, zu der die Grünen noch auf Pazifismus eingeschworen
waren.
"Pazifismus heute kann militärische Gewalt als Ultima Ratio, als letztes Mittel
nicht leugnen (. . .)", sagt Ludger Volmer und irrt auch hier. Pazifismus kann nicht
nur "leugnen", er muss es sogar! Deswegen bin zum Beispiel auch ich kein
Pazifist, sondern nur Kriegsgegner.
Als Ultima Ratio würde ich nämlich militärische Mittel nicht ganz ausschließen.
Aber weder im Falle Kosovo noch in Afghanistan war auch nur annähernd eine
"Ultima-Ratio-Situation" erreicht. In beiden Fällen haben Diplomatie und Politik
versagt und/oder viel zu schnell das Feld den Militärs überlassen.
Alexander Reisenhofer, Lengerich
10.01.2002
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