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"In die alte Arbeiterbewegung schauen"

Marx21-Aktivist Stefan Bornost über linke Regierungen und Zwangsjacken, Entscheidungsschlachten und netzpolitische Leerstellen von Marx *

"In die alte Arbeiterbewegung schauen" Marx21-Aktivist Stefan Bornost über linke Regierungen und Zwangsjacken, Entscheidungsschlachten und netzpolitische Leerstellen von Marx
Marx im Titel, Marx am gesamten ersten Tag und in weiteren Workshops. Warum so viel Marx bei einem allgemeinen politischen Kongress?

Seit Beginn der Krise gibt es ein Marx-Revival. Aber nur von Marx als Ökonom, der die Globalisierung vorausgesehen hat und das schnelle Jagen des Kapitals um den Globus. Wenig thematisiert wird Marx als Revolutionär, der Organisationen aufgebaut hat, die aus der Theorie eine politische Praxis entwickelt haben. Und Marx als Gesellschaftstheoretiker, der Phänomene erfasst wie Entfremdung und Frauenunterdrückung, was ein wichtiges Themen für diesen Kongress ist.

Zur Person

Stefan Bornost, ist Journalist und Redakteur des Journals "Theorie 21". Der 39-Jährige ist Mitglied der LINKEN und des Netzwerkes Marx21 und mitverantwortlich für den Kongress "Marx ist muss".



Marx21 ist ja mehr als ein Fanclub von Marx. Welche Bedeutung hat der Kongress für Ihr Netzwerk innerhalb der Linkspartei?

Wir wollen damit Leuten ein Angebot machen, politisch aktiv zu werden. Mit der LINKEN-Gründung 2007 ist ein neuer Rahmen entstanden, in dem man lang anhängende Debatten klären kann. Die LINKE ist seither eine Reformpartei, die die Ablehnung des Neoliberalismus und imperialistischer Abenteuer überwiegend eint. Auf welchem Wege man die Verhältnisse ändert, darüber gibt es Debatten: ob über Regierungsbeteiligungen oder in einer Doppelstrategie kombiniert mit außerparlamentarischen Aktionen oder ob außerparlamentarische Betätigung konträr zu Regierungsbeteiligung steht.

Sind Sie da entschieden?

Das sind wir. Unter den gegebenen Rahmenbedingungen, Stichwort Schuldenbremse, führt linke Regierungsbeteiligung in eine Sackgasse. Man kann zwar zwei, drei Leuchtturmprojekte durchsetzen, wird aber in eine Zwangsjacke gesteckt und muss sich zum Büttel von Austeritätspolitik machen, unabhängig von den Intentionen der Akteure.

Thüringen, Brandenburg, Berlin - alles falsch?

Ja, das ist falsch. Selbst Harald Wolf hat in einem Resümee seiner Regierungszeit in Berlin gesagt, man habe massiv unterschätzt, wie wenig man die SPD nach links bewegen kann und man habe eine Mentalität ausgebildet, wo man die Fraktion als den agierenden Teil der Partei wahrgenommen hat und die Partei und ihre Mitglieder, die mit vielem nicht einverstanden waren, als Störfaktoren.

Die LINKE unterstützt SYRIZA. Sie nicht?

Doch, aber dort gibt es dieselbe Debatte. Durch die Wahl von SYRIZA wurde die Austeritätspolitik nicht gestoppt, aber die Parteien, die für diese falsche Politik verantwortlich sind. Das war notwendig. Aber schon jetzt ist es so, dass sich SYRIZA gegen linke Kritik an seinem Memorandum stellt. Dabei will ich nicht, wie es in der radikalen Linken Tradition ist, Verrat rufen. Es ist die Logik des Systems, die zu dieser Konfrontation führt.

Die LINKE tritt zu Wahlen an, soll aber auf keinen Fall regieren. Warum macht Marx21 nicht gleich nur außerparlamentarische Politik?

Die LINKE steht zwar eher für das Modell von »Partei als Regierung im Wartestand«, die zwischen den Wahlkämpfen realistische Konzepte für die nächste Wahl produziert. Man kann Partei aber auch als Katalysator und Motor von Klassenkämpfen begreifen. Dafür gibt es ermutigende Ansätze. So hat die Parteiführung den Kitastreik zum Start ihrer Prekarisierungskampagne genutzt. Auch deshalb bin ich innerhalb der LINKEN noch einmal gesondert in einem marxistischen Netzwerk organisiert: weil solche Entwicklungen kein Selbstläufer sind.

Marx21 strömt innerhalb einer Strömung. Warum?

Wir dachten 2007, dass wir nicht noch eine weitere Strömung brauchen.

Sie sind als schon existierendes Netzwerk in die LINKE eingetreten. Schon damals begleiteten Sie Vorwürfe wie »autoritär geführt« und von einer Zentrale in England gesteuert. Was ist dran?

Es gibt einen historischen Hintergrund. Marx21 wurde maßgeblich von einer trotzkistischen Gruppe, Linksruck, begründet, die auch international organisiert war. Mit seiner Gründung ist Marx21 aus diesem alten Rahmen herausgetreten. Wir sind nicht von England aus gesteuert. International gibt es kaum trotzkistische Organisationen, die sich in ähnlichen Umständen befinden. Wir treffen Absprachen und strategische Festlegungen. Aber nicht irgendwo, sondern auf Unterstützerversammlungen. Woran man uns messen sollte: Tun wir das auf Kosten der LINKEN? Nein. Wo wir aktiv sind, gewinnen wir neue Leute für die LINKE, natürlich auch für eine bestimmte Politik innerhalb der Partei.

Man hat den Eindruck, jede Strömung wäre froh, wenn es die andere nicht gäbe.

Diese Entscheidungsschlachtszenarien sind nicht hilfreich. Die Existenz der Strömungen leitet sich aus der gesellschaftlichen Situation in Deutschland ab. Die Idee von Veränderung durch linke Regierungsbeteiligung ist ja nicht aus den programmatischen Erklärungen des Forum Demokratischer Sozialismus (FDS) entsprungen, sondern aus dem historisch niedrigen Stand der Klassenkämpfe, der die Alternative sehr blass erscheinen lässt, dass Menschen die Verbesserung ihres Lebens durch Aktion auf der Straße selbst in die Hand nehmen.

Sie haben also keine Probleme mit dem FDS?

Innerhalb der LINKEN ist der FDS eine legitime Struktur, die das ausdrückt, was viele wollen. Eine Ausnahme sind die außenpolitischen Positionen des FDS, die absolut minoritär sind. Der FDS hat sich darauf aus strategischen Gründen festgelegt, weil die SPD die Antikriegsposition der LINKEN zum Haupthinderungsgrund für eine Regierungsbeteiligung erklärt hat.

Wird in der LINKEN zu wenig strömungsübergreifend diskutiert?

Mir scheint, bei den zentralen Themen sind die Argumente ausgetauscht. Die Strömungen versteifen sich zuweilen zu sehr auf innerparteiliche Debatten. Da geht einem manchmal durch die Lappen, was außerhalb der Partei passiert.

Gibt es nur Dissens mit dem FDS?

Auch mit den linken Strömungen AKL und Sozialistische Linke teilen wir nicht alles. So wird hier gerade die Linie diskutiert, man müsse sich mit Gegenkräften zur NATO wie Russland und China zusammentun. Aus unserer Sicht hilft es nichts, sich mit den »kleineren Verbrechern« zu verbünden. In der Ukrainekrise sollten wir uns nicht an die Seite Putins stellen.

Anlässlich des Jahrestags der deutsch-israelischen Beziehungen ist dieser Tage wieder über die Zwei-Staaten-Lösung debattiert worden. Die Linkspartei setzt sich auch dafür ein - Sie haben mit Ilan Pappe einen israelischen Historiker eingeladen, der die Zwei-Staaten-Lösung verwirft. Soll das die nächste Nahost-Debatte der LINKEN eröffnen?

Jein. Ich würde nicht mit einem Antrag auf dem Parteitag auflaufen, der die Zwei-Staaten-Lösung zugunsten eines gemeinsamen säkularen Staates verwirft. Gleichzeitig wollen wir unsere Position darstellen, die übrigens nur im deutschen Kontext so vehement kritisiert wird. Wir wissen, wir sind damit nicht mehrheitsfähig in der LINKEN. Aber wir kämpfen dafür, dass das eine legitime Position ist, die man innerhalb der LINKEN vertreten darf. Es muss möglich sein, Alternativen zu denken.

Wichtige gesellschaftliche Themen wie Netzpolitik oder die Einschränkung von Bürgerrechten spielen keine Rolle auf dem Kongress. Warum? Weil Marx darauf noch keine Antwort hatte?

Marx hat diese Themen in der Tat nicht ernst genommen (lacht). Ich muss einräumen, dass wir da enormen Nachholbedarf haben. Wir stehen da noch ganz am Anfang.

Feminismus ist ein zentrales Thema für den Kongress - warum gibt es aber so wenige Referentinnen?

Am liebsten hätte ich einen ganzen Ökonomieblock nur mit weiblichen Referenten. Das wäre eine starkes Signal, weil Frauen von Kindesbeinen an vermittelt wird, dass solche vermeintlich harten Themen nichts für sie sind. Doch da stehen auch wir leider noch nicht. Wie alle linken Strukturen müssen wir überlegen, wie wir dem gesellschaftlichen Druck, der tendenziell zu einem niedrigeren Selbstbewusstsein von Frauen führt, entgegenarbeiten.

Was haben Sie unternommen, um Frauen zu ermutigen?

Wir versuchen, systematisch dieses Problem zu bearbeiten. Wenn sich Frauen Referate nicht zutrauen, geben wir zum Beispiel Literaturempfehlungen, wie man sich einarbeiten kann. Man kann auch in die alte Arbeiterbewegung schauen: Clara Zetkin hat ihre Frauen zusammengeholt und mit Rosa Luxemburg abgesprochen, dass diese bevorzugt auf die Parteischule gehen. Dort wurden sie ausgebildet in Philosophie, Geschichte und Ökonomie.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 13. Mai 2015


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