Bundeswehrreform: LINKE, rührt euch!
Im Parteivorstand will man zu Alternativen in der Sicherheitspolitik vordringen, doch offenbar nicht miteinander
Von René Heilig *
Friedenspolitik ist seit jeher ein achtenswertes Markenzeichen der
Linken. Auch der LINKEN. Doch die Debatten über die nun eingeleitete
gesellschaftliche Debatte über die Bundeswehrreform findet weitgehend
ohne die Partei statt. Und offensichtlich bisher auch ohne einige dafür
notwendige Vorstandsmitglieder der LINKEN.
Am Donnerstag vergangener Woche (7. Okt.), neun Jahre nach dem Beginn des Afghanistan-Kriegs, kam am Hindukusch der 44. deutsche Soldat um. »Es ist höchste Zeit, diesen Krieg zu beenden und die Bundeswehr
unverzüglich aus Afghanistan abzuziehen«, sagte Linksfraktionschef
Gregor Gysi. »Die Bundeswehr muss endlich raus aus Afghanistan.«
Der NATO-Einsatz, so Gysi, sei »längst zum Teil des Problems« geworden.
Wer Frieden für Afghanistan will, wer das Leben der Zivilbevölkerung
schützen und ihr sozial und kulturell helfen will, wer wirtschaftliche
Entwicklung will, wer keine Soldaten mehr gefährden will, muss den Weg
für Friedensverhandlungen frei machen und den Kriegseinsatz beenden.«
Soweit der Kern seiner Ad-hoc-Aussage – hinter dem jedoch grundsätzliche
Fragen zum Thema Bundeswehr und NATO stehen. Sie werden bislang von der
LINKEN – wenn überhaupt – nur zu allgemein beantwortet. Wer Antworten
schuldig bleibt, wird nicht nachhaltig genug in die
gesellschaftspolitische Diskussion eingreifen können. Der Parteivorstand
sieht offenbar auch aus diesem Grund die Notwendigkeit einer Debatte und
beschloss deren Vorbereitung. Geklärt werden müssen ebenso
grundsätzliche wie praktikable friedens- und abrüstungspolitische
Positionen. Das erwartet die Mitgliedschaft, das erwartet die
Friedensbewegung, das erwarten Gewerkschaften.
Seit kurzem liegt dem Vorstand ein Positionspapier von drei
Vorstandsmitgliedern – Tobias Pflüger, Wolfgang Gehrcke und Christine
Buchholz – vor. Sie wollen der »Umwandlung der Bundeswehr zu einer Armee
für den Auslandseinsatz und für den Krieg die Idee der strukturellen
Nichtangriffsfähigkeit« entgegensetzen. Hier beginnt die erste
Unschärfe. Die Bundeswehr ist längst nicht mehr in der Phase der
»Umwandlung«. Sie ist eine Einsatzarmee, sie befindet sich im Krieg und
ist dafür bestens – wenngleich nach Ansicht ihrer politischen Ziehväter
noch nicht optimal – gerüstet. Das Positionspapier fordert eine
»schrittweise Abrüstung«. Zuerst sollen die kriegsfähigsten Teile«
verschwinden. Der Blick richtet sich auf das Kommando Spezialkräfte
(KSK). Als nächstes müssten sämtliche Eingreifkräfte sowie die Befehls-
und Übungszentralen für die Militär- und Kriegseinsätze verschwinden.
Die folgende Aufzählung von Truppen zeigt die Notwendigkeit, sich bei
der Diskussion auf Fachleute aus dem Militär selbst zu stützen. Doch wo
gibt es die in oder nahe der Partei?
Der dritte und wohl entscheidende Punkt ist zweigeteilt. Man will
zunächst zurück zum Grundgesetz von 1956, also zu einer
Verteidigungsarmee, um dann zum Grundgesetz von 1949, also zu keiner
Bundeswehr, zu gelangen.
Es folgt das Bekannte: keine Auslandseinsätze mehr, sofort raus aus
Afghanistan, kein Raum für Bundeswehr-Werbung an Schulen und in
Arbeitsagenturen.
Zu kurz gesprungen, Genossen! So lassen sich Anmerkungen zum vorgelegten
Positionspapier zusammenfassen. Sie stammen vom Vorstandsmitglied Gerry
Woop. »Bislang«, so hält er fest, hat die Linkspartei der Bundeswehr
»zumindest eine Existenz und einen Verteidigungsauftrag zugebilligt und
normativ eine Nichtangriffsfähigkeit zugeordnet«. Er hält zwar den
»Rückgriff auf einen nicht mehr geltenden Grundgesetzteil von 1949« für
»historisch interessant«, macht jedoch auch auf die grundsätzlich
geänderte gesellschaftliche Situation aufmerksam.
Gefragt wird: »Kann Sicherheit im engeren Sinne derzeit oder im
absehbaren Zeitrahmen völlig ohne militärische Mittel für Deutschland im
europäischen Kontext (EU, OSZE, NATO) gewährleistet werden?« Für Woop
warten drei zentrale Fragen auf Antworten. Konsensfähig ist sicher die
strikte Zurückführung auf den durch das aktuelle Grundgesetz gebotenen
Verteidigungsauftrag. Doch schon beim Thema internationale Einsätze wird
es um kompliziertere Antworten gehen. Denn dass Gewalt aus den
internationalen Beziehungen ausgeschlossen werden kann, ist nur eine
schöne Illusion. Welcher Mandatierung kann von linker Position
zugestimmt werden? Oder soll sich Deutschland aus dieser Art Politik
heraushalten? Das wäre eine Position, die Woop für legitim hält, auch
wenn er sie nicht teilt.
Drittens müsse über die Rolle der Bundeswehr in der NATO und der EU
diskutiert werden. »Ohne eine Vermischung von Militär, Geheimdienst und
Polizei hinzunehmen, steht die Frage einer effizienten gemeinsamen
Verteidigung der EU-Staaten potenziell auf der Tagesordnung und würde
die NATO als zentrales Verteidigungsbündnis erheblich relativieren oder
gar überwinden.«
Wer etwas tiefer schürft beim Thema Bundeswehr, der wird nicht daran
vorbei kommen, auch über Abrüstung, Rüstung, Rüstungsexport, Konversion,
Polizeieinsätze, Grünhelme... zu reden. Wesentlich jedoch ist, dass man
darüber redet. Miteinander! Doch bereits das scheint bei der LINKEN
nicht so einfach zu sein. Laut Beschluss sollte das Positionspapier
nicht von drei sondern von vier dafür bestens geeigneten Köpfen –
Pflüger, Gehrcke, Bucholz u n d Woop – erarbeitet werden. Doch offenbar
dachten sich einige, dass drei Viertel des Ganzen auch genügen könnten.
Die längst überfällige Debatte hat nicht gut begonnen.
* Aus: Neues Deutschland, 11. Oktober 2010
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