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Zukunft der NATO noch geheim

NATO-Generalsekretär zu Gast bei einer Konferenz der Grünen

Von Regina Stötzel *

»Wohin mit der NATO?« Das fragten die Grünen bei einer Konferenz in Berlin Generalsekretär Rasmussen persönlich. Der wollte aber über die künftige Strategie seiner Organisation nicht allzu viel preisgeben.

»Die NATO war und ist ein Instrument für den Frieden und wird es auch in Zukunft sein«, versichert Anders Fogh Rasmussen, der Generalsekretär der NATO. Ein leichtes Raunen geht durch den Saal, und man wüsste gern, wie viele Teilnehmer der Konferenz »Wohin mit der NATO? Relikt des Kalten Krieges oder Instrument für den Frieden?«, zu der die Grünen ins Reichstagsgebäude eingeladen hatten, ihm wohl glauben. Es mögen mehr sein als man denkt, scheinen bei den Grünen zumindest jene zu schwinden, die die NATO für eine gänzlich überflüssige Institution halten. Aber es gibt sie noch. Christian Ströbele ist mit dabei, und ein Vertreter der Friedensbewegung aus Mönchengladbach fragt, warum man die Aufgaben der NATO nicht einfach an die UNO übertragen könne. Manche im Publikum applaudieren stets, sobald die UNO nur erwähnt wird, als handele es sich dabei um eine unfehlbare Ansammlung guter Seelen.

Ruprecht Polenz (CDU), der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags, bemerkt, dass keiner der Sachverständigen, die im Auftrag der im Bundestag vertretenen Parteien das neue NATO-Strategiepapier prüften, die Organisation für überflüssig erklärt habe.

Dass sich der NATO-Generalsekretär zur Konferenz persönlich ankündigte, hält Frithjof Schmidt, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen, der auch den erkrankten Fraktionsvorsitzenden Jürgen Trittin vertritt, für eine »Anerkennung der grünen Streitkultur«. Das klingt so, als hätten die Grünen immer nur darüber gestritten, ob man Krieg führen darf, und es nicht längst selbst getan.

Wer sich erhofft hatte, bei der Konferenz das noch geheime strategische Konzept präsentiert zu bekommen, das beim NATO-Gipfel in Lissabon im November verabschiedet werden soll, wurde schwer enttäuscht. Die anwesenden Parlamentarier, die darin lesen durften, äußerten sich nicht euphorisch: Es berge keine Sensationen und weiche nicht wesentlich von den Vorschlägen der Expertenkommission unter Leitung der früheren US-Außenministerin, Madeleine Albright, ab.

Partei- und institutionsübergreifend scheint man sich über die zu klärenden heiklen Punkte einig zu sein, wie auch die Fragen zeigten, über die bei der Konferenz diskutiert wurde: Wen verteidigt die NATO künftig, wer sind ihre Feinde? Wie soll das Verhältnis zu Russland aussehen, wie das zu China, Indien und anderen Staaten? Was sollen die originären Aufgaben der NATO sein, in Abgrenzung zur UNO und zur EU? Wie steht es um die (nukleare) Abrüstung und die geplanten Raketenabwehrsysteme? Wie geht man um mit Terrorismus, Cyberwar, Zerstörung der Umwelt und dem Kampf um Ressourcen?

»Wenn Bündnispartner mit Gefahren konfrontiert sind, bedeutet das noch lange nicht, dass die NATO einschreiten muss«, sagt Rasmussen und das soll wie eine Beruhigung klingen. Er spricht ausgiebig über die NATO als Forum, das globale Partner zu Beratungen zusammenbringt, über das gemeinsame Interesse von NATO, EU und Russland, gegen die Schlechtigkeiten der Welt vorzugehen. Nur konkret wird er selten. Er erhoffe sich vom Gipfel in Lissabon, die Einrichtung eines NATO-Raketenabwehrsystems unter Kooperation Russlands möge beschlossen werden. Und er versichert, die vorrangige Bedeutung der UNO unter den transnationalen Mächten werde in dem Papier festgeschrieben werden – doch widerspreche dem nicht, dass die NATO ebenfalls hier und da mitmische. Was Russland betrifft, so macht er deutlich, dass er zwar eine »strategische Partnerschaft« mit Russland anstrebt, sich das Land aber als vollwertiges Mitglied noch nicht so recht vorstellen kann.

* Aus: Neues Deutschland, 23. Oktober 2010

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Der Auswärtige Ausschuss befasste sich mit einem Papier, das noch niemandem vorlag – aber das machte nichts. Von Peter Strutynski



Grüne auf NATO-Trip

Von Arnold Schölzel **

Angriffskrieg ist seit 1999 ein fester Bestandteil der grünen Weltordnung. Die Partei, die 1995 noch den Austritt der Bundesrepublik aus der NATO forderte, betrieb vehement die Aggression gegen Jugoslawien. Seit 2001 besetzt und bombardiert der Atlantikpakt mit grüner Unterstützung Afghanistan.

Es war höchste Zeit, daß sich die NATO durch ihren wichtigsten Repräsentanten bei den olivgrünen Durchhaltestrategen bedankte und die angebliche frühere Friedenspartei in den Rang einer offiziell anerkannten Unterstützergruppe erhob. Das vollzog am Freitag (22. Okt.) NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen. Auf einer Konferenz der grünen Bundestagsfraktion pries er die Militärallianz als »effektivsten Friedensbewahrer in der Welt« und erklärte im gleichen Atemzug das geplante Raketenabwehrsystem für ganz Europa als alternativlos. Er malte die großartigen Ergebnisse von neun Jahren NATO-Krieg am Hindukusch in schönsten Farben (»Das politische Leben blüht«, »es gibt eine lebendige und freie Medienlandschaft«) und ebenso düster die Gefahren, die den umzingelten Europäern drohen: Mehr als 30 Länder hätten heute schon die Fähigkeiten oder strebten danach, Raketen mit konventionellen oder nuklearen Gefechtsköpfen einzusetzen. »Wir können es uns nicht leisten, zur Geisel eines solchen Angriffs zu werden«, sagte der NATO-Generalsekretär, der als erster Amtsinhaber vor den Expazifisten auftrat. Erst eine gemeinsame Raketenabwehr unter Einbeziehung Rußlands würde eine »echte euro-atlantische Sicherheitsarchitektur« schaffen. Vermutlich wächst deswegen die Zahl der NATO-Stützpunkte rund um Rußland so schnell, daß man vergaß, den Vertrag über konventionelle Abrüstung in Europa zu ratifizieren, geschweige denn, ihn zu befolgen.

Vor allem aber nähme der flächendeckende Raktenschirm in ganz Europa den USA die mühsame Arbeit ab, Verträge bilateral abzuschließen. US-Präsident George W. Bush brachte es nur zu Vereinbarungen mit Polen und Tschechien, zwei Repräsentanten des »neuen Europa«, die gern auch der CIA beim Foltern halfen. Sein Nachfolger Barack Obama strebt nun »Raketen für alle an« – ein Ansinnen, für das ökopazifistische Unterstützung hochwillkommen ist und sicher auch gewährt wird.

In Hochstimmung über seine Wertegemeinschaft erläuterte Rasmussen auch gleich, warum die NATO weltweit tätig werden muß: China, Indien und Pakistan, Australien, Neuseeland, Japan und Südkorea sollen in einen »Dialog« einbezogen werden. Ein solcher »kooperativer Ansatz« richte sich gegen niemanden, sondern würde letztlich nur die Grundsätze der Vereinten Nationen stärken.

Die Gastgeber fühlten sich offenbar geehrt, nun auch protokollarisch dazuzugehören. Grünen-Fraktionsvize Frithjof Schmidt forderte, der NATO-Gipfel von Lissabon am 19. und 20.November müsse einen »Paradigmenwechsel« und die Rückbesinnung auf die eigentlichen Aufgaben bringen. Die »Kernkompetenzen« der NATO seien die Schaffung regionaler Sicherheit, die Stärkung der transatlantischen Partnerschaft und die Abrüstung.

Spielverderberisch äußerte sich am Freitag lediglich Wolfgang ­Gehrcke, der außenpolitische Sprecher der Linksfraktion im Bundestag: »Das Mindeste, was sie ihm (Rasmussen) mit auf den Weg geben können, ist, daß das neue strategische Konzept der NATO sofort veröffentlicht und öffentlich diskutiert werden muß.«

Die Tagung der Grünen stand unter dem Motto: »Wohin mit der NATO? Relikt des Kalten Krieges oder Instrument für den Frieden«. Am Sonnabend setzten sie fort mit einer Tagung zum Thema »Erhalten, was uns erhält«. Es soll nicht um die ­NATO gehen, wie man vermuten könnte, sondern um »Sperling, Feldhamster und Gorilla«.

** Aus: junge Welt, 23. Oktober 2010


Merkel will Russland nicht in der NATO

Treffen mit Allianz-Chef Rasmussen in Berlin ***

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat vor einer zu schnellen Annäherung zwischen der NATO und Russland gewarnt. »Wir sollten uns gegenseitig nicht überfordern«, sagte sie am Freitag nach einem Treffen mit NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen in Berlin. »Eine Einbindung in die NATO« sei » wieder sehr viel«, betonte Merkel mit Blick auf die Bemühungen um eine bessere Verständigung. Vielmehr gehe es um eine »strategische Partnerschaft«, die sich an »konkreten Projekten« zeigen könne.

Die Teilnahme des russischen Präsidenten Dmitri Medwedjew beim NATO-Gipfel in Lissabon bezeichnete Merkel als »großen Fortschritt«. Dort müsse es aber zunächst um eine »gemeinsame Gefährdungsanalyse« gehen. Daraus könnten sich dann Bereiche für eine Zusammenarbeit ergeben. Über die NATO-Pläne für eine Raketenabwehr in Europa sagte Merkel, Russland habe diesbezüglich »Offenheit« gezeigt. Dies sei ein »gutes Signal«.

Auf dem Gipfel am 19. und 20. November wollen die Staats- und Regierungschefs der 28 NATO-Staaten die neue Strategie der Allianz beschließen. Merkel sagte, sie sei zuversichtlich, dass man ein »gutes und in die Zukunft weisendes Dokument« verabschieden werde. Rasmussen betonte, solange es in der Welt Atomwaffen gebe, werde die NATO auch auf nukleare Abschreckung angewiesen sein. Zugleich müsse sie sich aber für eine atomwaffenfreie Welt einsetzen. Laut Merkel strebe Deutschland dieses Ziel an. Doch dürften die NATO-Staaten nicht »blauäugig« sein.

*** Aus: Neues Deutschland, 23. Oktober 2010


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