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Kriegsbilanzen zwischen Kabul und Tripolis

NATO-Verteidigungsminister beraten in Brüssel über höhere Militärausgaben und neue Rüstungsprojekte

Von Olaf Standke *

Schlussfolgerungen aus dem Libyen-Krieg werden die heute (5. Okt.) beginnende Tagung der NATO-Verteidigungsminister in Brüssel prägen. Ziel ist die weitere Aufrüstung des Paktes.

Für Pentagon-Chef Leon Panetta ist das Treffen im NATO-Hauptquartier ein Premiere in neuer Funktion. Von Anders Fogh Rasmussen, dem Generalsekretär der Allianz, darf man das gewohnte Mantra erwarten: hier das Eigenlob für die kriegerischen Erfolge des Bündnisses, dort eine Einschätzung seiner Fähigkeiten und Ressourcen, die geradezu nach massiver Aufrüstung schreit. Glaubt man Rasmussen, sind die seit März andauernden Luftangriffe in Libyen ein großer Erfolg für den Nordatlantik-Pakt. Die massiven Zerstörungen und zivilen Opfer vernachlässigte er auf seiner Pressekonferenz am Montag (3. Okt.) allerdings geflissentlich.

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Schon am Wochenende hatte der Chef des US-Afrika-Kommandos (Africom), General Carter Ham, die »Mission« als »größtenteils erfüllt« bezeichnet. Ihr Abschluss könnte schon in den nächsten Tagen formell beschlossen werden. Noch vor zwei Wochen hatten die Mitgliedstaaten den Einsatz erneut um 90 Tage verlängert. Sie stützen sich nach wie vor auf eine UN-Resolution, die Gewalt zum Schutz der Zivilbevölkerung erlaubt, aber schon bald hin zum Regimewechsel ausgeweitet wurde. Noch dauern die Kämpfe an, Ex-Machthaber Muammar al-Gaddafi bleibt verschwunden. Und Ham machte deutlich, dass die NATO weiter auf die »Dehnbarkeit« des Mandats setzt und den libyschen Übergangsrat auch nach dem formalen Ende des Einsatzes unterstützen werde: »Wir wollen die Zusammenarbeit nicht über Nacht auf Null herunterfahren.« Wie das konkret aussehen könnte, wird ein Thema des Treffens sein.

Allerdings habe Libyen auch Schwächen des Bündnisses ans Licht gebracht, wie der Generalsekretär betont. Vor allem mit Blick auf die »technischen Fähigkeiten« der europäischen Verbündeten verwies Rasmussen u.a. auf Defizite in den Bereichen Überwachung, Aufklärung und Luft-zu-Luft-Betankung. Diesen Mängeln müsse man sich nun bei künftigen Investitionen verstärkt widmen. Bei einem Besuch in Prag warnte er unlängst nachdrücklich vor zu großen Sparmaßnahmen – und wird in Brüssel vor allem bei Panetta Unterstützung finden. Auf dem nächsten Gipfel im Mai 2012 müssten die Verbündeten konkrete Beschlüsse zur engeren militärischen Zusammenarbeit fassen.

In Chicago soll dann auch die erste Stufe der Raketenabwehr in Europa einsatzbereit erklärt werden. Allerdings wird dieses teure Großvorhaben von Problemen überschattet, nicht nur, weil die angestrebte Kooperation mit Russland nach wie vor klemmt. Im türkischen Kürecik gingen am Wochenende Tausende Demonstranten gegen die Pläne auf die Straße, im Ort ein Radar zu errichten. Sie warfen ihrer Regierung vor, den »imperialistischen« Plänen der USA nachgegeben zu haben. Die Anwohner befürchten, der Bau könnte sie zu »Zielscheiben« machen. Die Türkei hatte Anfang September angekündigt, bis Jahresende ein erstes Element des Raketenabwehrsystems der NATO in Betrieb nehmen zu wollen.

Da das Treffen unmittelbar vor dem zehnten Jahrestag des Invasionsbeginns in Afghanistan stattfindet, wird auch dieser Krieg zur Sprache kommen. Man darf gespannt sein, wie hier die Bilanz von Rasmussen ausfällt, ist der Einsatz mit etwa 2500 gefallenen Soldaten doch der verlustreichste in der NATO-Geschichte. Trotzdem konstatierte die UNO gerade eine weitere Verschlechterung der Sicherheitslage. Die Zahl gewaltsamer Vorfälle sei 2011 im Vergleich zum Vorjahr um 39 Prozent gestiegen. Allein zwischen Juni und August starben fast 1000 Zivilisten. Landesweit wurden Hunderttausende zur Flucht gezwungen. Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière erhofft sich nun von Panetta mehr Klarheit über die Truppenabzugspläne Washingtons. Präsident Barack Obama hatte angekündigt, die Verbände mit über 100 000 Soldaten bis nächsten September um 33 000 zu verkleinern. Wo, ist jedoch noch unklar. Auch danach richtet sich der für Ende dieses Jahres geplante Abzug der ersten Bundeswehrsoldaten.

* Aus: neues deutschland, 5. Oktober 2011

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Bilanz und Anklage

Freitag, 7. Oktober, 17.00 - 20.30 Uhr

Berlin, IG Metall-Haus, Alte Jakobstr. 149
(U-Bhf Hallesches Tor)

Es wirken mit:
Matin Baraki * Daniela Dahn * Sevim Dagdelen * René Heilig * Lühr Henken * Otto Jäckel * Karim Popal * Mariam Rawi * Sabine Schiffer * Peter Strutynski * Frieder Wagner * Sabour Zamani

Lesen Sie mehr zu der zentralen Veranstaltung in der Pressemitteilung




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