Kosovo: Eine Kriegslüge nach der anderen entlarvt - doch Berlin schweigt
Interview mit OSZE-Wimmer (CDU), STERN-Artikel und Aktuelle Stunde im Bundestag
Knapp zwei Jahre nach Beginn des NATO-Kriegs fällt das Lügengebäude der Bundesregierung zusehends in sich zusammen. Die Medien, so scheint es, wollen Wiedergutmachung leisten für die (fast) kritiklose Übernahme der Regierungs- und NATO-Propaganda zur Begründung des "humanitären" Einsatzes im März 1999. In den letzten Wochen gab es geradezu eine Flut neuer Veröffentlichungen zum NATO-Krieg, die im Wesentlichen den Standpunkt der Kriegsgegner jener Tage bestätigen. Im Folgenden dokumentieren wir ein Interview, das der BT-Abgeordnete Willy Wimmer (CDU), damals Vizepräsident der Parlamentarischen Versammlung der OSZE, am 10. Februar 2001 dem Deutschlandradio gab. Zum zweiten geben wir einen beachtlichen Artikel aus der Illustrierten Stern wieder. Und zum dritten veröffentlichen wir eine Presseerklärung des BT-Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, der sich über die Weigerung der Bundestags-Mehrheit beschwert, über all das angemessen zu diskutieren.
DeutschlandRadio, 10. Februar 2001: Interview am Morgen
Petra Ensminger im Gespräch mit Willy Wimmer, Ehemaliger
Vizepräsident der Parlamentarischen Versammlung der OSZE
Petra Ensminger: Um den Kosovo-Krieg gab es von Anfang
an viel Diskussionen. Befürworter und Gegner stritten über
das Für und Wider eines NATO-Einsatzes, darüber, ob man
mit einem Bombardement tatsächlich die Flüchtlinge
schützen, Frieden erzwingen könne. Knapp zwei Jahre nach
den ersten NATO-Luftangriffen ist diese Diskussion noch
immer nicht zu Ende. Vor allem die Hintergründe des
angeblichen Massakers an albanischen Zivilisten im
Kosovodorf Raczak ist nicht eindeutig geklärt und bietet
weiterhin Anlass zu Spekulationen. Die Berichte vom
Massenmord durch serbische Sicherheitskräfte waren damals
einer der Auslöser der NATO-Luftangeriffe. Doch eine
Gruppe
finnischer Gerichtsmediziner legte unlängst einen
wissenschaftlichen Abschlussbericht vor, in dem es hieß,
man
habe nicht feststellen können, dass die Opfer tatsächlich
aus
dem Dorf stammten. Dass es sich nicht um ein Massaker
gehandelt hat, ist damit zwar nicht bewiesen, doch Zweifel
an den von NATO und Bundesverteidigungsministerium
vorgelegten Fakten werden weiter genährt. Nun hieß es in
einem Bericht der ARD, das Verteidigungsministerium habe
während des Kosovo-Krieges Ergebnisse grob verfälscht. Das
Ministerium weist solche Vorwürfe jedoch zurück. Am
Telefon
bin ich nun verbunden mit dem CDU-Abgeordneten Willy
Wimmer, früherer Staatssekretär im
Bundesverteidigungsministerium und während des
Kosovo-Krieges Vizepräsident der parlamentarischen
Versammlung der Organisation für Sicherheit und
Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Einen schönen guten
Morgen Herr Wimmer.
Willy Wimmer: Guten Morgen Frau Ensminger.
Petra Ensminger: Die in der ARD-Sendung - Die Story "Es
begann mit einer Lüge" - erhobenen Vorwürfe der
Manipulation haben im Verteidigungsministerium nicht
sonderlich viel Staub aufgewirbelt. Wundert Sie das?
Willy Wimmer: Eigentlich nicht, denn das waren ja auch die
Kräfte, die uns - wenn man diesen ARD-Bericht als
zutreffend unterstellt - vor und nach dem Konflikt um im
Krieg gegen Jugoslawien nach Kräften manipuliert haben.
Und
deswegen wundert mich nicht, dass diejenigen, die das
gemacht haben, sich jetzt auch zugegebenermaßen ruhig
verhalten.
Petra Ensminger: Sie haben sich damals gegen die Angriffe
ausgesprochen, und ich nehme an, Sie fühlen sich jetzt
durch solche Vorwürfe bestätigt. Worin liegt die
Bestätigung
genau?
Willy Wimmer: Das, was wir mit dem Krieg gegen
Jugoslawien sehen müssen, ist etwas, was uns vor dem
Hintergrund unserer eigenen Geschichte des vergangenen
Jahrhunderts umtreiben muss. Wenn man sich den puren
Krieg ansieht, handelt es sich nicht um mehr als um einen
ordinären Angriffskrieg, wie er im vergangenen
Jahrhundert -
von uns jedenfalls - zweimal auch schon angezettelt worden
ist. Und damit es nicht nur ein purer ordinärer
Angriffskrieg
sein durfte, hat man ja eine Überhöhung gefunden im Sinne
des Vorgehens gegen eine erwartete oder tatsächliche
humanitäre Katastrophe. Das, was dieser Bericht deutlich
macht, ist, dass wir von einer humanitären Katastrophe
nicht
nur weit entfernt waren und sie nach diesem Bericht gar
nicht vorgelegen hat, sondern sie herbeigeredet wurde,
ohne
tatsächlich vorhanden zu sein. Das heißt: Die moralische
Überhöhung, die ja den einzigen Zweck hatte, auch den
Rechtsverstoß gegen die Charta der Vereinten Nationen, das
Völkerrecht, das Grundgesetz und alle innerstaatlichen
Gesetze zu überdecken, das ist präsent. Nach diesem
Bericht
ist das alles als etwas entlarvt, was man normalerweise
als
Manipulation und noch Schlimmeres bezeichnet. Und
deswegen ist man auch so ruhig, und deswegen will man
auch nicht, dass eine öffentliche Diskussion stattfindet.
Und
damals haben viele mitgemacht, und deswegen gibt es auch
keine öffentliche Diskussion.
Petra Ensminger: Sie haben die humanitäre Krise
angesprochen, die ja uns als Grund für die Bombardements
angegeben wurde. Die US-Diplomatin Norma Brown wird in
dem Beitrag zitiert, es habe keine humanitäre Krise,
sondern
humanitäre Probleme gegeben, und viele Vertriebene seien
durch den Bürgerkrieg zwischen serbischen Soldaten und UCK
vertrieben worden. Wer zieht denn da wo die Grenze?
Willy Wimmer: Also, wir haben ja mehrere Dinge, die wir im
Zusammenhang mit deutschen Diplomaten, deutschen
Soldaten und internationalen Organisationen feststellen
können. Alle Berichte, die das Verteidigungsministerium
erstellt hat über die Abläufe vor dem Krieg, sind in der
Regel
sehr korrekt. Sie sind ja auch dem Parlament zugegangen,
und deswegen sind sie ja bis heute einsehbar. Das, was die
Berichte der deutschen Botschaft in Belgrad ausmacht, das
ist alles nachzulesen, wird nur durch das Außenministerium
unter Verschluss gehalten. Denn die öffentlichen
Erklärungen,
die der Außenminister abgegeben hat, die werden von diesen
Berichten der deutschen Botschaft in Belgrad überhaupt
nicht gedeckt.
Petra Ensminger: Aber es wurden doch Menschen
vertrieben, das ist doch Tatsache.
Willy Wimmer: Ja, das ist richtig, aber die OSZE-Mission,
die an Ort und Stelle vorhanden war, hat ja auch Berichte
bis
zum letzten Tage, bevor sie ausziehen musste aus dem
Kosovo, veröffentlicht. Und damit ist eines deutlich
geworden: Wir haben eine schwierige, menschenrechtlich
gravierende Situation im Kosovo gehabt im Zusammenhang
mit einer bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzung. Und
die
OSZE-Mission, die dann schmachvoll ausziehen musste, hat -
solange sie an Ort und Stelle war - dazu beigetragen, dass
die Dinge sich beruhigten und dass sie auch einer
politischen
Lösung nähergebracht werden konnten. Da man die nicht
wollte, musste die Mission ausziehen und musste im Prinzip
ein Scheitern deklarieren. Und das ist etwas, was ich im
Prinzip nicht verstehen kann, dass in einer demokratischen
Gesellschaft so etwas durchgelassen wird. Man wollte den
Krieg, das hat der Bundeskanzler im Oktober 1998 bereits
dem Außenminister gesagt, sonst wäre er nicht
Außenminister geworden. Das ist alles im SPIEGEL
nachzulesen. Und das sind Dinge, die wirklich hier den
Verdacht mehr als verhärten, dass manipuliert worden ist
und
dass wir vorgeführt worden sind.
Petra Ensminger: Aber Herr Wimmer, die Regierungskoalition
hatte damals im Kosovo-Konflikt schwer zu tragen. Vor
allem
die Grünen hatten Mühe, bei ihren Wählern Verständnis zu
erlangen. Warum also sollte die Regierung so eine
'Machenschaft' mittragen, wenn es denn eine war?
Willy Wimmer: Sie hat sie nicht mitgetragen, sie hat sie
organisiert. Und wer sich zurückerinnert und zwei Jahre
zurückdenkt, der weiß, dass im Kern diese Aussagen - "Wir
müssen ein neues Auschwitz verhindern" und ähnliches -
auch die Widerstände in allen politischen Parteien im
Deutschen Bundestag niedergebügelt haben; nicht nur die
Dinge, die sich in der grünen oder der
sozialdemokratischen
Partei abgespielt haben, sondern auch bei uns. Das sind
alles
Ding, wo ich nur sagen kann: Wo ist denn eigentlich die
Konsequenz aus einer andern deutschen Zeit gezogen
worden, wo alles nur noch Propaganda war? Als Regierung
sind wir jederzeit gehalten - und das gilt auch für die
jetzige
Bundesregierung -, im Zusammenhang mit einem Krieg, den
man führt, nichts anderes zu sagen als die Wahrheit. Man
hat in diesem ARD-Bericht gesehen, wie sich der jetzige
Bundeskanzler zu Beginn dieses Krieges geäußert hat im
Sinne, 'das ist eine Polizeiaktion'. Es war aber ein
ausgewachsener Krieg und es war ein Angriff und es war ein
Angriffskrieg, der gegen jedes internationale Recht
verstieß.
Petra Ensminger: Vielen Dank Herr Wimmer. Das war ein
Gespräch mit dem CDU-Abgeordneten Willy Wimmer,
ehemaliger Vizepräsident der parlamentarischen Versammlung
der OSZE.
In der Ausgabe 8/2001 des Stern kommentiert Arno
Luik die ARD-Dokumentation zu den Lügen der rot-grünen
Bundesregierung. Auch seine entscheidende Frage: Warum bleibt
das alles folgenlos? Sein Kommentar:
Und der Minister starrt und stiert
...
Es gibt sie noch, die Sternstunden im deutschen Fernsehen - zum
Beispiel vergangenen Donnerstag. "Die Story" hieß der Film, und
es war eine ARD-Dokumentation über den Kosovokrieg: "Am
Anfang war die Lüge". Zur Erinnerung: Vor knapp zwei Jahren
begann der Kosovokrieg. Die Teilnahme daran war die erste
außenpolitische Tat der neuen rot-grünen Bundesregierung. Und es
war das erste Mal seit 1939, dass deutsche Soldaten wieder in den
Kampf zogen: "Hätte jemand (noch im Jahr 1998) angekündigt",
schrieb damals der "SZ"-Journalist Heribert Prantl, "dass ein
sozialdemokratischer Kanzler, ein grüner Außenminister und ein
sozialdemokratischer Verteidigungsminister den Kampfeinsatz der
Bundeswehr gegen einen souveränen Staat befehlen würden, man
hätte ihn ins Narrenhaus gebracht." Narrenhaus? Aber dieser Krieg
war ja gar kein Krieg. "Liebe Mitbürger und Mitbürgerinnen",
erklärte Bundeskanzler Gerhard Schröder am 24. März in bestem
Orwell-Deutsch: "Heute Abend hat die Nato mit Luftschlägen gegen
militärische Ziele in Jugoslawien begonnen... Wir führen keinen
Krieg." Vier Wochen später, es fielen längst Bomben auf Belgrad,
wiederholte Fischer: "Wir führen keinen Krieg, wir leisten
Widerstand, verteidigen Menschenrechte, Freiheit und
Demokratie."
Ja, war das so? War es ein gerechter Kampf der Guten gegen das
Böse? Musste man Milosevic - der ohne Zweifel massiv und brutal
gegen die Kosovo-Albaner vorgegangen war - mit Bomben
kommen? Ja, sicher, sagte die Regierung, und damit das glaubhaft
klang, tischten die Minister ihren Bürgern viele Geschichten auf,
zeigten viele Bilder. Und kamen mit Moral, vor allem Moral, die
jeden Zweifler als bösen Buben abstempelte. Mit Auschwitz
verglich Fischer die serbische Brutalität; er sprach "von der
Deportation eines ganzen Volkes mit verbrecherischen Mitteln".
Beweise dafür - keine. Scharping sprach von "Völkermord", der "im
Gange" sei. Er sprach von "schwangeren Frauen mit
aufgeschlitztem Unterleib", von "Konzentrationslagern im Norden
von Pristina". Beweise dafür - keine. Oder doch - es gab ja diese
Bilder. Zum Beispiel von zwei besonders blutigen Episoden. Sie vor
allem dienten als moralische Rechtfertigung für den militärischen
Draufschlag: die Massaker von Racak und von Rugovo. Doch beide
Massaker, das enthüllten nun mehrere Untersuchungen, haben so
nicht stattgefunden, Anzeichen für Massenhinrichtungen waren
nicht festzustellen. Im Klartext: Die meisten Geschichten, die
erzählt wurden, waren erfunden, die meisten Bilder manipuliert.
Fischer und Scharping haben ihre Bürger beschwindelt, belogen
und betrogen. Man kann es auch feiner ausdrücken: Sie betrieben
eine perfekte Desinformationspolitik. Gut, könnte man nonchalant
sagen, im Krieg bleibt als Erstes die Wahrheit auf der Strecke, das
war schon immer so. Aber kann man sich mit solchem Zynismus
abfinden? Was für eine Bedeutung hat der Kosovokrieg (der
bekanntermaßen gegen UN-Recht verstieß und gegen die eigene
Verfassung sowieso) für das Selbstverständnis der Nato, die neue
Weltordnung? Sind solche Einsätze in Zukunft selbstverständlich,
wandelt sich das Verteidigungsbündnis in eine globale
Interventionsmacht? Das sind Fragen, über die zu diskutieren ist.
Eine profanere, gleichwohl ebenso wichtige Frage ist: Wie und
warum hat die Bundesregierung ihre Bürger so belogen? Und:
Warum regt das niemanden auf? Warum blieb die ARD-Sendung
bisher folgenlos? Warum muss niemand Konsequenzen ziehen?
Wundersames gab es in der Dokumentation "Am Anfang war die
Lüge" zu sehen. Man konnte zuschauen, wie ein Minister Märchen
erzählt, die physikalische Gesetzmäßigkeiten außer Kraft setzen.
Weil er es nicht besser weiß? Weil er es nicht besser wissen will?
Wie auch immer: Im Kosovokrieg ließ Scharping eine Broschüre
auflegen, in der er detailliert die angeblichen Gräuel der Serben
auflistete. Etwa wie tückisch die Serben in einem kleinen Dorf
Häuser der Kosovo-Albaner zerstört hätten: "Zunächst stellt man
(also die Serben) eine brennende Kerze auf den Dachboden, und
dann öffnet man im Keller den Gashahn." Dörfer wurden zerbombt,
Häuser gesprengt - das ist unbestritten. Warum aber fühlte
Scharping sich gezwungen zu lügen? Das ARD-Team war in jenem
Dorf, sprach mit den Bewohnern, keiner hat erlebt, dass auf diese
Weise Häuser zerstört wurden. Ein UCK-Kämpfer: "So gerieten
unsere Häuser nicht in Brand." Rudolf Scharping wird von der ARD
mit den Zweifeln konfrontiert: "Welche Zweifel sind das?" "Dass
man im Keller den Gashahn aufdreht und auf dem Dachboden eine
Kerze aufstellt. Das funktioniert nicht." "Ja?" "Ja, es funktioniert
nicht, weder chemisch, physisch, überhaupt nicht. Das weiß jeder
Oberbrandmeister. Das ist also eine Information, die Ihnen
zugetragen worden ist, die nicht korrekt ist." "Dann würde ich Ihnen
raten, diesen Test nochmals zu machen. Aber nicht mit einem
Gashahn im Keller, sondern mit einer Flasche." "Beides
funktioniert nicht." "Ja?" Der Minister starrt. Er sitzt da und stiert,
indigniert. Die Gesetze der Physik? Propangas ist schwerer als
Luft? Warum hat ihm das keiner erzählt?
Eine andere Lüge: Am 27. April 1999 gibt Rudolf Scharping eine
Pressekonferenz, und er hält bunte Aufnahmen in die Luft - überall
Blut, Tote, Leichen. Das Massaker von Rugovo. "Ich muss mir
große Mühe geben", sagt Scharping bei der Präsentation dieser
Bilder, "dies in einem Ton zu schildern, der nicht gewissermaßen
zur Explosion führt": Es sind schreckliche Bilder, und Scharping
weiß, wie sie wirken, dass sie eine hohe emotionale Wucht haben.
Sie erschüttern ja ihn, den Minister, zutiefst - sagt er. Er hält die
Bilder hoch, weiß, dass diese Aufnahmen schon drei Monate alt
sind, dass sie manipuliert sind, nicht zeigen, was sie zeigen
sollen. Scharping, der Schauspieler. Ein OSZE-Mitarbeiter war am
angeblichen Tatort: der deutsche Polizist Henning Hensch. Und in
der ARD-Dokumentation widerspricht er seinem Minister, er habe
ihn darauf hingewiesen, dass die Aufnahmen kein Massaker
zeigen. Dass die vorgeblich hingerichteten Zivilisten im Gefecht
gefallene UCK-Kämpfer sind. Er selbst habe die Toten von
verschiedenen Tatorten zusammengetragen. Henning Hensch: "Die
Leichen sind von mir und meinen beiden russischen Kollegen
abgelegt worden." "Noch nie haben so wenige so viele so gründlich
belogen wie im Zusammenhang mit dem Kosovokrieg", sagte der
CDU-Abgeordnete Willy Wimmer, der auch lange Vizepräsident der
Parlamentarischen Versammlung der OSZE war, schon vor einem
Jahr. Zwar heile, so Wimmer, die Zeit die Wunden: "Doch Gerhard
Schröder, Joseph Fischer und Rudolf Scharping dürfen auf das
Tröstliche dieses Satzes nicht hoffen. Der Krieg gegen Jugoslawien
wird sie so oder so einholen." Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht.
Knapp zwei Jahre nach dem Krieg herrscht immer noch ein
merkwürdiger Unwille, sich mit ihm auseinander zu setzen, den
Zweifeln, Fragen, Ungereimtheiten nachzugehen. Warum diese
Zurückhaltung? Da sind offenkundig Minister, die gelogen haben,
immer noch lügen - und keine Konsequenzen ziehen. Dafür aber
Kritiker des Krieges abservieren. Zum Beispiel den General Heinz
Loquai. Er hat verschiedene Tricksereien der Regierung
aufgedeckt, nachgewiesen, dass etwa der "Hufeisenplan"
(angeblicher Beweis, dass die Serben lange vor den
Bombardierungen "die systematische Vertreibung" der Albaner
geplant hätten) eine rein deutsche Erfindung war. Heinz Loquai
zieht in der ARD-Dokumentation eine bittere Bilanz: "Man hat in
der Vergangenheit der deutschen Generalität oft den Vorwurf
gemacht, dass sie dort geschwiegen hat, wo sie etwas hätte
sagen sollen. Ich wollte in dieser Sache etwas sagen und
Manipulationen und Propaganda nicht als so etwas stehen lassen."
Er wurde gefeuert - von der rot-grünen Regierung. Zum Schluss
noch ein Satz (er ist ein paar Jahre alt) von Joschka Fischer: "Ich
wünsche mir, dass unsere Partei die Kraft hat, dass dort genügend
Pazifisten sitzen, um eine andere, friedensbezogenere
Außenpolitik ohne Militär machen zu können."
Arno Luik
Die ARD-Dokumentation über die Lügen der rot-grünen
Bundesregierung sollte nicht folgenlos bleiben.
So hat die PDS-Fraktion eine aktuelle Stunde zum Thema
beantragt. Die soll nun stattfinden. Am Freitag-Nachmittag (16. Februar 2001) als letzter
Punkt der Tagesordnung, wenn sich die Abgeordneten
erfahrungsgemäß fast alle auf dem Heimweg befinden ...
Dazu eine Pressemitteilung von Wolfgang Gehrcke (PDS):
Parlament versteckt Aktuelle Stunde
Die von der PDS-Fraktion beantragte Aktuelle Stunde zur
"Haltung der Bundesregierung zu aktuellen Berichten über die
Gründe zum Eintritt in den Kosovokrieg" wurde in der Runde
der Parlamentarischen Geschäftsführer als letzter
Tagesordnungspunkt auf den morgigen Freitagnachmittag
gelegt. Zu diesem Zeitpunkt wird die Mehrzahl der
Abgeordneten in aller Regel die Rückreise in die Wahlkreise
angetreten haben.
Angesichts der Bedeutung der Thematik ist es skandalös, dass
sich die Mehrheit des Parlaments nicht dazu verstehen
konnte, das Thema prominent in der Sitzungswoche zu
behandeln. Dies gilt umso mehr, als die Präambel des
Grundgesetzes das deutsche Volk dazu verpflichtet, dem
Frieden der Welt zu dienen, Artikel 25 Deutschland strikt an
das Völkerrecht bindet und Artikel 26 die Vorbereitung eines
Angriffskrieges unter Strafe stellt.
Der Umgang der Koalitionsfraktionen und der Bundesregierung
mit den Fragen, die im Zusammenhang mit dem Krieg gegen die
Bundesrepublik Jugoslawien stehen, ist allerdings nicht neu.
Am 25. März 1999 war es nur dem beherzten Eingreifen einiger
Abgeordneter zu verdanken, dass es im Parlament zu einer
Debatte über den am Vortag begonnenen Luftkrieg kam, während
das Bundestagspräsidium dies zu verhindern suchte.
Die Große Anfrage der PDS-Fraktion zur Kriegsbilanz vom 22.
März 2000 ist von der Bundesregierung immer noch nicht
beantwortet worden. Die vom Auswärtigen Amt für Februar 2001
avisierte Antwort soll sich weiter verzögern. Dies alles
lässt nur einen Schluss zu: Die Bundesregierung hat Gründe,
den Schleier des Vergessens über die Ereignisse im Vorfeld
und während des Krieges zu breiten. Die PDS wird das nicht
zulassen.
Die "Diskussion" im Bundestag hat inzwischen stattgefunden. Einen Tag später berichtet die junge welt in gewohnt kritischer Manier über diese denkwürdige Sitzung u.a. Folgendes (Autorin: Jana Frielinghaus):
Neben 20 PDS-Abgeordneten saßen am Freitag nachmittag noch ganze 27
Vertreter der anderen Parteien im Berliner Reichstag. Auf der Tagesordnung
stand eine von der PDS geforderte Aktuelle Stunde zur »Haltung der
Bundesregierung zu den aktuellen Berichten über die Gründe zum Eintritt in den
Kosovo-Krieg«.
Während sich Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) und
Außenminister Joseph Fischer (Grüne) durch ihre Staatssekretäre vertreten
ließen, zeigten sich die wenigen anwesenden Parlamentarier in Höchstform. Da
war keine Phrase zu billig, und kein noch so peinlicher Griff in die Mottenkiste
der Propaganda des Kalten Krieges blieb dem Publikum erspart.
Unmittelbarer Anlaß für die Aktuelle Stunde waren der im Januar veröffentlichte
Abschlußbericht finnischer Experten über die Untersuchung der Toten des
angeblichen Massakers von Racak und die WDR-Sendung »Es begann mit
einer Lüge« vom 8. Februar. ... Die verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Angelika Beer, und zahlreiche weitere Abgeordnete erklärten am Freitag, Racak sei
keineswegs Kriegsgrund gewesen, sondern die Gesamtlage im Kosovo. Die
PDS bezichtigte sie, die Vorgeschichte des Krieges außer acht zu lassen.
Grünen-Fraktionssprecher Helmut Lippelt nannte die Vorgänge in Racak weiter
ein Massaker. Es sei zwar nicht beweisbar, daß es sich um ein solches
gehandelt habe, aber das Gegenteil sei nicht feststellbar, so die verquere Logik.
Auch sei es nicht von Bedeutung, ob unter den Toten auch UCK-Kämpfer
gewesen seien.
Gregor Gysi (PDS) hatte der Regierung mit Blick auf die in der WDR-Sendung
gezeigten Fakten vorgeworfen, »Enten« verkauft zu haben. Die Öffentlichkeit
habe ein Recht, »nicht belogen und betrogen zu werden«. Für zahlreiche
Behauptungen Scharpings über Greueltaten der Serben im Kosovo habe es nie
einen Beweis gegeben.
Reinhold Robbe (SPD) verstieg sich dazu, Gysi einmal mehr als Verbrecher zu
diffamieren, weil der im April 1999 den Präsidenten Jugoslawiens, Slobodan
Milosevic, besucht hatte. Anklagend hielt er ein Spiegel-Foto in die Höhe, das
den Händedruck der beiden Politiker zeigt.
PDS-Fraktionsvize Wolfgang Gehrcke half in dieser von Sachlichkeit oder gar
Selbstkritik auf seiten der Koalitionsparteien ungetrübten Debatte auch nicht der
Verweis auf den Stern, der getitelt hatte, Scharping und Fischer hätten die
Bevölkerung »beschwindelt, belogen und betrogen«. Den WDR-Bericht, der
die Manipulation der Öffentlichkeit durch die Minister belegt, diffamierten
mehrere Redner als »dubios«, »fragwürdig« und »schlecht recherchiert«. Die
Autoren des Fernsehbeitrags hätten sich zu »nützlichen Idioten« der PDS und
ihrer »Verschwörungstheorien« über die NATO machen lassen, war zu hören.
Gehrcke wies in der Debatte darauf hin, daß keiner der aktuellen Berichte über
Manipulationen während des Kosovo-Krieges bislang dementiert wurde:
»Scharping hat nichts dementiert, weil er nichts dementieren kann«.
Dieter Schloten (SPD) sagte in Erwiderung auf Gehrcke, der die Situation im
Kosovo vor dem NATO-Einsatz einen »grausamen Bürgerkrieg« genannt hatte,
dieser Terminus dürfe nicht verwendet werden, da damit nicht eindeutig »Täter
und Opfer« benannt werden könnten. Die Täterrolle wies er einmal mehr
einseitig den Serben zu.
Aus: junge welt, 17. Februar 2001)
All dem, was die Herren Wimmer, Luik und Gehrcke vorgetragen haben, ist von unserer Seite eigentlich nichts mehr hinzuzufügen. Die Aktionen der Friedensbewegung zum zweiten Jahrestag des Beginns des NATO-Kriegs am 24. März werden daran anknüpfen können und - hoffentlich - mehr Menschen erreichen als bisher.
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