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NATO-Kriegsopfer

Früherer RTS-Direktor wieder frei

Von Rüdiger Göbel *

Friedensbewegung und Gewerkschaften erinnern an diesem 1. September wieder an den deutschen Überfall auf Polen und den Beginn des Zweiten Weltkriegs vor 73 Jahren. In mehr als 150 Orten der BRD gehen die Menschen auf die Straße. Rüstungsexporte, der Krieg gegen Syrien und ein drohender Angriff auf Iran sowie der Widerstand gegen Neonaziaufmärsche sind die Schwerpunkte der Aktionen zum Antikriegstag.

An dieser Stelle soll an einen Mann erinnert werden, der an diesem 1. September wieder die Freiheit erlangt. Zehn lange Jahre war Dragoljub Milanovic im serbischen Pozarevac eingesperrt. Haftverschonung oder vorzeitige Entlassung waren abgelehnt worden. Dragoljub Milanovic war während des NATO-Krieges gegen Jugoslawien 1999 Direktor von Radio-Televisija Srbija, dem Staatssender RTS. In der Nacht vom 22. auf den 23. April, kurz nach zwei Uhr, feuerten Bomber des Nordatlantikpakts eine Präzisionsrakete auf das in der Aberdareva-Straße in der Belgrader Innenstadt gelegene Gebäude von RTS ab. 16 Mitarbeiter wurden getötet, das Haus einfach aufgeschlitzt. NATO-Sprecher Jamie Shea sprach von einem »Kollateralschaden«, und proklamierte, die Medien Jugoslawiens – weil Propagandasprachrohr des Feindes – seien im übrigen ein »legitimes Ziel«.

Obwohl der Angriff eindeutig ein Kriegsverbrechen gegen Zivilisten darstellte und obwohl klar ist, wer die politischen Befehlshaber und militärischen Vollstrecker sind, wurde nicht ein einziger von ihnen zur Verantwortung gezogen. Strafverfahren gegen die NATO-Führung, die in Belgrad eingeleitet wurden, sind nach dem vom Westen unterstützten »Regime change« 2000 eingestellt worden. Der Internationale Gerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag sah keinen Grund, gegen die Verantwortlichen innerhalb der NATO vorzugehen, und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erklärte sich für nicht zuständig, juristische Schritte gegen diesen Verstoß gegen das Recht der RTS-Mitarbeiter auf Leben einzuleiten.

Der einzige, der jemals für diesen Luftangriff in einem absurden Prozeß mit fragwürdigen »Beweisen« verurteilt wurde, ist der damalige Chef der bombardierten Institution, Dragoljub Milanovic, weil er es angeblich versäumt hat, seine Mitarbeiter zu evakuieren. Der österreichische Schriftsteller Peter Handke urteilte hierzu richtig: »Damit wurde diesem verabscheuungswürdigen Verbrechen ein weiteres hinzugefügt und der Gipfel der Schamlosigkeit erreicht.«

Der heute 64jährige Dragoljub Milanovic wurde am Freitag aus der Haft entlassen. Um einen großen Medienwirbel zu vermeiden, wenige Stunden vorfristig in der Nacht – wie seinerzeit, als die NATO-Bomben fielen. Noch in diesem Monat soll ihm womöglich ein weiterer Prozeß gemacht werden. Die Mörder seiner Kollegen bleiben ungeschoren. Daran muß immer wieder erinnert werden.

* Aus: junge Welt, Samstag, 1. September 2012

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