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Bombardierung der RTS-Studios war völkerrechstwidrig

Ein Bericht von amnesty international

Einem Bericht von Avner Gidron und Claudio Cordone von amnesty international (London) zufolge war die Bombardierung der RTS-Studios des jugoslawischen Fernsehens durch NATO-Flugzeuge nicht vom humanitären Völkerrecht gedeckt. Der Artikel erschien am 14. Juli in der taz-Beilage Le monde diplomatique. Wir dokumentieren wesentliche Passagen aus diesem Artikel:

In den frühen Morgenstunden des 23. April 1999 bombardierten Flugzeuge der Nato den Hauptsitz und die Studios der serbischen Radio- und Fernsehgesellschaft (Radio Televisija Sribje, RTS) im Zentrum Belgrads. Rund 120 Zivilisten arbeiteten zum Zeitpunkt des Angriffs im Gebäude.(1) Mindestens 16 von ihnen wurden getötet und 16 weitere verletzt, die Nachrichtensendung wurde durch den Beschuss unterbrochen. ...

In einem Untersuchungsbericht des Internationalen Tribunals für Verbrechen im früheren Jugoslawien (ICTY) über die Nato-Bombardierungen heißt es: "Sollte der RTS nur aufgrund seiner Propagandafunktion angegriffen worden sein, könnte die Rechtmäßigkeit dieser Aktion von Experten des humanitären Völkerrechts angezweifelt werden. Es scheint allerdings, dass die Beeinträchtigung der Propagandatätigkeit des RTS für die Nato nur ein zweitrangiges (wenn auch komplementäres) Ergebnis ihres Hauptziels war: das Kommando- und Kontrollsystem der serbischen Armee zu neutralisieren und das Nervenzentrum des Apparates, der Milosevic an der Macht hält, zu zerstören."

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Amnesty international wollte den Gründen für diesen Angriff nachgehen und hat Vertreter der Nato in Brüssel befragt. Der Organisation wurde bestätigt, dass der RTS sehr wohl aufgrund seiner Propagandafunktion angegriffen wurde. Amnesty bemühte sich um Präzisierung einer vom damaligen Nato-Generalsekretär Javier Solana im Mai 1999 erhaltenen Antwort, in der dieser behauptet hatte, die RTS-Anlagen würden "als Relaisstationen und Sender genutzt, um die Tätigkeit von Armee und Polizeisondereinheiten der Bundesrepublik Jugoslawien zu unterstützen". In Beantwortung der Nachfrage schreibt die Nato, der Hinweis auf Relaisstationen und Sender habe sich auf andere Teile der RTS-Infrastruktur bezogen, die ebenfalls angegriffen worden seien, nicht jedoch auf die Bombardierung des RTS-Hauptsitzes.

Auch im Bericht des US-amerikanischen Verteidigungsministeriums über die Luftangriffe wurde die Bombardierung der RTS-Studios damit gerechtfertigt, es handle sich um "Anlagen, die zu propagandistischen Zwecken benutzt wurden". ...

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Die Störung der Regierungspropaganda kann die Moral der Bevölkerung und der Streitkräfte untergraben. Dennoch wird die Auslegung des I. Zusatzprotokolls zum Genfer Abkommen, (das nur solche Objekt als legitime militärische Ziele definiert, die "wirksam zu militärischen Handlungen beitragen" und "einen eindeutigen militärischen Vorteil" begründen), über die Grenze des Akzeptablen hinaus strapaziert, wenn ein Angriff auf einer solchen Grundlage gerechtfertigt wird. Die Bombardierung des Fernsehsenders zielte folglich sehr wohl auf ein ziviles Objekt. Nach den Statuten des in Rom gegründeten Internationalen Strafgerichtshofs stellt es ein Kriegsverbrechen dar, "bewusste Angriffe auf zivile Objeke zu unternehmen, die keine militärischen Ziele sind".

Im Kommentar des Handbuchs der deutschen Bundeswehr heißt es: "Erhebt man die direkte Einwirkung auf den Kriegswillen der gegnerischen Bevölkerung zum legitimen Ziel militärischer Gewaltanwendung, so kann es im Ergebnis [...] keine Grenzen der Kriegführung mehr geben."(4) Die britische Verteidigungsdoktrin vertritt einen ähnlichen Ansatz: "Die Moral der Zivilbevölkerung des Feindes ist kein legitimes Ziel."

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Der Angriff könnte in der Tat das Gebot der Verhältnismäßigkeit verletzt haben, was nach dem I. Zusatzprotokoll einem "schweren Verstoß" gleichkäme und als Kriegsverbrechen anzusehen wäre. Die Nato muss klar vorausgesehen haben, dass Zivilpersonen, die sich zum Zeitpunkt des Angriffs im RTS-Gebäude befanden, getötet würden. Zudem war die Nato offenbar davon ausgegangen, dass der Angriff auf die Fernsehstudios die Programme nur kurzfristig unterbrechen würde.

Dazu General Wesley Clark: "Zum Zeitpunkt des Angriffs wussten wir, dass es auch andere Möglichkeiten des Empfangs des serbischen Fernsehens gibt. Es genügt nicht, auf einen Knopf zu drücken, und alles steht still. Dennoch hielten wir es für einen guten Schritt, und die politische Führung war derselben Meinung." Die Nato hat, mit anderen Worten, wissentlich ein ziviles Objekt angegriffen und dabei 16 Menschen getötet, um mitten in der Nacht für rund drei Stunden die Sendungen des serbischen Fernsehens zu unterbrechen. Es ist schwer nachzuvollziehen, wie dies mit dem Gebot der Verhältnismäßigkeit vereinbar sein soll.

Die Nato könnte auch gegen eine weitere Forderung des I. Zusatzprotokolls verstoßen haben, die besagt, dass Angriffen "eine wirksame Warnung vorausgehen muss, es sei denn, die gegebenen Umstände haben dies nicht erlaubt".

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Die vor dem Angriff abgegebene Erklärung gegen die offiziellen serbischen Medien kann man nicht als wirksame Warnung an die Zivilbevölkerung betrachten. Westliche Journalisten berichteten, ihre Arbeitgeber hätten sie aufgefordert, sich vom RTS-Gebäude fern zu halten. Offenbar hatten auch einige jugoslawische Persönlichkeiten einen Angriff auf das Gebäude erwartet. Dennoch gab es seitens der Nato keinerlei Warnung, die einen unmittelbar bevorstehenden Angriff auf das RTS-Gebäude erwarten ließ.

In Presseberichten war zu lesen, dass die Entscheidung, RTS zu bombardieren, von der Regierung der Vereinigten Staaten gegen die Einwände anderer Nato-Länder beschlossen worden war. Dem britischen Journalisten Michael Ignatieff zufolge "waren sich in den Nato-Kommandostellen nicht alle Verbündeten einig.

Britische Juristen meinten, nach den Genfer Abkommen sei es verboten, Journalisten und Fernsehsender als Angriffsziele auszuwählen. Nach Auffassung der Vereinigten Staaten hingegen habe die Fernsehanstalt durch Sendungen, in denen Hass verbreitet würde, die rechtliche Immunität verwirkt, die ihr nach den Abkommen zustehe." Die Briten, so berichtet Ignatieff weiter, hätten sich wegen der vorhandenen Uneinigkeit über die Legitimität des Angriffs geweigert, die Bombardierungen der serbischen Fernsehstation mitzutragen. Laut Human Right Watch wurde der für den 12. April vorgesehene Angriff aufgrund der "französischen Missbilligung des Ziels" verschoben.

Der Fall der RTS-Bombardierung legt den Schluss nahe, dass die Nato bei Uneinigkeit über die Auswahl der Ziele die umstrittenen Objekte ohne Beteiligung des jeweiligen (den Angriff ablehnenden) Mitgliedslandes bombardiert. Dies aber entbindet die betreffenden Länder nicht von ihrer Verantwortung gegenüber dem humanitären Völkerrecht, denn sie sind Mitglieder des Bündnisses, das willentlich direkte Angriffe auf zivile Objekte durchgeführt hat.

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