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Die Versenker sind da - als Lebensretter

Die Deutsche Marine fischt im Mittelmeer Flüchtlinge aus dem Wasser

Von René Heilig *

Perfekt ausgebildet und ausgerüstet, jederzeit einsatzbereit: Eine Rettungsdienst im südlichen Mittelmeer wäre ein Segen - doch überfordert. Wie die Deutsche Marine. Die stellt sich auf einen langen Hilfseinsatz ein.

Tag für Tag spielen sich humanitäre Katastrophen ab. Menschen, die auf der Flucht vor Krieg, Terror und Hunger sind, Menschen, die von einer lebenswerten Zukunft träumen, ertrinken oft schon, kaum dass sie die libysche Küste verlassen haben. Seit Anfang des Jahres sind laut Human Rights Watch im Mittelmeer 1780 Menschen bei der Überfahrt gestorben. 62 000 Personen hätten das Gebiet der EU erreicht. Vor allem in Libyen warten noch Zehntausende auf eine Chance, ein Boot mit Kurs Hoffnung besteigen zu können.

Manche haben Glück, sie werden gerettet von zivilen Schiffen, von Booten der italienischen Küstenwache und NATO-Marineeinheiten. Seenotrettung ist eine menschliche Pflicht, eine rechtliche zudem. Grundlage des Hilfseinsatzes vor der libyschen Küste, an dem die deutsche Fregatte »Hessen« sowie der Einsatzgruppenversorger »Berlin« teilnehmen, ist der Artikel 98 des internationalen UN-Seerechtsübereinkommens. Er besagt, dass alle Besatzungen verpflichtet sind, Schiffbrüchigen oder auf See in Not geratenen Personen zu Hilfe zu kommen. Bislang, so ein Sprecher des Verteidigungsministerium am Donnerstag gegenüber »nd«, habe die »Hessen« 518 und die »Berlin« 195 Menschen aus Seenot gerettet.

Fregattenkapitän Rainer Muschalik ist seit Ende Juli 2014 Kommandant der »Hessen«. Er stellt seiner Besatzung gerade im derzeitigen Einsatz ein gutes Zeugnis aus. Denn für die ist das Auffischen von Menschen eine »außergewöhnliche Situation, für die sie nicht ausgebildet sind«.

Die ganze Deutsche Marine ist für eine solche Operation nicht ausgebildet und auch die Schiffe sind keine Seenotrettungskreuzer. Die »Hessen« und die »Berlin« waren durch Ministerbefehl Ende April aus dem Einsatz- und Ausbildungsverband der Marine herausgelöst worden. Sie hatten bis dahin am Anti-Piraten-Einsatz »Atalanta« teilgenommen, den die EU vor der Küste Somalias weiter mit hoher Intensität betreibt, obwohl die Aktivität der Freibeuter in diesem Seegebiet derzeit gegen Null geht.

Während man die Kriegsschiffe mit Kurs Mittelmeer notdürftig zum Flüchtlingstransport herrichtete, zusätzliche Duschen und Toiletten an Bord nahm, Zelte auf dem Flugdeck aufbaute, verhandelte man in Berlin über politische Implikationen des Einsatzes. Man wollte, dass die deutschen Schiffe nicht in eigener Verantwortung unterwegs sind. Sie sollten von der EU-Grenzschutzmission FRONTEX geleitet und im Rahmen der Operation »Triton« eingesetzt werden. Doch das Auswärtige Amt hatte Bedenken, schließlich vermischte man so eine Polizei- und eine Militärmission.

Schon vor knapp zwei Jahren hatte Brüssel versucht, die FRONTEX-Einheiten im Mittelmeer aufzurüsten. Doch Deutschland lehnte den Einsatz von Militär als Grenzpolizei ab. Nun aber wollte sich weder im deutschen Außen- noch im Innen- oder Verteidigungsministerium jemand bei allzu langen rechtlichen Erörterungen erwischen lassen. Zu groß und medial beachtet ist die Tragödie im Mittelmeer.

Die Menschen, die bislang an Bord der deutschen Schiffe kamen, seien höchst bedürftig, aber noch nicht völlig entkräftet, weil sie nur maximal zwei Tage unterwegs waren, glaubt der Kommandant der »Hessen«. Man unter- und durchsuche die Geretteten. Einige hätten in ihrer Kleidung Rasierklingen versteckt. Zur Selbstverteidigung? Oder als letzen Ausweg?

Ja, es stimme, dass man die Boote der Geretteten versenke, sagt Fregattenkapitän Muschalik. Das habe nichts mit einem Kampf gegen Schlepper zu tun, heißt es dazu auch bei der Marineführung. Doch es sei notwendig, schließlich lasse sich ja kein Besitzer feststellen und die herrenlosen Booten wären eine Gefahr für die Schifffahrt. Und - was noch schlimmer ist - sie könnten falschen Alarm auslösen. Auch die »Hessen« wurde mit Höchstfahrt schon zu Booten geschickt, die herren- und passagierlos umhertrieben.

Anfang Juni werden der Tender »Werra« und die Fregatte »Schleswig-Holstein« aus ihren Heimathäfen auslaufen, um die beiden deutschen Schiffe im Mittelmeer abzulösen. Man stelle sich auf eine langfristige Aktion ein, heißt es im Verteidigungsministerium. Eine Lösung für das globale Flüchtlingsproblem ist die natürlich nicht. Aber lebensrettend - und daher nicht gerade alltäglich für Soldaten.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 29. Mai 2015


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