Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Warten statt teilhaben

Studie: Abschiebung oder Bleiberecht? Lange Asylverfahren erzeugen Unsicherheit und verhindern den Zugang von Flüchtlingen zum Arbeitsmarkt

Von Susan Bonath *

Lange Asylverfahren lassen Flüchtlinge in Armut und Ungewissheit verharren. Nach einer aktuellen Studie der Bertelsmann-Stiftung arbeiten die Behörden in der BRD so langsam wie in keinem anderen Land. Dadurch würden Asylsuchende vom Arbeitsmarkt abgekoppelt und gesellschaftlich wie sozial ausgegrenzt. Daran änderten auch neue Richtlinien nichts, mit denen die Bundesregierung das Arbeitsverbot und die Residenzpflicht für Flüchtlinge auf drei Monate verkürzt hat. Die Verfahren dauerten meist weitaus länger. Arbeitgebern sei die Situation häufig zu ungewiss, stellte Studienautor Dietrich Thränhardt fest.

Statistisch dauere ein Asylverfahren durchschnittlich 7,1 Monate. Allerdings gebe es Unterschiede je nach Herkunftsland der Betroffenen. So hätten 2014 Menschen aus Eritrea rund 10,1 Monate auf eine Entscheidung gewartet. Bei Flüchtlingen aus Afghanistan dauere es im Schnitt 16,5 Monate, Pakistani hätten rund 17,6 Monate mit der ungewissen Zukunft leben müssen.

Der Autor kritisierte einen »selbst erzeugten Bearbeitungsstau« seit 2008 bei derartigen Verfahren. Grund sei unter anderem, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) vor 2005 unanfechtbar gewordene Flüchtlingsschutzgewährungen einer Widerrufsprüfung unterzog. Im Jahr 2008 wurden demnach 37.215, im Folgejahr 10.534 solche Verfahren durchgeführt. Diese hätten Vorrang vor Erst- und Folgeanträgen gehabt, so Thränhardt. Wie er auflistete, hatten 2008 insgesamt 28.018 Menschen Asyl in der Bundesrepublik beantragt, über 20.817 Anliegen sei entschieden worden. Mit aus den Vorjahren verschleppten Verfahren blieben 18.278 offen.

2009 stieg die Zahl der Erstanträge auf 33.000, im Jahr 2012 waren es knapp 78.700. Mit dem Amtsantritt des damaligen Bundesinnenministers Hans-Peter Friedrichs (CSU) im Jahr 2011 sei die Zahl der Entscheidungen trotz höherer Antragsquote noch gesunken, bemängelte Thränhardt. Im vorigen Jahr gingen 202.834 Asylanträge ein. Davon beschieden die Behörden etwas mehr als die Hälfte. Ende 2014 blieben laut Studie 169.166 Verfahren unerledigt. Dies betraf vor allem Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan, Eritrea, Serbien und Pakistan. Bis Februar 2015 sei die Zahl der offenen Anträge auf fast 244.000 angewachsen. Zwar hatten CDU/CSU und SPD 2013 im Koalitionsvertrag angekündigt, das Personal aufzustocken. Dies sei jedoch erst zwischen Mai und November 2014 umgesetzt worden, heißt es.

Zwischen Mai und November 2014 hatte die Bundesregierung das Personal im BAMF nach einer Vorgabe im Koalitionsvertrag aufgestockt. Für 2015 wurden weitere 350 Neueinstellungen angekündigt. Dies reiche aber nicht aus, um dem Zuwachs an Flüchtlingen gerecht zu werden, rügte der Autor der Studie weiter. Er verwies auf 45.175 Erst- und 6.765 Folgeanträge allein in den Monaten Januar und Februar 2015. Im gleichen Vorjahreszeitraum waren dies rund 26.000. »Es ist nicht zu erkennen, dass das Innenministerium auf die Brisanz der Situation angemessen reagiert«, stellte der Autor fest.

Thränhardt sieht die Gesetzeslage »in scharfem Gegensatz« zum offiziell immer wieder verkündeten »breiten Integrationskonsens«. Zwischen 1980 und 1993 hätten die Regierenden ein »restriktives Regime für Asylbewerber und Geduldete« mit Arbeitsverbot, Zuweisung des Wohnortes, Residenzpflicht, verordneten Gemeinschaftsunterkünften und Zentralverpflegung, Einschränkung der Krankenversorgung und Einschnitten bei den Leistungen geschaffen. Sprachkurse würden inzwischen kaum gefördert.

So würden Betroffene vom Erwerbsmarkt und sozial abgekoppelt. Dies zeigen auch Zahlen des Bundesamtes für Statistik. Danach wurden vor zwei Jahren 8,2 Prozent der Erwerbsfähigen mit Migrationshintergrund als »arbeitslos« erfasst, aber nur 4,5 Prozent derjenigen ohne ausländische Wurzeln. Unter denen, die erst als Erwachsene in die BRD kamen, lag die Quote bei knapp zehn Prozent. Laut Bundesagentur für Arbeit (BA) waren vor drei Jahren 35 Prozent aller Erwerbslosen mit Migrationshintergrund »langzeitarbeitslos«.

In seiner Studie empfiehlt Thränhardt mehrere Maßnahmen, um die Integration zu fördern. Zuerst müsse der Bearbeitungsstau abgebaut werden. Flüchtlingen sollten sofort Sprachkurse angeboten werden, was bisher nur in fünf Bundesländern möglich ist. Ausbildungen und Arbeitserfahrungen seien von der BA zu berücksichtigen. Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) hatte sich am Sonntag für ein Bundesprogramm für die Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt ausgesprochen und »Fortschritte« beschworen. Diese seien »wohl noch nicht in allen Bereichen angekommen«, zweifelte Annelie Buntenbach vom Vorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Die Grünen warfen der Bundesregierung »Knauserei« vor.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 28. Mai 2015

Hier geht es zur Studie:

Die Arbeitsintegration von Flüchtlingen in Deutschland
Humanität, Effektivität, Selbstbestimmung. Autor: Prof. Dr. Dietrich Thränhardt. Hrsg. von der Bertelsmann-Stiftung, o.J.




Zurück zur Seite "Migration, Flucht, Asyl"

Zur Seite "Migration, Flucht, Asyl" (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Seite "Armut, Elend, Arbeitslosigkeit"

Zur Seite "Armut, Elend, Arbeitslosigkeit" (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage