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Die Doppelmoral der USA

Washingtoner "Menschenrechtsbericht": Syriens Präsident Assad wird "Brutalität gegen das eigene Volk" vorgehalten. Beim Verbündeten Bahrain steht die Opposition am Pranger

Von Rainer Rupp *

Seit Jahrzehnten maßen sich die USA an, mit ihrem jährlichen Menschenrechtsbericht über andere Länder zu Gericht zu sitzen und dabei Vergehen im eigenen Land selbstgerecht zu übersehen. Letzteres ist möglich wegen langer, systematischer Gehirnwäsche. Das Gros der US-Amerikaner ist fest davon überzeugt, daß die Vereinigten Staaten stets auf der Seite der Engel kämpfen und deshalb gar nichts falsch machen können. Zu diesem Selbstverständnis gehört auch, daß die Vereinigten Staaten eine Ausnahmenation sind, »The exceptional nation«, deren von Gott aufgetragene Berufung (»Manifest destiny«) es ist, der Welt freie Marktwirtschaft und Demokratie – nach dem US-Vorbild – zu bringen. Wenn nötig, auch mit Bomben und Granaten.

Nach dem Ende des sowjetischen »Reichs des Bösen« fühlten sich die USA in ihrer Sichtweise bestärkt und überzogen viele Weltregionen mit verheerenden militärischen und wirtschaftlichen Kriegen. Sie kosteten Millionen Opfer, insbesondere unter der Zivilbevölkerung. Im Inneren der USA war diese Entwicklung begleitet vom Abbau der Demokratie und der Menschenrechte, bis hin zur staatlich verordneten Folter von Gefangenen. Es ist der Gipfel an Zynismus, wenn das US-Außenministerium in einem umfangreichen Bericht alljährlich Menschenrechtsverstöße in über 190 anderen Staaten beurteilt. Seit einiger Zeit aber nimmt die Volksrepublik China dies nicht länger untätig hin. Peking veröffentlicht seinerseits Informationen über die Mißachtung der Menschenrechte in den USA, wodurch Washington der Spiegel vorgehalten wird. Auch diesmal folgte der Publikation des US-Reports am 19. April die Präsentation der chinesischen Version.

Wie bei allen Menschenrechtsberichten des US-Außenministeriums der vergangenen Jahre zeigt auch die Analyse des jüngsten, daß die tatsächliche Lage in einem Land für das Urteil nicht maßgeblich ist. Den Autoren geht es ausschließlich um die Frage, ob dieser Staat brav im Fahrwasser der US-Außenpolitik den Vorgaben Wa­shingtons gefolgt ist oder nicht. So ist es kaum verwunderlich, daß in der Aufstellung des State Department unter den Hauptschuldigen Syrien mit seiner »erschreckenden Gewalt« und Präsident »Baschar Al-Assads Brutalität gegen sein eigenes Volk« zu finden sind. Über die teilweise religiös motivierte Erbarmungslosigkeit großer Teile der syrischen Aufständischen kann man hingegen nichts lesen. Iran bekommt die gleiche Behandlung. Der Regierung in Teheran wird vorgeworfen, daß sie »den regionalen und den Frieden der ganzen Welt bedroht« – obwohl das faktisch Israel und die USA ständig tun. Zugleich wird der Iran wegen der »Niederschlagung der Zivilgesellschaft« verurteilt.

Wie mit den Menschenrechten in Rußland umgegangen wurde, ist laut US-Bericht ebenfalls »zutiefst beunruhigend«, denn Moskau habe »eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, die die Aktivitäten von NGOs und die bürgerlichen Freiheiten beschneiden«. Die Gegenargumente und Erklärungen der russischen Behörden, unter anderem von Präsident Wladimir Putin vorgebracht, werden gar nicht erst erwähnt.

Auch China wird scharf kritisiert, insbesondere für die Verhängung von »lästigen Anforderungen« bei der Registrierung von Organisationen, was angeblich die wirksame Bildung von unabhängigen politischen, religiösen und spirituellen Bewegungen, Menschenrechtsorganisationen und Gewerkschaften verhindert, weil die aus Sicht Pekings dessen Macht in Frage stellen könnten.

Staaten, die sich als treue Verbündete der USA verdient gemacht haben, werden dagegen mit glühenden Worten gelobt, unabhängig von der tatsächlichen Situation im jeweiligen Land. Libyen, das nach dem »arabischen Frühling« von Gewaltextremisten übernommen wurde, wird wegen der Tatsache gelobt, daß der Justizminister des Landes »ein Veteran der Menschenrechtsbewegung ist«, sowie dafür, daß die Bevölkerung zum ersten Mal seit Jahrzehnten an Wahlen mit mehreren Bewerbern teilgenommen habe.

Noch absurder wird es im Fall Bah­rain. Das Emirat ist einer der wichtigsten Verbündeten Washingtons am Persischen Golf und beherbergt eine US-Marinebasis. Die Bevölkerungsmehrheit der Schiiten ist laut Washingtons Menschenrechtsbericht selbst schuld, wenn sie Opfer der bewaffneten Sicherheitskräfte der dort herrschenden sunnitischen, von Saudi-Arabien unterstützten Feudaldiktatur wird. Der Report wirft unbewaffneten Demonstranten in Bahrain »tödliche Gewalttaten gegen die Sicherheitskräfte« vor und rechtfertigt die brutale Niederschlagung der Opposition. In Syrien dagegen, wo die Opposition tatsächlich schwer bewaffnet ist und rücksichtslos vorgeht, verstoßen Assads Sicherheitskräfte bereits gegen die Menschenrechte, wenn sie sich wehren, um selbst am Leben zu bleiben. Diese Doppelmoral zieht sich durch den gesamten Bericht.

* Aus: junge Welt, Samstag, 27. April 2013


Scheinheiliger Weltrichter

China kontert US-Menschenrechtsbericht mit eigenen Vorwürfen gegen Washington

Von Rainer Rupp **


Nach dem »verlorenen« außenpolitischen Jahrzehnt bzw. der US-Niederlage im »größeren Mittleren Osten« versucht Washington verstärkt, seine politische und militärische Hegemonie über Asien wieder zu festigen. China hat diese durch sein wachsendes ökonomisches, politisches und nicht zuletzt militärisches Gewicht in Frage gestellt. So versuchen die USA umso stärker, mit einem Menschenrechtsreport der Welt weiterhin ihre moralische Überlegenheit vorzugaukeln. Peking kontert nun seit fast zehn Jahren mit einem eigenen Bericht zu den Verletzungen der Menschenrechte durch die Vereinigten Staaten.

Auch dieses Jahr wurde zwei Tage nach Veröffentlichung des US-Berichts die chinesische Version am vergangenen Sonntag publiziert. Schon auf den ersten Seiten wird problematisiert, daß sich Washington scheinheilig als Weltrichter über 190 Länder aufspielt, aber »auf beiden Augen blind« ist, »wenn es um die jämmerliche Lage der Menschenrechte im eigenen Land geht«. Darüber werde kein Wort verloren. Zugleich würden die »bürgerlichen und politischen Rechte der US-Bürger zunehmend eingeschränkt«. Denn die Regierung sei dabei, den im vergangenen Jahrzehnt verstärkten Überwachungsstaat weiter auszubauen, was nicht selten gegen die eigenen Gesetze verstoße und die Freiheit der Bürger in erheblichem Maße verletze.

Als Beleg für diese Behauptungen zitiert der chinesische Bericht ausführlich aus Dokumenten und Justizakten, die von US-Bürger- und Menschenrechtsorganisationen wie der »American Civil Liberties Union« zusammengetragen worden sind. Besonders hervorgehoben wird das 2012 vom Washingtoner Kongreß verabschiedete Gesetz, das den Sicherheitsorganen gestattet, nach Gutdünken und ohne richterliche Erlaubnis verdeckte Hausdurchsuchungen und Abhörmaßnahmen durchzuführen. Allein der US-Geheimdienst »National Security Agency« überwacht im Inland täglich (!) 1,7 Milliarden E-Mails, Telefonate und andere Kommunikationsverbindungen.

Ein weiterer Kritikpunkt Pekings ist, daß die US-Regierung nicht effektiv gegen den privaten Besitz von 270 Millionen Schußwaffen vorgeht. So seien 2012 in den USA 30000 Menschen getötet und mehr als 100000 verletzt worden. Derweil sei die »amerikanische Demokratie« nur eine »Scheindemokratie«, in der nicht die Bürger, sondern das Geld der Reichen und der Konzerne bestimme, wer im Land gewählt und welche Politik gemacht wird.

Auch das höchste Menschenrecht, das auf Leben, werde von den USA mit ihren Kriegen in anderen Ländern ständig und massiv verletzt. Von 2001 bis 2011 habe von ihnen angeführte »Krieg gegen den Terror« bis zu 110000 Menschen pro Jahr getötet, so der chinesische Bericht unter Berufung auf Daten der Website der »Stop the War Coalition«. Zugleich halte die US-Armee noch 171 Ausländer illegal in Guantánamo gefangen, ohne Anklage und ohne Beweise

** Aus: junge Welt, Samstag, 27. April 2013

Hintergrund: Soziale Menschenrechte

Gemäß des 1966 geschlossenen Sozialpaktes der Vereinten Nationen zählt China u.a. auch die materielle Verbesserung des Lebensstandards der arbeitenden Bevölkerung, deren soziale Absicherung und angemessenen Lohn zu den Menschenrechten. Dieser UN-Vereinbarung sind die USA nie beigetreten, ebenso wenig wie z.B. der Konven­tion über die Rechte des Kindes. Während die regierende KP Chinas in den vergangenen zwei Jahrzehnten mit ihrer Politik mehr als 300 Millionen Menschen aus tiefster Armut befreit hat, lief der Trend in den USA – wenn auch auf höherem Niveau – in die entgegengesetzte Richtung. So rechnet Peking in seinem am vergangenen Sonntag veröffentlichten Bericht zur Verletzung der Menschenrechte durch die USA vor, daß nach Washingtons eigenen Angaben über 15 Prozent der US-Bevölkerung (46,2 Million) derzeit bereits in Armut leben. Zugleich werde die Lücke zwischen den wenigen Reichen und dem Rest der Bevölkerung immer größer. Dies stelle eine schwere Verletzung der sozialen Menschenrechte dar.

Auch hierzulande werden die im UN-Sozialpakt garantierten sozialen Menschenrechte »alltäglich verletzt«. Daran erinnerte am Donnerstag die menschenrechtspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Annette Groth, anläßlich der Anhörung der Bundesregierung vor dem UN-Menschenrechtsrat. Noch immer weigere sich die Bundesregierung, »die sozialen und bürgerlichen Menschenrechte gleichberechtigt zu bewerten, denn dann müßte sie erhebliche Menschenrechtsverletzungen einräumen«, so Groth. Mehr als 1,5 Millionen Menschen sind derzeit unmittelbar von Ernährungsarmut betroffen und müssen die »Tafeln« nutzen. Mehr als zwei Drittel aller Arbeitslosen seien armutsgefährdet, insgesamt lebten mehr als elf Millionen Menschen in Deutschland in Armut. Zugleich hindere dies immer mehr Menschen daran, eine gerechte Ausbildungschance zu bekommen, so die Linke-Politikerin. Von der Bundesregierung fordert Groth ein Ende dieser »realen Menschenrechtsverletzungen« durch ein konkretes Programm zur Armutsbekämpfung, um den »alltäglichen Skandal der Ausgrenzung von Millionen Menschen« zu beenden.

Die FAZ machte sich derweil lustig darüber, daß ausgerechnet Vertreter aus Kirgistan, Malaysia, Nikaragua oder Kuba, aus Saudi-Arabien, Nordkorea oder der Türkei auf der UN-Tagung unbequeme Fragen stellen: »Vieles am Genfer Menschenrechtsrat bringt westliche Diplomaten zum Verzweifeln. Anstatt akute Menschenrechtsverletzungen zu verurteilen, halten hier die Schurken ihre schützenden Hände übereinander.«

(rwr)

(jW, 27.04.2013)




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