Spoos Presseschau: Der freche Wladimir
Presse schwört auf vaterländische Pflichterfüllung gegen Russland ein *
Das Zweite Deutsche Fernsehen, das uns seit Jahren unaufhörlich einzureden versucht, mit einem Auge sehe man besser als mit zweien, sendete einen Zeichentrickfilm über den schwierigen Knaben Wladimir. Der sei, weil ihm seine westlichen Erziehungsberechtigten alles durchgehen ließen, immer frecher geworden. Der Knabe – Sie haben es sicher gleich erraten – trug die Gesichtszüge des russischen Präsidenten Putin. War das lustig? Ich fand die Anmaßung, den Russen Manieren beizubringen– oder, wie man heute sagt, „westliche Werte“ – , nicht amüsant. Aber die tonangebenden Medien sind da offenbar anderer Meinung als ich. Und die sogenannte westliche Wertegemeinschaft scheint sich nahezu einig zu sein, daß Sanktionen verhängt werden müssen, Strafmaßnahmen gegen Rußland, gegen den frechen Wladimir.
Die USA, die sonst bei jeder Gelegenheit den totalen Freihandel propagieren, fordern jetzt von allen Staaten, sich an ökonomischer Erpressung Rußlands zu beteiligen – und da hört bei mir jeder Frohsinn auf, denn ich habe nicht vergessen, daß allen Bombenkriegen der vergangenen Jahre solcher Handelsboykott vorausgegangen ist. Mit Rußland soll man nicht mehr frei handeln, nicht einmal mehr frei reden. Dem Vorstandsvorsitzenden des Siemens-Konzerns, Joe Kaeser, wurde das sogar öffentlich beigebracht. Im ZDF putzte ihn Claus Kleber herunter: „Und Sie haben mit dem geredet – als Repräsentant eines Unternehmens, das auch für Deutschland steht!“ Für Deutschland – eine vaterländische Pflichterfüllung wurde da verlangt. Die Frankfurter Rundschau befand: „Es wird höchste Zeit für umfassende Wirtschaftssanktionen. Wladimir Putin kann kein Partner mehr sein.“ Kein Partner mehr – jetzt also ein Feind, der besiegt werden soll. Ernst Elitz, der langjährige Intendant des Deutschlandradios , forderte in der Bild-Zeitung: „Nur Zwangsmaßnahmen, die unerbittlich die Lebensstränge von Rußlands Wirtschaft kappen, werden wirken.“ Unerbittlich die Lebensstränge kappen – da war es nur noch ein Schritt zu den offenen Völkermorddrohungen ukrainischer Faschisten. Andrij Bilezki, der Kommandeur des gegen die Automomie-Bewegung in der Ost-Ukraine kämpfenden Bataillons „Asow“, rief zum „finalen Kreuzzug gegen die von Semiten angeführten Untermenschen“.
Strafmaßnahmen bis hin zur Todesstrafe, bis hin zum Völkermord – wofür eigentlich? Was ist Putin vorzuwerfen? Ach ja: die Annexion der Krim. Was war da geschehen? Das Parlament der Autonomen Republik Krim beschloß mit 78 von 99 Stimmen die Abtrennung ihres Landes von der Ukraine. Und die Bevölkerung der Krim entschied sich dann bei einer Beteiligung von 83,1 Prozent mit einer Mehrheit von 96,77 Prozent für den Beitritt zur Russischen Föderation. Ein friedlicher Akt der Selbstbestimmung. Rußland akzeptierte ihn. Muß Rußland dafür bestraft werden? Oder für den Absturz einer Passagiermaschine, deren Kurs von den ukrainischen Behörden geändert worden war? Präsident Petro Poroschenko behauptete, unwiderlegliche Indizien dafür zu haben, daß die Russen schuld waren – aber alle seine Behauptungen erwiesen sich als Lügen. Die tonangebenden deutschen Medien übernahmen die Lügen oder verschwiegen uns die Nachrichten, die nicht in das vorgefertigte Bild paßten. Vor allem über die faschistischen Kampfverbände schwiegen und schweigen sie möglichst, leugneten oder verharmlosten sie. Im ZDF war zwar einmal ein solcher Verband mit SS-Rune oder Hakenkreuz an den Helmen zu sehen, aber so, als wollte der Sender uns einfach kritiklos an diesen Anblick gewöhnen. Die Faschisten sollten uns ja nicht als die Bösen erscheinen – diese Rolle ist im Medientheater mit den sogenannten Pro-Russen besetzt –, sondern wir sollten sie als die Unseren sehen, die dem Westen Nützlichen, die Guten. Die New York Times hatte es längst offen ausgesprochen (ich zitiere): „Ohne den Rechten Sektor und andere militante Gruppen hätte die ukrainische Februarrevolution (also der Kiewer Putsch gegen den gewählten Präsidenten Janukowitsch; E.S.) gar nicht stattgefunden.“
So viel zum ZDF. Und wie berichtet die ARD und ihre Länderanstalten? Sie sind auf demselben Auge blind und verkennen simpelste Tatsachen. Da wurde zum Beispiel im WDR das angebliche Eindringen russischer Panzer in die Ukraine mit einem Foto scheinbar bewiesen. Das Bild sei am 19.August 2014 entstanden, teilte der Sender seinem Publikum mit. Tatsächlich stammte es aus dem Jahre 2008 und nicht aus der Ukraine, sondern aus Georgien. Und die Tagesschau illustrierte die Meldung über einen Hubschrauber-Abschuß in der Ostukraine mit Bildern aus Syrien.
Eine erfreuliche Überraschung war es, als der Programmbeirat der ARD die voreingenommene, parteiische Berichterstattung rügte. Um so schlimmer aber, daß die Programmverantwortlichen die Rüge abtaten, als wäre sie lächerlich. ARD-Chefredakteur Thomas Baumann nahm sich heraus, die gründliche, ausführliche Stellungnahme des Programmbeirats mit den Worten wegzuwischen: „Den Vorwurf einer einseitigen und tendenziösen Berichterstattung über den Ukraine-Konflikt weise ich energisch zurück.“ Diese Uneinsichtigkeit, diese Dreistigkeit ist beängstigend. Offenbar ist leitenden Herren des öffentlich-rechtlichen Rundfunks die Wahrhaftigkeit oder Verlogenheit der Berichterstattung nebensächlich; namentlich WDR-Intendant Tom Buhrow und Fernsehdirektor Jörg Schönenborn, so war im Internet-Portal Telepolis zu erfahren, legten Wert auf die Verteidigung „westlicher Positionen“. Und der Chef der Deutschen Welle, Peter Limbourg, verkündete in der Wochenzeitung Die Zeit: „Unsere Werte in der Welt zu verbreiten, ist eine nationale Aufgabe.“ Da ist sie wieder, die stramme Haltung, die vaterländische Pflichterfüllung, die in Kriegszeiten von jedem und jeder verlangt wird, auch und gerade von Journalisten.
Als nach dem Absturz der malaysischen Passagiermaschine über der Ostukraine fast alle bundesdeutschen Medien ohne jeden Beweis Wladimir Putin dafür verantwortlich machten, dem zum Beispiel die Frankfurter Rundschau „Skrupellosigkeit“ und „Unverfrorenheit bescheinigte, fiel mir ein, daß US-amerikanisches Militär erwiesenermaßen zum Abschuß von Zivilflugzeugen fähig ist, z.B. einer iranischen Maschine mit 298 Insassen über dem Golf von Hormus. Wieso erinnert kein einziges der landestypischen Konzernblätter, kein Kommerzsender und auch keine öffentlich-rechtliche Anstalt an die „Operation Northwoods“, eine vor mehreren Jahren aufgedecktes Geheimstrategie des US-Generalstabs?
Wie wäre es, wenn man Putin nach den gleichen Kriterien bewerten würde wie Obama? Wer von beiden ist unehrlich? Putin? Oder Obama, der z.B., als es ums Telefonabhören ging, der deutschen Kanzlerin ins Gesicht log? Wer von beiden schickt Militär in ferne Länder. Putin oder Obama? Oder beide? Wer mißachtet UNO-Beschlüsse? Wer müßte bestraft werden? Ich bin sicher: Jeder Vergleich wäre aufschlußreich.
* Eckart Spoo für weltnetz.tv am 10. Oktober 2014
Unter den großen Namen kritischer Journalisten der letzten Jahrzehnte findet sich neben Günter Gaus, Erich Schmitt-Eenboom, Heribert Prantl und Hajo Friedrichs auch zweifelsohne Eckart Spoo. Einst führender Redakteur der Frankfurter Rundschau, heute Herausgeber von Ossietzky - dem Nachfolgeblatt von Ossietzkys Weltbühne.
Unter der Rubrik „Spoos Presseschau“ unterzieht er für weltnetz.tv die Berichterstattung der auflagenstärksten Presse in Deutschland einer kritischen Analyse.
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