Chorprojekt gegen Krieg: "Man darf nicht glauben, dass ein Lied die Welt ändern kann"
Der Hans-Beimler-Chor fordert am Wochenende in Berlin "Schluss mit dem Totentanz" und singt "Lieder für eine Welt ohne Kriege". Dies ist Teil eines internationalen Projekts. Gespräch mit Johannes Gall *
Johannes Gall ist Leiter des Hans-Beimler-Chors in Berlin.
Sie werden am Sonnabend und Sonntag in der »Werkstatt der Kulturen« in Berlin auftreten und »Lieder für eine Welt ohne Kriege« präsentieren. Mit welchen künstlerischen Mitteln nähert sich der Chor dem Beginn des Ersten Weltkrieges vor 100 Jahren und dem des Zweiten Weltkrieges vor 75 Jahren?
Natürlich erst mal mit einer breiten Auswahl von Liedern. Dazwischen montiert haben wir immer wieder Texte, insbesondere Gedichte, aber auch Reden und Zeitungsausschnitte. Gleich zu Beginn wird dies ein Text von Karl Marx aus der »Inauguraladresse« sein. Später kommen Brecht-Gedichte und ein Text von Gremliza hinzu, der mit einem kurzen Ausschnitt einer Steinmeier-Rede montiert wird.
Die ältesten Lieder, die wir präsentieren, sind aus der Zeit des Ersten Weltkriegs, darunter ein britisches Soldatenlied, das durch die Punkrockband »Chumbawamba« bekannt wurde, »Hanging on the Old Barbed Wire«. Außerdem singen wir viele Lieder aus den 1920er Jahren und den darauffolgenden Jahrzehnten, bis in die Nachkriegszeit hinein. Das modernste Stück ist gerade erst komponiert worden von Frederic Rzewski: eine mehrteilige »Ode an den Deserteur« aus Anlass dieses Hundertjahrjubiläums. Das ist ein internationales Projekt mit mehreren Sätzen, und wir beteiligen uns am deutschen. Dieser beruht zunächst auf dem bekannten Text von Wolfgang Borchert »Dann gibt es nur eins!« mit der Aufforderung: »Sag nein!« Ein zweiter Teil bringt dann die letzte Strophe aus Kurt Tucholskys »Drei Minuten Gehör« und endet mit den Worten »Nie wieder Krieg!«
Wie muss ich mir ein internationales Chorprojekt vorstellen?
Das Projekt »Wahnflucht« wurde vom Brecht-Eisler-Chor in Brüssel initiiert. Den Kern bildet das von Rzewski komponierte Werk, aber es reicht auch darüber hinaus und wird von anderen Veranstaltungen eingerahmt. Die »Ode an den Deserteur« ist ein vielstimmiges Werk: Verschiedene Nationen, Jahrhunderte, Sprachen werden darin aufgegriffen. Es gibt Texte von James Joyce, Étienne de La Boétie, Sophokles. Das wird von verschiedenen Chören in unterschiedlichen Ländern aufgeführt und soll ein Jahr lang stattfinden, vom diesjährigen Weltfriedenstag bis zum nächsten September.
Etwas experimentell ist natürlich noch der Gedanke, wie das zusammengeführt werden wird. Da ist eine Internetschaltung im Gespräch. Wir sind alle gespannt, ob und wie so etwas funktioniert.
Sie positionieren sich sehr eindeutig als politischer Chor. Wo sind für Sie die politischen Eingriffsmöglichkeiten, wenn sich Menschen zusammentun und singen?
Musik ist ein wirkmächtiges Werkzeug, das man nicht unterschätzen darf. Es ist stark, um gemeinschaftliche Haltungen zu untermauern und Kollektive zusammenzuschließen. Natürlich darf man nicht glauben, dass ein Lied allein die Ungerechtigkeiten der Welt ändern kann. Ich bin trotzdem überzeugt, dass Musik eine ganz entscheidende Rolle spielt. Denken Sie an »Grândola, Vila Morena« aus der Nelkenrevolution, die »Marseillaise« oder die »Internationale«.
Ich denke, dass die Arbeit mit dem Chor eine bewusstseinsbildende Wirkung hat, in dem Sinne, dass wir eine Haltung einnehmen, hinterfragen, uns in eine gewisse Tradition begeben und mit dieser auseinandersetzen.
Warum ist Ihre Namenswahl auf Hans Beimler gefallen?
Das hängt zuallererst mit der Geschichte des Chores zusammen, der aus dem Kulturensemble der Sozialistischen Einheitspartei Westberlins hervorging. Diesen Namen haben wir sehr bewusst über alle Umbruchszeiten bewahrt. Beimler steht für den antifaschistischen Kampf, durch seine Flucht aus dem Konzentrationslager Dachau und seine Beteiligung am Spanischen Bürgerkrieg. Mit unserem Liedrepertoire fühlen wir uns dem verpflichtet.
Interview: Claudia Wrobel
* Aus: junge Welt, Samstag, 1. November 2014
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