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Journalisten trommeln zum Krieg

Von Karin Leukefeld *

Für die USA, Frankreich und Großbritannien sei es klar, dass der Giftgaseinsatz im Umland von Damaskus Mitte August vom syrischen Präsidenten Bashar al-Assad (Originalton: »Assad-Regime«) zu verantworten sei, leitet (am 26.8.) die Kollegin eines deutschen Mediums ihre Frage an den außenpolitischen Sprecher der CDU, Ruprecht Polenz, ein. Die Mission der UN-Inspektoren komme »viel zu spät«, ob man »denn noch eine Bestätigung der UN-Inspektoren vor Ort über den Einsatz von Chemiewaffen« brauche?

Polenz warnt davor, dass eine Ausweitung des Krieges in Syrien einen »regionalen Flächenbrand« auslösen werde. Libanon, Jordanien und die Türkei seien in Gefahr, destabilisiert zu werden. Er wolle die Ergebnisse der UN-Untersuchung von Giftgasvorwürfen nicht vorwegnehmen. Es bestehe die Gefahr, dass »auch die Rebellen (...) möglicherweise selber das Giftgas eingesetzt (hätten), um das Eingreifen der Westmächte zu provozieren«. Deutschland würde sich nicht an einem militärischen Eingreifen beteiligen, so Polenz. Daraufhin die Kollegin: »Aber Herr Polenz, verstehe ich Sie da richtig, sollte es zu dieser Koalition der Willigen kommen, würde Deutschland seine Partner wieder einmal im Regen stehen lassen?« Deutschland setze »auf Deeskalation«, antwortet Polenz, woraufhin er mit der Frage konfrontiert wird, wie lange sich denn Deutschland »diese Haltung noch leisten« könne, die »Verantwortung« anderen zu überlassen. Während die Antworten des Politikers gute Ansätze liefern, nachzufragen, wie Deeskalation aussehen könnte, orientiert die Fragestellung ausschließlich auf Krieg.

Ein Fernsehjournalist sagt (im Interview mit einer Kollegin) auf die Frage, wie Deutschland sich zu einem US-Militärschlag in Syrien verhalten solle,»wegducken geht nicht«. Bei der UN-Sicherheitsratsentscheidung zu Libyen habe Deutschland sich »auf der falschen Seite« befunden, nämlich an der Seite von Russland und China. Das wolle Berlin »nicht noch einmal«. »Diese Bundesregierung wird, davon bin ich überzeugt, einen Militärschlag, wie immer er aussieht (…) gut heißen und befürworten«. Berlin »hinkt Washington und London hinterher«, so die Kollegin, woraufhin der Befragte einräumt, dass es mit dem Thema Militäreinsätze in Deutschland nicht so leicht sei. Nach dem Militärschlag werde es aber wieder möglich sein, politische Gespräche (auch mit Russland) zu führen. Im Übrigen werde der Wahlkampf in Deutschland »nicht von dem Konflikt in Syrien entschieden«, auch wenn Zweidrittel der Deutschen einer Umfrage zufolge einen Kriegseinsatz gegen Syrien ablehnten.

In welchem Gedankengebäude sind Journalisten gefangen, die solche Fragen stellen oder Meinungen äußern? Blockdenken und Lagermentalität erwartet man eher bei Politikern, aber bei Journalisten ...? Wie kann es sein, dass über die Lage in Syrien kaum aufgeklärt und informiert wird? Dass Positionen der syrischen Regierung oder des syrischen Botschafters bei den Vereinten Nationen so gut wie nie in hiesigen Medien zu hören sind? Selten hört man hierzulande von der durchaus vorhandenen Position der syrischen Opposition, die sich gegen ausländische Einmischung richtet, geschweige denn die Stimmen der syrischen Bevölkerung.

Politisches Handeln und daraus resultierende Optionen werden selten in hiesigen Medien erörtert. Teilweise wird sogar Hohn und Spott verbreitet, wenn es um Besonnenheit und Diplomatie geht. Russland und China werden für »ein Scheitern des UN-Sicherheitsrates« verantwortlich gemacht. Doch warum verhalten die beiden Staaten sich so? (Und übrigens viele andere Staaten auch) Warum wird die Haltung der westlichen Veto-Staaten im UN-Sicherheitsrat nicht hinterfragt?

»Leitartikler schreiben Syrien in den Krieg«, sagt der Nahostexperte Michael Lüders (im ZDF), einer der wenigen Nahostkenner, der sich differenziert zu der Lage in der Region äußert. Und der CDU-Politiker Polenz meint in dem beschriebenen Interview, er habe den Eindruck, die Medien seien »wesentlich weiter als der US-Präsident«.

Eines ist sicher. Der unvergleichliche Medienaufstand in den westlichen Ländern nach dem Giftgaseinsatz im Umland von Damaskus hat es geschafft, fünf US-Kriegsschiffe im östlichen Mittelmeer zusammenzuziehen, Kampfjets und Piloten in Alarmzustand zu versetzen, Panzer und Truppen (in Jordanien) in Bewegung zu bringen und den Ölpreis in die Höhe zu treiben. Ohne nur einen Schuss abzufeuern haben die Medien den Gotteskriegern unterschiedlichster Herkunft, die Damaskus zur Hauptstadt eines »Islamischen Staates« machen wollen, ordentlich unter die Arme gegriffen. Die Frage, wer das Giftgas eingesetzt hat und warum, wurde kaum gestellt. Ebenso wenig die Frage, was zu geschehen hätte, wenn es die Aufständischen waren?

* Die Autorin ist freie Journalistin und berichtet für »nd« aus Syrien.

Aus: neues deutschland, Samstag, 31. August 2013



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