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Razzia bei Fotoreportern

Journalistenverbände sehen inakzeptablen Verstoß gegen Pressefreiheit

Von Martin Kröger *

Auf der Suche nach Beweisen in einem Ermittlungsverfahren wegen gefährlicher Körperverletzung durchsuchten gestern Polizisten die Räumlichkeiten von fünf Fotoreportern aus Berlin. Bundesweit gab es bei insgesamt acht Fotojournalisten Dursuchungen, die die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main beantragt hatte.

»Bei mir im Treppenhaus standen 15 Polizisten«, berichtet Björn Kietzmann, der als freier Fotoreporter auch häufig Bilder für das »neue deutschland« macht. Kietzmann war im März 2012 beim europäischen Aktionstag gegen Kapitalismus, dem sogenannten M31, in Frankfurt am Main. Die Staatsanwaltschaft begründete die Durchsuchungen bei den Fotografen nun damit, dass bei dieser Demonstration ein Polizist verletzt worden sei. »Die Polizisten ließen mir zwei Möglichkeiten«, berichtet Kietzmann: »Entweder das Material zu der M31-Demonstration wird an Ort und Stelle gesichtet oder alles Material samt Fotoausrüstung wird beschlagnahmt.« Kietzmann entschied sich für die erste Variante und gab 16 Bilder heraus, weil er sich sicher war, bei dem angesprochenen Sachverhalt nicht in der Nähe gewesen zu sein.

Das bestätigte sich auch bei der Durchsicht der Bilder, die von den Beamten dennoch beschlagnahmt wurden. Im Durchsuchungsbeschluss ist im Zusammenhang mit Kietzmann auch nur von einem »Fotografen« die Rede, als wenn er kein Journalist wäre. Außerdem bezieht sich der Beschluss lediglich auf »Wohn- und Nebenräume« und nicht auf »Redaktionsräume«. »Damit soll das Redaktionsgeheimnis ausgehebelt werden«, vermutet Kietzmann, der sich jetzt genau wie die anderen von der Razzia betroffenen Fotografen juristisch zur Wehr setzen will.

Unterstützung bekamen die Fotoreporter gestern unterdessen von der Deutschen Journalistinnen und Journalisten-Union (dju) in ver.di. »Die Durchsuchungen sind ein ungeheuerlicher Vorgang«, kritisierte die dju-Bundesgeschäftsführerin Cornelia Haß. »Da sollen Pressevertreter mit brachialen Methoden gezwungen werden, Hilfspolizisten zu spielen.« Die durchgeführten Maßnahmen entbehrten jeder Verhältnismäßigkeit und entsprächen keinerlei rechtsstaatlichen Standards. Die dju bezeichnete die Razzia als vollkommen »inakzeptabel« und als Verstoß gegen die Pressefreiheit. Ähnlich äußerte sich die Berliner Linkspartei. »Auch die Wohnungen von freien Journalisten müssen den grundgesetzlichen Schutz genießen, wenn dort journalistisch gearbeitet wird«, erklärte der Abgeordnete Hakan Taş.

Die Polizei wollte sich gestern nicht zu der neuerlichen Razzia bei Journalisten in Berlin äußern. Die Sprecherin der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main, Doris Möller-Scheu, erklärte gegenüber »nd«, ihre Behörde und das Gericht wären bei Erlass des Durchsuchungsbeschusses davon ausgegangen, dass es sich nicht um Pressefotografen handele. Sollten es sich doch um Pressefotografen gehandelt haben, werde das gesicherte Material nicht gesichtet.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 07. Februar 2013


Auf Beschaffungstour

Polizei durchsucht mehrere Wohnungen von hauptberuflichen Journalisten. Harsche Kritik von Journalisten-Union und Linkspartei

Von Markus Bernhardt **

Gleich mehrere Fotojournalisten haben in den gestrigen Morgenstunden unerbetenen Besuch von Polizeibeamten erhalten. Auf Anweisung der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main durchsuchten Polizisten mehrere Objekte und Privatwohnungen in Berlin, Hessen, Baden-Württemberg, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen. An der Aktion waren insgesamt mehrere hundert Beamte beteiligt.

Der Grund für die Durchsuchungsaktionen liegt in Ermittlungen, die die Staatsanwaltschaft der Bankenmetropole zunächst wegen angeblichen »versuchten Totschlags«, mittlerweile offensichtlich nur noch wegen »gefährlicher Körperverletzung« gegen Unbekannt führt. So sind die Ermittler auf der Suche nach Fotos, auf denen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei beim europaweit ausgerufenen antikapitalistischen Aktionstag »M31« zu sehen sind.

Über 6000 Menschen hatten am 31. März vergangenen Jahres in Frankfurt am Main gegen die neoliberale Krisenpolitik der Europäischen Union demonstriert. Im Verlauf der damaligen Proteste war die Polizei mehrfach massiv gegen die Antikapitalisten vorgegangen und hatte die Demonstration in mehrere Teile gespalten. Über 200 Kapitalismusgegner waren außerdem für mehr als sechs Stunden von den Beamten eingekesselt worden. Infolge der Proteste hatte die örtliche Staatsanwaltschaft Ermittlungsverfahren wegen »versuchten Totschlags« und Körperverletzung eingeleitet. Angeblich seien damals 15 Beamte verletzt worden, ein Polizist davon so schwer, daß er auf die Intensivstation habe eingeliefert werden müssen, da er eine schwere Augenverletzung durch eine Chemikalie erlitten habe (jW berichtete).

Indes behauptete die Sprecherin der Frankfurter Staatsanwaltschaft, Doris Müller-Scheu, daß sich die Durchsuchungen gegen acht Sympathisanten der linken Szene gerichtet hätten, verschwieg jedoch, daß die Betroffenen als hauptamtliche Fotojournalisten tätig sind und somit gesetzlich besonderen Schutz genießen. Betroffen von der überfallartigen Aktion waren unter anderem die auch für junge Welt tätigen Bildreporter Björn Kietzmann, Christian Mang und PM Cheung.

Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) wie auch der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) protestierten am Mittwoch scharf gegen den Polizeieinsatz, bei dem die Beamten Fotodateien aus den Computern der betroffenen Fotografen kopiert hatten. »Das ist ein ungeheuerlicher Vorgang«, kritisierte etwa die dju-Bundesgeschäftsführerin Cornelia Haß. Sie warf den Behörden vor, »Pressevertreter mit brachialen Methoden« zu zwingen, »Hilfspolizisten zu spielen«. Die durchgeführten Durchsuchungen verstießen gegen die Pressefreiheit und seien vollkommen inakzeptabel, so Haß weiter.

Kritik kam auch von Hakan Tas, Mitglied der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. Auch er geißelte die Aktion als »Verstoß gegen die verfassungsrechtliche Pressefreiheit« und forderte, daß auch die Wohnungen von freien Journalisten »den grundgesetzlichen Schutz genießen« müßten, wenn dort journalistisch gearbeitet werde. Tas warnte außerdem, daß derartige Polizeiaktionen mittlerweile »zur Gewohnheit zu werden« drohten. Schließlich seien bereits zum dritten Mal innerhalb von zwei Monaten Razzien gegen Journalisten in Berlin durchgeführt worden, zuletzt im Dezember 2012 gegen die Berliner Morgenpost und die Wohnung eines freien Fotografen.

** Aus: junge Welt, Donnerstag, 7. Februar 2013


»Sie bekommen selbstverständlich Rechtsschutz«

Polizei durchsuchte Privatwohnungen von Pressefotografen – trotz Verfassungsgarantie für Quellenschutz. Ein Gespräch mit Andreas Köhn ***

Andreas Köhn ist Geschäftsführer der deutschen Journalisten-Union (dju) bei ver.di in Berlin-Brandenburg.

Mittwoch morgen hat die Polizei in mehreren Bundesländern Privatwohnungen von Fotografen durchsucht und Datenträger, Laptops, Mobiltelefone und wohl auch Fotoapparate beschlagnahmt. Gilt nicht auch in diesem Fall der gesetzlich garantierte Quellenschutz für Journalisten?

Festangestellte gibt es in diesem Bereich heute kaum noch, rund 80 Prozent der Pressefotografen sind freie Mitarbeiter – sie arbeiten meist von der Wohnung aus. Ihr Arbeitsraum ist also das, was für einen festangestellten Pressefotografen die Redaktion ist. Das kann auch das jeweils zuständige Finanzamt bestätigen: Diese Kollegen rechnen das Arbeitszimmer in ihrer Wohnung nämlich beim Einkommenssteuer-Jahresausgleich ab.

Gleich, ob ein Journalist von seiner Wohnung oder von der Redaktion aus arbeitet: In beiden Fällen gilt der erwähnte Quellenschutz. Es ist der Polizei also schlicht und einfach untersagt, journalistisches Material einzusehen oder gar zu beschlagnahmen.

Noch schlimmer: Die meisten Betroffenen sind vorher von der Polizei telefonisch oder per E-Mail befragt worden, ob sie Fotos von den Rangeleien bei der Occupy-Demo am 31. März in Frankfurt am Main hätten. Die Antwort war in der Regel: »Nein«. Auch deswegen muß man diese Razzia als unverhältnismäßig einstufen.

In einer Mitteilung der Frankfurter Staatsanwaltschaft, die diese Aktion veranlaßt hat, ist allerdings nicht von Journalisten die Rede, sondern »von Sympathisanten der linken Szene«. Was sagen Sie dazu?

Ich kann mich jetzt nur zu den vier Kollegen aus Berlin äußern. Sie waren im Auftrag ihrer jeweiligen Redaktion als Bildberichterstatter dabei, der Polizei gegenüber hatten sie sich mit gültigen Presseausweisen legitimiert. Diese Daten hatten die Behörden, sie wußten also auch, daß es Journalisten sind. Wie die Staatsanwaltschaft darauf kommt, es seien »Sympathisanten«, bleibt ihr Geheimnis.

Die Namen einiger anderer hat die Staatswaltschaft wohl über Recherchen im Internet herausbekommen, dort ist eine Reihe von Fotos zur Demo veröffentlicht worden.

Es wurde auch Arbeitsmaterial beschlagnahmt – könnten diese Kollegen jetzt Schadensersatz und Verdienstausfall einklagen?

Im Prinzip ja, allerdings wurden bei den Berliner Durchsuchungen lediglich Dateien kopiert. In Freiburg wurde in der Tat eine Kamerausrüstung beschlagnahmt, in Wermelskirchen im Rheinland auch ein Laptop. Gegen keinen dieser Kollegen war ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden, sie sind lediglich mutmaßliche Besitzer von Beweismaterial und werden nicht als Täter verdächtigt. Natürlich sollten sie versuchen, alle materiellen Einbußen einzuklagen.

Wie geht die Deutsche Journalisten Union (dju) mit diesen Durchsuchungen um? Gibt es Rechtshilfe, falls einer von ihnen rechtliche Schritte einleitet?

Ich kann jetzt erst einmal nur von den Berliner Kollegen sprechen – sie sind bei uns auch Mitglied. Vier haben gleich gestern morgen ihre Anwälte eingeschaltet, selbstverständlich bekommen sie von der dju und unserer Muttergewerkschaft ver.di Rechtsschutz – die Kosten übernehmen wir also.

Kann man aus früheren Fällen ähnlicher Art eine Prognose ableiten, wie ein solcher Rechtsstreit ausgehen könnte?

Es gibt etliche Fälle, die eindeutig zugunsten der Kläger entschieden wurden. Die Staatsanwaltschaft kann sich auch nicht damit herausreden, die Durchsuchung sei nötig geworden, weil »Gefahr im Verzuge« gewesen sei – immerhin liegt der fragliche Sachverhalt schon fast ein Jahr zurück, und mit der Durchsuchung hat man sich auch noch Zeit gelassen – der Beschluß dazu datiert nämlich vom Dezember.

In den vergangenen Jahren hat es immer wieder mal Durchsuchungen von Redaktionen oder Redakteurswohnungen gegeben – kürzlich erst bei der Berliner Morgenpost. Hat sich etwas an der Rechtssprechung geändert, oder verlieren die Behörden mehr und mehr den Respekt vor der Pressefreiheit, so wie sie im Grundgesetz garantiert ist?

Es gibt zur Zeit Bemühungen, die Video-Überwachung von Demonstrationen durch die Polizei einzuschränken. Ich vermute, daß diese Aktion der Staatsanwaltschaft so etwas wie ein Vorstoß ist, um künftig auch an das Video- und Fotomaterial von Demonstranten und vor allem von Journalisten heranzukommen.

Interview: Peter Wolter

*** Aus: junge Welt, Donnerstag, 7. Februar 2013


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