Streubomben: Die anonymen Killer!
Zu Langzeitminen mutierte Blindgänger bedrohen vor allem die Zivilbevölkerung
Von Wolfgang Kötter, Potsdam *
Der Bundestag berät in dieser Woche (28. September 2006) über ein Verbot von Streumunition, eine der heimtückischsten Waffen in gegenwärtigen Gewaltkonflikten. Dabei geht es allerdings nicht um eine vollständige Ächtung, denn untersagt werden soll lediglich, nicht zuverlässig funktionierende Explosionskörpern einzusetzen. So lautet zumindest ein von den Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD bereits im Juni eingebrachter
Antrag. Er fordert die Bundesregierung auf, sich für ein "umfassendes, völkerrechtlich verbindliches und nachprüfbares" Verbot aller Streumunition mit einer Fehlerrate über einem Prozent einzusetzen. Inzwischen reichten auch die Bündnisgrünen einen allerdings
weitergehenden Antrag ein und fordern, Streumunition generell zu ächten.[1]
Die blutigen Erfahrungen auf zahlreichen Konfliktschauplätzen lehren, dass Streumunition lebensgefährlich ist für Kriegsflüchtlinge auf der Nahrungssuche, für Rückkehrer, die nach den Kämpfen ihre Wohnhäuser beziehen und die Felder bestellen wollen, aber auch für Hilfsorganisationen und internationale Friedenstruppen. Eingesetzt wurde "Cluster"-Munition bereits in über 25 Ländern. Im Libanon-Krieg des vergangenen Sommers sind an 590 Stellen 2,8 Millionen Streubomben aufgeschlagen, meldet das Entminungszentrum der Vereinten Nationen. Nach Angaben des vor Ort eingesetzten UN-Experten für Minenräumung Tekimiti Gilbert warf Israel in mindestens 170 nachgewiesenen Fällen Streubomben völkerrechtswidrig auf Bevölkerungszentren und die zivile Infrastruktur im Südlibanon. Es war "schockierend und vollkommen unmoralisch", dass 90 Prozent der Streubomben in den letzten drei Tagen vor Inkrafttreten des Waffenstillstands abgeworfen wurden, als das Ende der Kämpfe bereits feststand, empört sich der UN-Koordinator für humanitäre Hilfe Jan Egeland: "Es ist ein Skandal, dass rund 100.000 nicht explodierte Bomben dort liegen, wo Kinder, Frauen, Zivilisten, Ladenbesitzer und Bauern sich nun täglich aufhalten." Doch israelische Soldaten gehören ebenfalls zu den Opfern von Blindgängern und Landminen, die teilweise die eigenen Streitkräfte in Grenznähe verlegt hatten. "Täglich werden neue kontaminierte Gebiete bekannt und dementsprechend steigt auch die Zahl der Opfer von Streumunition", beklagt Martin Glasenapp von der humanitären Organisation Medico International. Mindestens ein Jahr wird es schätzungsweise dauern, bis das von insgesamt einer Million Explosionskörpern verseuchte Gebiet südlich des Litaniflusses von den Todesfallen gesäubert ist.
Auch die Hisbollah-Miliz verstieß einem Bericht von Amnesty International zufolge gegen das humanitäre Völkerrecht. Sie setzte 4.000 in hohem Maße zielungenaue Katjuscha-Raketen teilweise gegen israelische Städte und Dörfer ein. Die Raketen, sind mit Metallkugeln bestückt und entfalten beim Aufprall eine tödliche Streuwirkung. Allein im ersten Monat nach Beendigung der Kämpfe wurden bereits 92 Zivilisten Opfer von Unfällen mit Streubomben-Blindgängern, über ein Drittel waren Kinder. In einer gemeinsamen Studie haben das Aktionsbündnis "Landmine.de", "Mines Action Canada" und "Landmine Action UK" die globalen Auswirkungen von zurück gelassener Munition und Minen nach dem Ende militärischer Konflikte geprüft. Darin belegen sie, dass diese Waffen in den untersuchten Ländern und Regionen, darunter Afghanistan, Albanien, Äthiopien, Irak, Kosovo, Laos, Tschetschenien und Vietnam, ganze Landstriche für lange Zeit in tödliche Explosionsfelder verwandelt haben.
Der Bundestag wendet sich also einem äußerst leidvollen Problem der internationalen Politik zu, denn es sind immer wieder Zivilisten, die diesen hinterhältigen Tötungsinstrumenten zum Opfer fallen. Das liegt nicht zuletzt an den Funktionsmechanismen der bei den Militärs so beliebten Waffen. Streumunition kann als sogenannte "Cluster Bombs" von Flugzeugen abgeworfen, aber auch von Geschützen verschossen werden. Die mit Submunition gefüllten Mantelprojektile öffnen sich noch in der Luft und verbreiten eine Vielzahl von Sprengsätzen, deren Füllung wiederum aus Splittergeschossen oder Minen bestehen kann. Nicht alle dieser "Bomblets" explodieren jedoch beim Aufschlag, denn oftmals verhindern dies dichte Vegetation, Sümpfe oder Wüstensand. Bei einer Blindgängerquote von bis zu 40 Prozent mutiert Streumunition dann faktisch zu Anti-Personenminen mit langer Funktionsdauer, die noch jahrzehntelang unschuldigen Menschen Leben oder Gesundheit rauben. Streumunition, die mittels Raketen, Haubitzen oder Mörsern eingesetzt wird, verteilt innerhalb kurzer Zeit enorme Mengen an Munition über große Flächen. So können beispielsweise die Salven von Raketen-Werfern mit nahezu 8.000 Geschossen Explosionsteppiche einer Größe von jeweils 50 Fußballfeldern bilden.
Informationen von Landmine.de zufolge wird auch in Deutschland immer noch Streumunition sowohl hergestellt als auch exportiert, und die Bundeswehr verfügt über etwa 30 Millionen Stück. Schrittweise soll sie jedoch aus den Depots entfernt werden. Gleichzeitig verspricht die Bundeswehr, die Zuverlässigkeit der zum Einsatz vorgesehenen Munition zu verbessern. So sollen z.B. die M77-Bomblets des mobilen Raketenwerfers MARS so modernisiert werden, dass sie zukünftig eine Fehlerquote von nur noch einem Prozent aufweisen, um eine Gefährdung der Zivilbevölkerung nach Ende der Kampfhandlungen zu verringern. Außer Deutschland besitzen noch rund 60 Länder diese Waffen. Allein die USA, China und Russland verfügen zusammen über schätzungsweise 3 Milliarden Stück. Das Europaparlament forderte bereits vor zwei Jahren die EU-Staaten zu einem Moratorium über Einsatz, Lagerung und Produktion von Streumunitionen auf. Belgien ist diesem Aufruf als erstes Land konsequent gefolgt und hat schon im vergangenen Februar Streubomben verboten. Norwegen verhängte ein Moratorium über ihren Einsatz, und auch Frankreich und Österreich gehören zu den Gegnern dieser verheerenden Waffen. Die Hilfsorganisation Handicap International hat sich mit über 150 Gleichgesinnten zur "Koalition gegen Streubomben" (Cluster Munition Coalition - CMC) zusammengeschlossen. Ihre Petition gegen Streumunition haben europaweit bisher rund 230.000 Menschen unterzeichnet.
Nichtregierungsorganisationen begrüßen grundsätzlich, dass der Bundestag jetzt aktiv wird. Die Vereinigung Landmine.de fordert jedoch ein eindeutiges Verbot aller Streumunitionen. "Dieser Antrag greift eindeutig zu kurz", kritisiert ihr Leiter Thomas Küchenmeister und lehnt eine unzuverlässige technische Lösung für ein humanitäres Problem ab. „Alle Fraktionen des Deutschen Bundestages sind aufgefordert, diesbezüglich Druck auf die Bundesregierung auszuüben“, meint auch François De Keersmaeker, Geschäftsführer von Handicap International Deutschland. Die Organisation befürwortet die Bundestagsinitiative und lobt ausdrücklich eine Reihe von Elementen, die den eigenen Anschauungen entsprechen. Das betrifft beispielsweise die Definition von Streumunition und die Einschätzung, dass sie nach dem humanitären Völkerrecht nur eingeschränkt eingesetzt werden darf. Übereinstimmend wird auch das Protokoll V zur Inhumane-Waffen-Konvention über die Räumungspflicht von Kampfmittelrückständen (siehe Infokasten) als wichtigen, aber unzureichenden Fortschritt bewertet. Die Organisation unterstützt schließlich ebenfalls internationale Bemühungen für ein Verbot von Clustermunition sowie humanitäre Projekte der Prävention und Opferfürsorge.
Auf Kritik stoßen jedoch zwei Kernaussagen der von den Koalitionsfraktionen vorgeschlagenen Resolution. Zum einen halten die Opponenten die Beschränkung auf eine Ächtung von Streumunition mit einer Fehlerquote über 1% für unzureichend. Denn auch eine solche Rate bedroht die Zivilbevölkerung über das Ende eines Konflikts hinaus und erschwert den Wiederaufbau von Wirtschaft und Infrastruktur. Nach Angaben von Human Rights Watch sind allein bei der Bombardierung des Irak im Jahre 2003 zwei Millionen Stück Streumunition eingesetzt worden. Bei einer Quote von 1 % bedeutet das immer noch eine aus humanitärer Sicht inakzeptable Zahl von 20.000 möglichen zivilen Opfern. Von den bekannten 290.000 im Kosovo abgeworfenen Streumunitionen blieben bei dieser Quote immer noch 2.900 lebensgefährliche Überreste des Krieges übrig. Auch aus Sicht der Industrie ist die möglicherweise unter Testbedingungen erreichbare Rate von 1% in der Wirklichkeit keinesfalls einzuhalten. Weist doch der reale Einsatz andere Bedingungen auf wie weichen Untergrund, schräges Aufkommen auf den Boden, witterungs-, lagerungs-, transportbedingte Abweichungen sowie Stress in einer Kampfsituation.
Zweitens halten die Rüstungsgegner die im Antrag erhobene Behauptung, dass eine umfassende Ächtung von Streumunition international gegenwärtig unerreichbar ist, für nicht überzeugend. Gerade die Ottawa-Konvention über ein generelles Verbot von Anti-Personenminen ist ein Beispiel für das Gegenteil. Obwohl wichtige Staaten wie die USA, Russland, China, Indien, Pakistan, Ägypten und Israel dieses Abkommen nicht unterschrieben haben, sind ihm bisher 149 Länder beigetreten. Das Minenverbot etabliert sich so zur weithin akzeptierten Norm der internationalen Beziehungen und übt auch auf die Verweigerer einen wachsenden Druck aus. Immerhin wird das Vertragsprotokoll zur Räumungspflicht der Kriegsschauplätze von Restmunition und Blindgängern, also auch der liegen gebliebenen Streumunition, kommenden November rechtswirksam.
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung unter anderem auf:- Die Ratifizierung des Protokoll V über explosive Kampfmittelrückstände aktiv zu unterstützen;
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sich für eine hohe Funktionszuverlässigkeit von Streumunition und deren Wirkzeitbegrenzung sowie völkerrechtliche Einsatzregeln einzusetzen;
- für ein umfassendes, völkerrechtlich verbindliches und nachprüfbares Verbot aller Streumunition mit einer Blindgängerrate über 1% einzusetzen;
- dass die Bundeswehr Streumunition mit einer Blindgängerrate über 1% bzw. ohne Selbstzerstörungsmechanismen außer Dienst stellt;
- eine Neubeschaffung von Streumunition ab sofort nicht mehr vorzusehen;
- die Produktion und den Export von Streumunition mit einer Blindgängerrate über 1% zu verbieten;
- humanitäre Projekte der Prävention und der Opferfürsorge zu unterstützen.
Aus dem Antrag (16/1995) der Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und SPD
Was lässt Streumunition zu Blindgängern werden?-
Die Verwendung beschädigter oder qualitativ minderwertiger Bauteile;
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Eine fehlerhafte Lagerung bzw. fehlerhafter Transport;
- Hohe Temperaturen wirken sich negativ auf die Funktionalität mechanischer Bauteile aus;
- Die Stabilisierungsbänder bzw. Fallschirme der Streumunition verfangen sich leicht in der Vegetation;
- Die Detonationswelle der zuerst explodierenden Munitionen verwirbelt nachfolgende Geschosse, so dass diese dann nicht mehr in einem für die Zündung vorgeschriebenen Winkel aufschlagen;
- Weicher Untergrund verursacht häufig Fehlfunktion der Zünder.
Quelle: www.landmine.de
Inhumane-Waffen-Konvention:
Das Rahmenabkommen über "Verbote und Einsatzbeschränkungen für bestimmte konventionelle Waffen, die unnötige Leiden verursachen oder unterschiedslos wirken" besteht aus fünf Protokollen:
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Protokoll I verbietet Splitterwaffen, die mit Röntgenstrahlen nicht entdeckt werden können;
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Protokoll II schränkt die Anwendung von Landminen ein und ächtet den Einsatz aller als Spielzeug oder Gebrauchsgegenstand getarnten Sprengkörper;
- Protokoll III untersagt die Verwendung von Brandwaffen wie Flammenwerfern und Napalm;
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Protokoll IV verbietet Blendlaserwaffen, die die Netzhaut des menschlichen Auges zerstören;
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Protokoll V verpflichtet zur Räumung von Blindgängern und zurückgelassener Munition und tritt am 12. November 2006 in Kraft.
* Dieser Beitrag erschien - leicht gekürzt - am 28. September 2006 in der Wochenzeitung "Freitag"
Anmerkung:
[1] Am 27. September 2006 reichte auch die FDP einen eigenen Antrag ein, siehe:
Antrag der Abgeordneten Florian Toncar ... Drucksache 16/2780; Anmerkung: AGF
Hier geht es zur Bundestagsdebatte über Streubomben
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