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Bei KANT in die Schule gehen

Bericht von der Jahrestagung des Dietrich-Bonhoeffer-Vereins in der Evangelischen Akademie Baden

Der Dietrich-Bonhoeffer-Verein (dbv) hielt seine Jahrestagung vom 1. bis 3. April 2005 im Haus der Kirche - Evangelische Akademie Baden in Bad Herrenalb ab. Christoph Rinneberg verfasste einen kurzen Tagungsbericht, den wir im Folgenden wiedergeben.



Zum ewigen Frieden: Von Kant über Bonhoeffer - zu uns

Gastbericht über die Tagung des Dietrich-Bonhoeffer-Vereins, Wiesbaden, in der Ev. Akademie Baden, Bad Herrenalb, vom 1. bis 3. April 2005

Immanuel Kant "Zum ewigen Frieden". Biblische Konzepte, aufklärerische Visionen und gegenwärtige Politikvorstellungen für eine internationale Rechts- und Friedensgemeinschaft


Bei KANT in die Schule gehen – das ist eine alternative Idee für den Titel dieses Berichts über eine gedanken- und erlebnisreiche Tagung gewesen. Sie hat am Wochenende nach Ostern, dem Fest des Aufstehens und der Auferstehung stattgefunden, im Gedenken an Dietrich BONHOEFFER, der in fast übermenschlicher Glaubwürdigkeit um Ergebung in den guten Geist Gottes und um Widerstand gegen den Ungeist des verbrecherischen Nazi-Regimes bis zu seiner Hinrichtung am 9. April 1945 im KZ Flossenbürg gerungen hat.

KANTS vor gut 200 Jahren entstandene Schrift “Zum ewigen Frieden“ ist das Leitthema der Tagung gewesen, das in unserer heutigen Gedankenwelt wohl eher so klingt, als gäbe es da eine Abhandlung über den Zustand des “ewigen Friedens“. Doch die aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtete Schrift hat die Teilnehmenden eines Besseren belehrt: KANTS Sprache zeugt von enormer – heute auch noch bei uns großen Respekt freisetzenden – Sorgfalt und Dichte, die schon im Titel deutlich wird, wenn wir ihn denn sorgfältig genug betrachten und verstehen, nämlich – modern ausgedrückt – als ein Hinweisschild, wo und wie es zum “ewigen Frieden“ gehen kann.
So ist für Mahatma Gandhi der Weg (zum Frieden) das Ziel gewesen.

Ganz im Sinne von KANTS Umgang mit der Sprache, diesem einzigartigen Verständigungsmittel der Menschen, hat Ulrike BAIL (Alttestamentlerin an der Humboldt-Uni, Berlin) aus biblischem Kontext die uralte Sehnsucht und Suche nach Frieden in unser Bewußtsein gerückt – zurückgeholt, hätten wir Teilnehmenden vermutlich vor der Tagung gesagt, vertraut mit dem alten Text “Der Gerechtigkeit Frucht wird Friede sein“ (Jes 32,17). Doch dem Urtext nachspürend ist uns die hebräische Sichtweise des Umgangs mit der Zeit nahegebracht worden.

In Sprachgefühl und Weltverständnis der damaligen Menschen im biblischen Land hat die Zukunft im Rücken gelegen, also nicht vor uns, wie wir das allemal schwer fassbare Phänomen Zeit zu betrachten gewohnt sind. Auch wenn das Umdenken schwerfällt und uns die Zumutung abnötigt, gewissermaßen im Krebsgang auf der Zeitachse voranzuschreiten, so vermag neues Denken doch neue Einsichten zu eröffnen: Wir können nun einmal die Zukunft schlichtweg nicht sehen und – dem Zeittrend zuwider – erst recht nicht über sie verfügen. Vor unserem Bewusst-sein liegt aber in der Tat das immer weiter und tiefer werdende “Land“ der Vergangenheit, also die Zeit, ohne die wir nicht denkbar wären.

Erleichtert durch die einfühlsame Übersetzung Ulrike BAILS gelang das Nachvollziehen der “utopischen Topographie des Friedens“ (Mi 4,1-7): Nämlich aus der Perspektive der Bedrängten, der in ihrer seelischen und körperlichen Integrität Verletzten die Unbedingtheit des Gebots zu sehen und anzunehmen, endlich Frieden zu schaffen. Dies faßt Martin BUBER in seiner Überset-zung des obigen Jesaia-Zitats in die Worte: “Die Tat der Wahrhaftigkeit wird Friede sein“ – gedanklich gewiß Vorläufer für BONHOEFFERS Aussage “Allein in der Tat ist die Freiheit“.

Auf diese Weise aufmerksam gemacht und geistig eingestimmt für die Beschäftigung mit KANTS Schrift “Zum ewigen Frieden“ hat Heiner KLEMME (Institut für Philosophie, Uni Magdeburg) sich und uns der Frage ausgesetzt, ob der “ewige Friede“ nur ein “süßer Traum“ ist.
Im Gegensatz zu jener bekannten Karikatur, daß der “ewige Friede“ erst auf dem Fried-Hof möglich sein werde, leitet sich aus KANTS fast unbedingter Orientierung an der menschlichen Vernunft die Hoffnung oder gar die Einsicht ab, daß die Konsequenz aus erfahrungsgestützten Erkenntnissen eine Konvergenz zu den Verheißungen des Evangeliums nahe legt.
Zur Entfaltung dieser Zuspitzung sind natürlich die sechs sog. Preliminarartikel und die vernunftrechtlichen Positionen der drei Definitivartikel KANTS ebenso zurategezogen worden wie die nicht als Anhängsel sondern als Vertiefung zu sehenden realpolitischen Anhänge zum Verhältnis von Moral und Politik.

Der Moral ist die Aufgabe zugewiesen, unsere menschliche Würde zu erhalten, also nicht zuzulassen, daß ein Mensch den andern – und in Konsequenz: ein Volk das andere – instrumentalisiert. Wir wissen heute längst, daß es “das Böse“ an sich nicht gibt, sondern daß die Grenze zwischen gut und böse mitten durch einen jeden von uns verläuft. Da, wo “das Böse“ zum Zuge kommt, vermag der Philosoph – und wohl auch Philanthrop – Kant geradezu einen Motor dafür zu sehen, “dem Guten“ zum Durchbruch zu verhelfen. Daraus ergibt sich fast von selbst der Appell an das Eigeninteresse der Menschen, in Frieden leben zu wollen, weil Menschen würdig nur in Frieden leben können.

Auf den “ewigen Frieden“ hinzuarbeiten ist also nicht nur ein moralisches sondern auch ein Gebot (lebens-) praktischer Vernunft. Wolfram ROHDE-LIEBENAU (Ökumenisches Netz Bayern) hat die Ausführungen i.w. ergänzt um KANTS differenzierte Betrachtung zwischen “politisierenden Moralisten“ und “moralischen Politikern“ und eindeutige Zuweisung der Aufgabe an “den Philosophen“, den Souverän stets an seine Ziele und Pflichten zu erinnern. Zu vier ausgesuchten Aspekten der KANT’schen Schrift haben sich dann – zeitlich leider zu kurz – Arbeitsgruppen (geleitet u.a. von Claus LANGBEHN, Philosophisches Seminar der Uni Kiel) gebildet, die i.w. zunehmender Verständigung und Vergewisserung des Gesagten unter den Teilnehmenden gedient haben.

Die Länge des Vortrags von Andreas ZUMACH (Korrespondent bei den Vereinten Nationen in Genf und ehemaliger Leiter der Aktion Sühnezeichen, Berlin) hat einer klassischen universitären Vor-Lesung entsprochen, ganz und gar nicht aber der Stil. In freier Rede, wohl nur durch wenige Stichworte gestützt, hat dieser kenntnis-, erfahrungs- und einsichtsreiche Referent durch permanenten Blickkontakt uns alle in den Bann seines historischen Abrisses längs der “Zivilisationskurve“ gezogen, wie er es genannt hat:
  • Wie weit sind tatsächlich seit KANT Schritte zum Frieden gemacht worden, die der Zivilisierung gedient haben?
  • Welche Rückschritte – um nicht zu sagen: Rückfälle – haben jener Kurve abschüssige Abschnitte beschert?
  • Welche positiven Wirkungen sind in den großen rechtlichen Regelungen – Völkerbund, Erklärung der Menschenrechte, UN-Verfaßtheit – angelegt?
  • Wo hat die praktische Unvernunft übl(ich)er Politik für Wirkungslosigkeit “gesorgt“ und damit die erreichte Zivilisierung wieder zunichtegemacht?
Aus der Fülle der angeführten und diskutierten Belege seien hier lediglich der – erstmalig mit dem Vorwand humanitärer Intervention geführte – Kosovo-Krieg, die ganz bewußte Nicht-Intervention bei dem Genozid in Ruanda und der durch den 11. September 2001 für legitim gehaltene, vorrangige Krieg gegen den Terrorismus erwähnt. Alle drei kollektiv vorgenommenen und kollektiv wirkenden, ebenso fürchterlichen wie furchterregenden Maßnahmen bzw. Unterlassungen haben den Menschenrechten einen gar grausigen “Bärendienst“ erwiesen, ZUMACHS Zivilisationskurve jäh nach unten abknicken lassen.

In dieser Zeit, in der die auf Imperium sinnende BUSH-Regierung ihrer “Natur“ nach gegen die Institution der Vereinten Nationen eingestellt ist, kann Hoffnung aus der Einsicht gewonnen wer-den, daß eine antiquierte Prävalenz militärischer Stärke geradezu ein “Rezept für Selbstmord“ ist:
  • Die Ressourcen sind – intellektuell nicht mehr verdrängbar – begrenzt,
  • die Märkte sind gesättigt oder können in absehbarer Zeit gesättigt werden, und
  • nachhaltig kann es nur noch um ein qualitatives Wachstum gehen.
Auf der Basis dieser Einschätzung ist in der UNO ein Dokument für eine zukunftstaugliche Reform dieser Weltinstitution erarbeitet worden (erhältlich bei der Deutschen UN-Gesellschaft)

Das Ende des mittleren, ganz besonders arbeitsreichen Tages wurde zum einen markiert durch die – leider zu kurz kommende – Skizzierung dreier Nicht-Regierungsorganisationen: Initiative Kirche von unten, pax Christi und KAIROS EUROPA.

Vielleicht war es gerade die knappe Zeitvorgabe, die einerseits zur Beschränkung auf Wesent-liches zwang und andererseits durch die fast synchrone, fast synoptische Dichte etwas von dem sichtbar hat werden lassen, was sonst mehr oder weniger unreflektiert kurzerhand mit Netzwerk etikettiert wird: Nämlich die Vermeidung der Eindimensionalität einer (Verbindungs-) “Kette“, die nur so stark sein kann wie ihr schwächstes Glied, und die in Beispielen gelingende Mehr-Dimensionalität eines “Netzes“, bei dem etwa Schwächen eines “Knotens“ – oder die ihm zugewiesenen “Lasten“ – von den benachbarten Verknüpfungen aufgefangen werden können.

Das eigentliche Ende dieses zweiten Tags haben drei Schülerinnen und ein Schüler der Berufsfachschule – wohlgemerkt: Nicht einer (Fach-) Hochschule – für Musik (Bezirk Mittelfranken) zusammen mit ihrer Dozentin geprägt. Als Ergebnis einer Projektarbeit sind drei Generationen der DOHNANYIS im Spannungsfeld von Musik und Politik, von Widerstand und Faschismus in Wort und Bild dargestellt worden, non-verbal reichhaltig durch virtuos auf dem Flügel gespielte Musikstücke Ernst von DOHNANYIS (Großvater von Klaus von DOHNANY). Die enge Verknüpfung von dessen Familie mit der Dietrich BONHOEFFERS – und damit die not-wendige Verlässlichkeit – hat wesentlich zu der geistigen, moralischen, menschlichen Stärke der Widerstandsbewegung im Dritten Reich beigetragen.

Der Gottesdienst am Sonntagmorgen hat allen Teilnehmenden Ort und Zeit geschenkt, innezuhalten, das Gehörte, Gesehene und Erlebte in einen noch größeren Zusammenhang zu stellen und sich selbst darin gewiß nicht zu verlieren sondern als jemand zu entdecken, der sich mit gar vielen Menschen unsichtbar in verlässlicher Verbindung weiß und auf den es sehr wohl ankommt – trotz aller zynischen Abwertungsversuche, wie sie auch in unserer reichen Gesellschaft integrierte und marginalisierte, zu “Kostenfaktoren“ degradierte Menschen tagtäglich bitter zu spüren bekommen.

Damit ist der Boden gut bereitet gewesen für ein Plenum, in dem wirklich die geistig-emotionale Fülle der ganzen Tagung authentisch in dem Sinne zu Worte kam, was die einzelnen Teilnehmenden gewissermaßen als Sensoren wahrgenommen haben. Dies ist für mich als Gast und – in entstehender Freundschaft – mit der Erstellung dieses Berichts Betrauter die Stelle und die Zeit, allen Mitwirkenden ebenso herzlich zu danken wie allen Teilnehmenden. Die spontane, freigebige, ermutigende finanzielle Unterstützung der Projektarbeit in jener Berufsfachschule und in den drei Basis-Initiativen ist weit mehr gewesen als “nur“ ein Zeichen der Dankbarkeit.

Meine guten Wünsche gelten der Vorbereitung der nächsten Tagung in Berlin, die im Februar 2006 unter dem Zeichen des 100. Geburtstags von Dietrich Bonhoeffer stehen wird.

Christoph Rinneberg
(e-mail: Christoph.Rinneberg@tele2.de)



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