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Bürgerkriegsmanöver

Heute startet die mittlerweile sechste "länderübergreifende Krisenmanagementübung". Einsatz der Bundeswehr im Innern Bestandteil des Szenarios

Von Peer Heinelt *

In dieser Woche veranstaltet das in Bonn beheimatete Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) die mittlerweile sechste »länderübergreifende Krisenmanagementübung«, kurz LÜKEX. Das erstmals 2004 abgehaltene zivil-militärische Manöver, an dem regelmäßig etwa 3000 Angehörige von Privatunternehmen, Hilfsorganisationen, Polizeibehörden, Geheimdiensten und Bundeswehr teilnehmen, basiert dieses Jahr laut BBK auf folgendem Szenario: Eine »ideologisch motivierte Tätergruppe« bringt vorsätzlich ein Toxin in die »Lebensmittelkette« ein und verbreitet gleichzeitig »hochtoxische Agenzien« bei einer internationalen Ausstellung. Die auf diese Weise hervorgerufene »außergewöhnliche biologische Bedrohungslage« hat gesamtgesellschaftliche Auswirkungen: Aufgrund massenhafter Vergiftungen herrscht bei Kliniken, Pflegediensten und niedergelassenen Ärzten bereits nach kurzer Zeit Ressourcenknappheit. »Laborkapazitäten« sind »überbeansprucht«. Außerdem kommt es hinsichtlich der zur Verfügung stehenden Einsatzkräfte zu einem »punktuellen Mangel«, da etliche Polizisten und Soldaten »nach Kantinenverpflegung« ebenfalls erkranken. Auch Nahrungsmittelindustrie und Handelskonzerne werden in Mitleidenschaft gezogen – zum einen durch die »Behinderung der Lebensmittellogistik und des Warenverkehrs« sowie von »Drittstaaten« gegen Deutschland verhängte Importverbote, zum anderen durch kriminelle »Trittbrettfahrer«, die »Erpressungsversuche« unternehmen.

Was manchem wie das Drehbuch zu einem drittklassigen Horrorfilm erscheinen mag, ist für die hiesige politisch-militärische Führung offenbar integraler Bestandteil staatlicher Risikovorsorge. Die Federführung bei LÜKEX 2013 obliegt dem Bundesinnenministerium. Involviert sind darüber hinaus das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, das Gesundheits- und das Verteidigungsministerium samt nachgeordneten Behörden. Trainiert wird die Bewältigung der »Bedrohungslage« in mindestens sieben Bundesländern, wobei Berlin, Nordrhein-Westfalen und Thüringen als »Intensiv-Übungsländer« fungieren. Über die dem Manöver zugrunde liegende Motivation läßt das BBK keine Zweifel aufkommen. Wie die Institution in ihrer »Neuen Strategie zum Schutz der Bevölkerung in Deutschland« erklärt, erfordere das »sich in den vergangenen Jahren deutlich steigernde außen- und sicherheitspolitische Engagement Deutschlands« die Implementierung eines Systems der »nationalen bzw. großflächigen Gefahrenabwehr«. Anders formuliert: Ein Staat, der für den »freien Zugang« zu Bodenschätzen und Märkten weltweit Krieg führt, muß auf harsche Reaktionen eingestellt sein.

Sollte es tatsächlich einmal zu einem Angriff feindlicher Kombattanten im Inland kommen, dürften denn auch die schlimmsten Alpträume wahr werden: Laut Norbert Reez, der beim BBK die Planungen für LÜKEX verantwortet, umfaßt das »Standardkonzept zur Bekämpfung biologischer Gefahren« nicht nur die »Einrichtung von Sonderbehörden, Labors und Fachdienststellen«, sondern auch den Einsatz von »Spezialkräften« – sowie »ausgesuchte Zwangs- und Gewaltmaßnahmen«. Grundsätzlich geht es ihm indes um weit mehr. Wie Reez in einem aktuellen Aufsatz schreibt, bestehe das Ziel von Manövern wie LÜKEX im »Einüben von Ausnahmezuständen«, um sich so »auf neue mögliche Krisensituationen, das ›scheinbar Undenkbare‹, vorzubereiten und mögliche neue Risiken und Gefahren zu antizipieren«.

Entsprechend fordert das BBK schon seit längerem die Etablierung einer »Gesamtverteidigung«, die die »tradierten Trennlinien« zwischen Katastrophenschutzbehörden, Polizei und Militär »überbrückt«. Bisher steht dem noch das Grundgesetz entgegen. Reez redet dennoch offen einer »Vorverlagerung der staatlichen Intervention« das Wort, auch, wenn es noch keine konkreten Anhaltspunkte für eine »Bedrohungslage« gibt – ein ziemlich unverhohlenes Plädoyer für die weitere Militarisierung der Gesellschaft.

* Aus: junge welt, Montag, 25. November 2013


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