Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Computer statt Sturmgewehr - Digitale Front, neues Gefechtsfeld für die Streitkräfte?

Ein Beitrag von Michael Hollenbach in der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" *

Andreas Flocken (Moderator): Cyberwar - damit beschäftigen sich inzwischen auch die Streitkräfte immer mehr. Allerdings gibt es viele ungeklärte Fragen - völkerrechtliche und ethische. „Die Digitale Front. Das Internet als Kriegszone“ - das war in der vergangenen Woche der Titel einer Veranstaltung der Katholischen Akademie in Berlin. Michael Hollenbach hat die Diskussion verfolgt:

Manuskript Michael Hollenbach

Zebis, das Zentrum für ethische Bildung in den Streitkräften, ist eine Einrichtung der katholischen Militärseelsorge. Warum sich eine katholische Institution mit der digitalen Front beschäftigt, macht die Leiterin von Zebis, Veronika Bock, deutlich. Cyberwar ist nicht nur ein militärisches Thema:

O-Ton Bock
„Der Unterscheidungsgrundsatz des Völkerrechts verbietet den Einsatz von Cybermitteln, die unnötige Leiden verursachen. Dies könnten spezielle Programme sein, die gezielt zur Sabotage kritischer Infrastruktur eingesetzt werden, zum Beispiel Steuerungssysteme von Dämmen und Kernkraftwerken. Würde durch Cyberwarfare ein Kernkraftwerk beschädigt, so dass Strahlung austräte, die Kombattanten und Zivilbevölkerung gleichermaßen schädigte, so wäre dieses Verbot verletzt.“

Doch der These von Veronika Bock, dass Cyberattacken im Verborgenen passierten, widerspricht Felix Lindner. Auch wenn der Absender nicht auf einem Computervirus stehen würde, sei dessen Herkunft leicht zu entschlüsseln, erläutert der Hacker und IT-Spezialist.

O-Ton Lindner
„Die Schadsoftware und die militärischen Angriffe, die wir bis heute sehen, tragen mehr Uniform als die russischen Truppen auf der Krim.“ Nicht eine russische, sondern eher eine amerikanische Uniform trug beispielsweise jener Stuxnet-Computerwurm, der vor vier Jahren das iranische Atomprogramm attackierte. Ein Angriff, der durchaus gefährliche Kollateralschäden hätte zur Folge haben können.

Ein Computerwurm kann dafür sorgen, dass zum Beispiel in Kliniken, aber auch in anderen lebenswichtigen Einrichtungen die Kommunikation erlischt oder die Computer unter Mülldaten zusammenbrechen – mit womöglich tödlichen Folgen für viele Unbeteiligte. Bei digitalen Angriffen stelle sich schon heute die Frage nach dem Völkerrecht, meint Felix Linder, Leiter von Recurity Labs, einer Firma, die die Sicherheitslücken von Unternehmen und Versorgern wie zum Beispiel Wasserwerken analysiert.

O-Ton Lindner
„Eine militärische Einrichtung hängt genauso am Stromnetz wie alle anderen. Ist jetzt ein Angriff auf das Stromnetz ein militärischer Schlag oder ist das ein Verstoß gegen die Genfer Konvention?“

Bislang blieben Cyberattacken immer unterhalb jener Schwelle, die zu einem Krieg hätte führen können. So auch in Estland, als vor sieben Jahren höchst wahrscheinlich von Russland aus die Server von estländischen Banken, Behörden und Unternehmen lahm gelegt wurden. Kein Einzelfall, meint Felix Lindner:

O-Ton Lindner
„Die paar dokumentierten Fälle, wo ein europäisches Außenministerium nach vier Jahren gemerkt hat, dass ihr Netzwerk deswegen so toll läuft, weil die Russen es administriert haben. In dem Moment, wo man es gemerkt hat, hat man eine klare Verbindung in ein russisches Militärgebäude gehabt. Denn heutzutage ist das so: das ist show of force, (...) es geht gerade darum, sich zu positionieren als Cyberplayer.“

Aber ist so ein digitaler Schlag überhaupt schon ein kriegerischer Akt? Oberstleutnant Matthias Mielimonka, im Verteidigungsministerium zuständig für die Cyber-Sicherheit:

O-Ton Mielimonka
„Als Soldat muss ich ganz klar sagen: wenn es sich nicht anfühlt und nicht riecht wie Krieg, dann ist es auch keiner.“

Matthias Mielimonka wirft sehr pointiert die Frage auf, wann man an der digitalen Front vom Krieg sprechen kann. Mariarosaria Taddeo von der Universität Oxford befasst sich seit Jahren mit der Frage der Ethik in der Cyber-Kriegsführung. Für sie stellen sich durch einen Krieg im Internet ganz neue Fragen:

O-Ton Taddeo (overvoice)
„Wenn wir etwas als einen Angriff definieren, dann ging es immer um physische Objekte. Wie erweitern wir nun die Definition von physischen Objekten zu nicht-physischen? Wir reden über Gewalt. Aber diese Gewalt in einer Cyber-Kriegsführung betrifft die Infrastruktur der Daten und Informationen. Etwas, das für alle wichtig ist, das wir aber nicht sehen und nicht anfassen. Also was für eine Art von Gewalt ist das dann?“

Eine Frage, die in der Diskussion unbeantwortet bleibt. Was Oberstleutnant Matthias Mielimonka auch nicht weiter stören dürfte. Das Völkerrecht sei ein sehr politisches Recht und immer wieder interpretationsbedürftig – vor allem bei der Frage, auf welche digitale Attacken man wie reagiere.

O-Ton Mielimonka
„Es gibt keine einheitliche Schwelle, sondern es ist eine politische Entscheidung, wie man sowas bewerten möchte. Und das kann man nicht vorhersagen, und aus NATO-Sicht würde ich sagen: wir wollen das auch gar nicht vorhersagen, weil wir unberechenbar bleiben wollen und müssen. Es macht absolut Sinn, hier keine klare Schwelle anzugeben. Wenn man hier eine wenn-dann-Tabelle aufstellen würde, dann wäre man berechenbar und ein potenzieller Gegner kann das austesten. Das macht keinen Sinn.“

Grundsätzliche Bedenken, ob man beim Thema „digitale Front“ primär in militärischen Kategorien denken sollte, äußert Annegret Bendiek. Die Politikwissenschaftlerin von der Stiftung Wissenschaft und Politik arbeitet zurzeit im Planungsstab des Auswärtigen Amtes:

O-Ton Bendiek
„Wenn hier schon das Thema ist: die digitale Front, dann denke ich, dass die eigentliche digitale Front im ökonomischen Bereich liegt. Es werden Daten gesammelt und es ist nicht geklärt, wem diese Daten gehören und wie man mit diesen Daten umgehen will.“

Und Katharina Ziolkowski, als Rechtsreferentin im Verteidigungsministerium zuständig für Cyber-Völkerrecht, ergänzt:

O-Ton Ziolkowski
„Wenn der Krieg darum gehen würde, möglichst viele Informationen zu sammeln, um dadurch einen Informationsvorsprung zu haben, (…) dann wäre der größte Kriegsteilnehmer dieser Welt eine private Firma namens Google.“

Was für Katharina Ziolkowski eine abwegige These ist, ist für den IT-Spezialisten Felix Lindner längst Realität. Keine Organisation, kein Staat, verfüge über so viele – auch sicherheitsrelevante – Informationen wie der US-Konzern. Da selbst in der Bundeswehr viel gegoogelt werde, verfüge das amerikanische Unternehmen über zahlreiche Informationen auch über deutsche Militärs.

Ein weiterer Diskussionspunkt in der katholischen Akademie in Berlin: Wie weit dürfen Sicherheitsmaßnahmen gegen mögliche Cyberangriffe die Freiheitsrechte einschränken? Eine Debatte, die gerade im Zuge der Snowden-Enthüllungen noch immer aktuell ist. Die USA setzen hier klare Prioritäten: Security first. Und auch Katharina Ziolkowski Rechtsreferentin im Bundesverteidigungsministerium moniert in Deutschland ein zu großes Bedürfnis nach Datenschutz:

O-Ton Ziolkowski
„Ich denke, wenn es um Sicherheitspolitik geht, dann sollten wir eher an den Schutz vor Cyberangriffen vor kritischen Infrastruktursystemen denken. Ich finde, das hat eine andere Wertigkeit, wenn unsere Wasserwerke und Atomkraftwerke sicherer werden, als das, dass jemand weiß, was meine Telefonnummer ist.“

In Deutschland dreht sich die digitale Sicherheitspolitik eher um defensive Konzepte: wie schützt man die Computer und die Infrastruktur? In Staaten wie den USA oder Israel geht es dagegen mehr um offensive Elemente: Cyberattacken als Kriegsführung der fünften Art:

O-Ton Mielimonka
„Es mag Fälle geben, wo Ziele, die man im Rahmen eines Krieges auf seiner Zielliste hat, durchaus durch Schadsoftware oder Cyberangriffe besser, effektvoller, billiger, reversibel, mit weniger Gefahr von Kollateralschäden anzugreifen sind.“

Und Oberstleutnant Mielimonka nennt gleich ein Beispiel: einen Luftangriff der israelischen Streitkräfte 2007 auf den syrischen al-Kibar-Kernreaktor. Dabei wurde die syrische Luftabwehr komplett ausgeschaltet:

O-Ton Mielimonka


„Das kann man kinetisch machen mit Missiles, man kann diese Stellungen wegbomben und dabei wären sicherlich syrische Wehrpflichte zu Schaden gekommen; cleverer und schadärmer ist es sicherlich, die einfach vom Netz zu nehmen, so dass sie nicht mehr einsatzbereit sind. (..) Wenn es hier in Anwendung von Schadtools vielleicht sogar eine Humanisierung geben kann, dann würde ich sagen, sollten wir diesen Weg durchaus weiter gehen.“


Aber ob man beim Cyberwar wirklich von einer „Humanisierung“ der Kriegsführung sprechen kann? Kollateralschäden, die beispielsweise ein Atomkraftwerk treffen würden, könnten dramatische Auswirkungen für die Zivilbevölkerung haben.

* Aus: NDR Info: Das Forum STREITKRÄFTE UND STRATEGIEN, 4. Oktober 2014; www.ndr.de/info


Zurück zur Cyberwar-Seite

Zur Cyberwar-Seite (Beiträge vor 2014)

Zur Bundeswehr-Seite

Zur Bundeswehr-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage