Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Der Aufstand des Gewissens kommt!

Jean Ziegler über den alltäglichen Skandal des Hungers, dem alle fünf Sekunden ein Kind zum Opfer fällt


Jean Ziegler wurde als Hans Ziegler in Thun in der Schweiz geboren. Den Vornamen Jean verdankt er Simone de Beauvoir, die Hans für einen Autoren als inakzeptabel einstufte. Ziegler, Bürger der Republik Genf, ist Soziologe und emeritierter Professor der Universität Genf sowie der Sorbonne in Paris. Er war bis 1999 Nationalrat (Abgeordneter) im Eidgenössischen Parlament. Von 2000 bis 2008 war er Sonderberichterstatter der UNO für das Recht auf Nahrung. Er ist Träger verschiedener Ehrendoktorate und internationaler Preise wie des Internationalen Literaturpreises für Menschenrechte (2008).


Alle fünf Sekunden stirbt ein Kind unter zehn Jahren an Hunger. Für Medien hat das einen Nachrichtenwert wie »Hund beißt Mann«. Der alltägliche Skandal findet in den Medien nicht statt. Schlagzeilen machen »nur« eskalierende Hungerkrisen, die spektakuläre Bilder liefern. Welche Erwartungen hegen Sie mit ihrem Buch »Wir lassen sie verhungern «, das den alltäglichen Hunger thematisiert?

Zu allererst wollte ich mit diesem Buch eine Bilanz über meine Tätigkeit als erster UNO-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung (2000-2008) vorlegen. Nun kann ich endlich offen sagen, wer die Halunken sind und worin die Hoffnung liegt, den Kampf gegen den Hunger erfolgreich zu führen. Das tägliche Massaker des Hungers ist ein nicht hinnehmbarer Skandal: 18 Millionen Menschen sterben jährlich an Hunger, Unterernährung und daraus resultierenden Mangelkrankheiten. Hunger ist bei weltweit 70 Millionen Toten im Jahr die mit Abstand führende Todesursache.

An einem objektiven Mangel an Nahrung liegt das nicht ...

Keineswegs. Das geschieht auf einem Planeten, der vor Reichtum überquillt. Der World-Food-Report der Welternährungsorganisation FAO dokumentiert diesen Widerspruch augenscheinlich: Er beziffert die Zahl der permanent Unterernährten auf eine Milliarde – ein Siebtel der Menschheit. Andererseits sagt exakt dieser Bericht, dass die Weltlandwirtschaft in der heutigen Phase der Entwicklung der Produktionskräfte problemlos 12 Milliarden Menschen ernähren könnte – also fast das Doppelte der Weltbevölkerung. Karl Marx dachte noch, dass der objektive Mangel den Menschen über Jahrhunderte begleiten würde. Aber der objektive Mangel ist überwunden. Ein Kind, das an Hunger stirbt, wird ermordet. Das Fazit ist eindeutig: Es gibt keinen objektiven Mangel, es gibt ein objektives politisches Versagen.

Wer sind denn die Halunken?

Vor allem die zehn weltweit führenden Nahrungsmittelkonzerne. Entscheidend ist der Zugang zur Nahrung. Und wer entscheidet darüber? Die zehn Konzerne wie Cargill, Archer Midland, Bunge oder Louis Dreyfus, die weltweit 85 Prozent des Handels mit Grundnahrungsmitteln beherrschen. Diese Konzerne entscheiden jeden Tag – über ihren Einfluss auf die Preisbildung – ganz konkret, wer lebt und wer stirbt.

Frankreichs Ex-Präsident Nicolas Sarkozy setzte das Thema hoher Nahrungsmittelpreise Anfang 2011 prominent auf die Agenda der G20-Staaten, den mächtigen Industrie- und Schwellenländern. Die G20 haben sich auf ein sogenanntes Rapid-Response-Forum geeinigt, das in Krisenfällen für schnelle Antworten sorgen soll. Ein Schritt in die richtige Richtung?

Ein Ablenkungsmanöver. Es stimmt, faktisch gibt es nun ein Rapid-Response-Forum. Aber was ist aus den vollmundigen Ankündigungen von Sarkozy im Oktober 2011 vor dem G20-Gipfel in Cannes geworden? Nichts. Gastgeber Sarkozy hatte vorab angekündigt, dass die G20 den Nahrungsmittelspekulanten das Handwerk legen würden. Und was steht davon im Schlusskommuniqué von Cannes? Kein Wort, nichts, weil inzwischen die Konzerne mobilisiert hatten und klar stellten: Das kommt nicht in Frage. Die G20 haben zwar das Problem richtig erkannt und benannt, angegangen mit klaren gesetzlichen Regelungen sind sie es nicht.

Taugt das Rapid-Response-Forum überhaupt nicht?

Das Rapid-Response-Forum ist ein reines Informationssystem. Das kann nützen, aber nicht viel. Die FAO macht das bereits, hat ein Frühwarnsystem über sich abzeichnende Ernteausfälle und Preiserhöhungen. Damit mag sich die Soforthilfe besser organisieren lassen, aber das geht in Bezug auf die Ursachen des Hungers total an der Sache vorbei. Der Skandal ist, dass die mächtigen Konzerne und die Finanzoligarchien über ihren Lobbyismus die internationalen Institutionen beherrschen – sei es den Internationalen Währungsfonds (IWF), die Weltbank oder die Welthandelsorganisation (WTO). Diese drei Weltorganisationen des Kapitals beherrschen wiederum weithin die demokratisch gewählten Regierungen der Herrschaftsländer des Westens.

Eindeutig ist: Die Lebensmittelpreise zeigen in den letzten sechs, sieben Jahren trotz Schwankungen eine klare Tendenz nach oben. Fast alle Experten wie der Sprecher des Welternährungsprogramms (WFP), Ralf Südhoff, halten die Spekulation für einen der gewichtigsten Preistreiber. Wie könnten die Regierungen sie bekämpfen?

Die Tendenz ist in der Tat überdeutlich: Seit zwölf Monaten ist der Maispreis auf dem Weltmarkt um 63 Prozent gestiegen. Der Preis für die Tonne Weizen hat sich verdoppelt. Der Weltmarktpreis für Reis ist um 31,8 Prozent gestiegen. Und was passiert? Die Investmentbank Goldman Sachs legt munter neue Derivate auf, statt auf faule Immobilienkredite aber jetzt auf Soja, Reis, Mais oder Weizen. Die Spekulation mit Nahrungsmitteln läuft ungebremst weiter, Sie ist durchaus legal.

Ist Spekulation auf Märkten nicht »normal«?

Mag sein. Aber sie könnte in Deutschland morgen gestoppt werden. Dafür reichte ein Bundestagsbeschluss, der das Börsengesetz entsprechend ändert. Jedes Land hat die gesetzgeberischen Möglichkeiten, die Spekulation einzudämmen. Allein 2008/2009 hat der internationale Bankenbanditismus 85 Billionen Dollar an Vermögenswerten vernichtet – die sogenannte Finanzkrise. Seither sind die großen Hedge-Fonds und Großbanken massiv auf die Rohstoffbörsen umgestiegen – insbesondere auf die Nahrungsmittelbörsen und machen dort astronomische Profite. Damit gefährden und zerstören sie das Leben von Millionen Menschen in der Dritten Welt. Nach der aktuellen Weltbankstatistik leben 1,2 Milliarden Menschen in extremer Armut, das heißt statistisch von weniger als 1,25 Dollar pro Tag.

1,25 Dollar pro Tag ist aus westeuropäischer Sicht unvorstellbar. Wie haben Sie solche Verhältnisse konkret erlebt?

Zum Beispiel in den Favelas von Rio de Janeiro und Sao Paulo, in den Calampas von Lima, in den Slums von Karatschi. Die Mütter haben dort ganz wenig Geld, um die nötigen Nahrungsmittel zu kaufen. Und wenn die Preise explodieren, gehen die Kinder an permanenter schwerer Unterernährung zugrunde. Kennen Sie Karatschi ein wenig?

Nein.

Und Lateinamerika?

Ja, von Kuba bis Venezuela.

Kuba fällt positiv aus dem Rahmen. Dort gewährleistet die Libreta (Bezugsheft für Grundnahrungsmittel und Güter des täglichen Bedarfs, d. Red.) grundlegend und tatsächlich das Recht auf Nahrung.

Die Zukunft der Libreta wird im Zuge der Reformen diskutiert. Kuba stellt sich die Frage, ob es angesichts knapper Mittel nicht sinnvoller wäre, »nur« die Bedürftigen zu subventionieren statt alle Bürger und Bürgerinnen. Wie sehen Sie das?

Sie werden das Richtige entscheiden. Kuba verteidige ich aus Überzeugung. In Kuba essen die Kinder, gehen zur Schule, werden gepflegt, Punkt. Auf diesem Kontinent ist das schon sehr viel.

In Kuba gibt es bis dato auf alle Fälle keine Spekulation mit Nahrungsmitteln und auch kein Land Grabbing (Landraub) durch internationale Investoren. Was trägt das Land Grabbing zur Verschärfung des Hungers bei?

Immens viel. Laut Weltbankstatistik sind 2010 allein in Afrika 41 Millionen Hektar Ackerland dem Land Grabbing zum Opfer gefallen. Die Großkonzerne profitieren von der in Afrika weit verbreiteten autochthonen Korruption. Ein Beispiel ist Kameruns Langzeitherrscher Paul Biya. Biya ist total korrupt und seit fast 30 Jahren an der Macht – gestützt vom US-amerikanischen Geheimdienst und von Frankreich. Kamerun bietet jede Menge fruchtbares Agrarland und ist wunderschön. Bolloré, Vilgrain und andere Großkonzerne aus Frankreich haben zehntausende von Hektar Ackerland übernommen. Sie produzieren für den Export, zum Beispiel Bioethanol. Die Armee vertreibt die Bauern in die Slums von Douala und Jaunde. Kinderprostitution, Zerstörung der Familien, permanente Arbeitslosigkeit sind die Folgen. Das funktioniert nur aufgrund der Komplizenschaft zwischen Konzernen und der nationalen Elite um Biya. Aber die Komplizenschaft ist sekundär. Die treibenden Akteure sind die ausländischen Konzerne. Land Grabbing ist in der Tat eines der Hauptprobleme heute.

Ein traditionelles Problem für den Süden sind die Exportsubventionen für die nördliche Agrarindustrie. Ist da Besserung in Sicht?

Nicht im Ansatz. Die Agrar- und Export-Subventionen der Industriestaaten sind mit Abstand am verheerendsten. Diese Subventionspolitik tötet Menschen. Lebensmittel aus der EU überschwemmen Afrikas Märkte. Sie können dort fast überall Produkte aus Deutschland, Frankreich oder Griechenland kaufen, die ein Drittel billiger sind als die einheimischen. Kein Wunder, schließlich haben im Jahr 2010 die in der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) vereinigten Staaten ihre Bauern mit 349 Milliarden Dollar unterstützt. Damit zerstören sie die Lebensgrundlage von Millionen Kleinbauernfamilien und stoßen sie ins Elend. Und wenn sie dann auf der Arbeitssuche nach Europa flüchten, versucht die EU, das mit militärischen Mitteln (Frontex) zu verhindern.

In Deutschland sind ein paar Banken aus dem Rohstoffhandel ausgestiegen, die Commerzbank, die DekaBank der Sparkassen und die Landesbank Baden-Württemberg, die Deutsche Bank hat eine Denkpause eingelegt und eine Studie in Auftrag gegeben. Zeichnet sich ein Wandel ab?

Nein. Die Banken sagen viel, wenn der Tag lang ist. Die kannibalische Weltordnung lässt ethisches Bankverhalten letztlich gar nicht zu. Ich rede mit Bankern, zum Beispiel vom Jabre-Fonds in Genf, und kann ihr Verhalten durchaus nachvollziehen. Die sagen mir ganz klar, dass sie im Auftrag ihrer Kunden handeln. Die reichen Anleger wünschten eine möglichst profitable Geldanlage. Die Verpflichtung des Fonds sei es, nach den lukrativsten Anlagemöglichkeiten zu suchen. Verpflichtung?! Gesellschaftliches Verantwortungsbewusstsein hat da keinen Platz. Es geht um strukturelle Gewalt. Jean-Paul Sartre sagt: »Um die Menschen zu lieben, muss man sehr stark hassen, was sie unterdrückt. « Nicht wer sie unterdrückt. Die kannibalische Weltordnung besteht aus der strukturellen Gewalt. Wenn Peter Brabeck- Letmathe, der Chef des weltgrößten Nahrungsmittelkonzerns Nestlé, den Erwartungen der Shareholder (Aktionäre) nicht genügt, es ihm nicht gelingt, den Börsenkurs um so und so viele Prozent pro Jahr hinaufzutreiben, dann ist er seinen Job los. Insofern halte ich es auch für reine Augenwischerei, wenn Banken nun ankündigen, sie würden aus dem lukrativen Rohstoffhandel aussteigen. Es sei denn, es wird gesetzlich angeordnet. Die Parlamente haben dazu die Möglichkeiten, auch der Deutsche Bundestag.

Dass ein Land vorprescht und die Nahrungsmittelspekulation verbietet, ist nicht absehbar.

Doch. In Spanien hat die Vereinte Linke im spanischen Parlament eine Gesetzesvorlage zum Verbot der Börsenspekulation mit Nahrungsmitteln eingebracht. Nach einem neuen UNICEF-Bericht vom Mai 2012 sind als Folge der absurden Austeritätspolitik der konservativen Regierung unter Ministerpräsident Mariano Rajoy 2,2 Millionen spanische Kleinkinder unter zehn Jahren permanent schwerst unterernährt. In Spanien, mitten in Europa! Und es gibt ähnliche Zahlen für England, Oxfam hat darüber eine Erhebung gemacht. Der wild wütende Raubtierkapitalismus rückt immer weiter vor nach Europa. Die hohen Lebensmittelpreise zerstören längst Familien in der Dritten Welt, in Lateinamerika, in Südasien und so weiter. Und bei uns fängt das jetzt an. Hartz IV ist nur ein Vorgeschmack. 31 Millionen Menschen in der EU sind sogenannte Sockelarbeitslose. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Menschen bei uns in Europa das einfach so hinnehmen.

In diesem Kontext ist der Vorstoß der Vereinten Linken in Spanien ehrenwert, dass das jetzige Parlament sich dem anschließt, aber ausgeschlossen. Wo soll der Vorreiter denn herkommen?

Ich setze auf Deutschland. Deutschland ist die größte, lebendigste Demokratie des Kontinents und die dritte Wirtschaftsmacht der Welt. Das Grundgesetz erlaubt alles, alles. Die Waffen sind da.

Am Grundgesetz liegt es sicher nicht, aber woher soll der politische Willen kommen?

Die Politik hat die Möglichkeiten und in einer Demokratie kann sie vom Souverän, dem Volk, zu entsprechendem Handeln gezwungen werden. Merkel und Schäuble sind ja nicht von Gottes Gnaden in ihren Ämtern. Die sind da, weil sie die Mehrheit im Bundestag haben. Das kann sich ändern. Und man kann die Bundesregierung stürzen oder dazu zwingen, ihre Politik radikal zu ändern, was die Nahrungsmittelverteilung auf dem Planeten anbetrifft. Es ist durchaus möglich, dass bei der nächsten Tagung des Internationalen Währungsfonds die Totalentschuldung der 50 ärmsten Länder der Welt beschlossen wird statt zig Milliarden den Gläubigerbanken zu zahlen. Das wäre eine Entscheidung für die hungernden Kinder statt für die reichen Bankiers. Alle die mörderischen Mechanismen von Spekulation bis zum Land Grabbing sind Menschen gemacht – alle können demokratisch morgen früh gebrochen werden. Was bis jetzt noch fehlt, ist das organisierte kollektive Widerstandsbewusstsein der Zivilgesellschaft. Aber das kommt. Der Aufstand des Gewissens, der kommt, der steht bevor. Er kündigt sich bereits an. Die Welt ist in Bewegung. Dafür sorgen Attac, Greenpeace, auch einige kirchliche Hilfswerke wie die Caritas, Care, Brot für die Welt etc. Das sind lebendige Organisationen. Sie machen mehr und mehr Druck.

Sie sind Optimist?

Ich halte es mit Antonio Gramsci: Der Pessimismus des Verstandes verpflichtet zum Optimismus des Willens. Ich setze große Hoffnung auf die Zivilgesellschaft. Che Guevara hat gesagt: »Auch die stärksten Mauern fallen durch Risse.« Und Karl Marx sagte: »Der Revolutionär muss das Gras wachsen hören.«

Einverstanden. Das Gras wächst. Damit sich etwas bewegt, bedarf es aber eines massiven gesellschaftlichen Drucks, oder?

Natürlich, revolutionäre Prozesse sind sehr mysteriös, aber die sind im Gange.

Wo?

Zum Beispiel in vielen Ländern des Südens, auch wenn die europäische Presse darüber schweigt – das »neue deutschland« ist wahrscheinlich eine der wenigen Ausnahmen. Da sind die Bauernaufstände. Unglaublich, was da passiert in Honduras, auf den Philippinen, in Indonesien oder im Norden Senegals. Dort kämpfen Bauern mit bloßen Händen oder mit ganz wenigen Waffen darum, ihr Land zurückzugewinnen. Es gibt blutige Auseinandersetzungen jenseits der Öffentlichkeit. Oder in Indien die Basisbewegung um Rajagopal. Die Ekta Parishad (Solidarischer Bund) setzt sich dort mit gewaltfreien Methoden für die Rechte der unterdrückten Bauern ein. Oder die brasilianische Landlosenbewegung MST. Dort sind 4 Millionen landlose Bauern organisiert – in einer Bewegung, das ist doch großartig. In all diesen Bewegungen ruht große Hoffnung.

Wie wichtig ist das Weltsozialforum zur Vernetzung dieser Bewegungen von unten?

Sehr wichtig. Die Via Campesina ist eine internationale Bewegung von Kleinbauern, Pächtern, Tagelöhnern und Landarbeitern. Die Via Campesina – 140 Millionen Mitglieder – hat auf den Weltsozialforen und darüber hinaus eine unglaubliche Arbeit bei der Vernetzung der kleinbäuerlichen Bewegungen geleistet und umfasst inzwischen mehr als 100 Organisationen aus Europa, Amerika, Asien und Afrika. Sicher gibt es derzeit in Afrika keine so individuell herausragenden Figuren wie Präsident Thomas Sankara aus Burkina Faso, der 1987 in seinem Heimatland ermordet wurde. Aber es gibt diesen kollektiven Widerstand und der ist großartig. Sie haben unsere Solidarität mehr als verdient.

Die Via Campesina setzt sich auch für eine völkerrechtlich bindende Erklärung ein, die die Rechte von Kleinbauern und ländlicher Bevölkerung festschreiben soll. Derzeit wird im Menschenrechtsrat in Genf über einen entsprechenden Antrag, den Boliviens Regierung eingebracht hat, diskutiert. Sie sind Vizepräsident des beratenden Ausschusses für Menschenrechte. Rechnen Sie mit einem Erfolg?

Ich hoffe darauf. Die Revolution ist wie gesagt ein mysteriöser Prozess. Immanuel Kant schreibt: »Die Unmenschlichkeit, die einem anderen angetan wird, zerstört die Menschlichkeit in mir.« Der Aufstand des Gewissens steht bevor.

Mit Jean Ziegler sprach nd-Redakteur Martin Ling in Berlin.



Jean Ziegler: Wir lassen sie verhungern. Die Massenvernichtung in der Dritten Welt. C. Bertelsmann Verlag, München 2012, 320 Seiten, € 19,99

* Aus: neues deutschland, Samstag, 29. September 2012

Jean Ziegler,

der viel gelesene und viel verklagte Autor Aus Schaden wird man klug. Der Bestellerautor hat neuerdings eine Klausel im Vertrag stehen, dass der Verlag für die Anwaltskosten aufkommen muss, wenn es Klagen gibt. Der Hintergrund: Mit seinem Buch »Die Schweiz wäscht weißer« zog sich Ziegler in den 90er Jahren den geballten Unmut der Schweizer Banken zu. Sie drängten erfolgreich auf die Aberkennung seiner Immunität als Schweizer Parlamentsabgeordneter und überzogen ihn mit Klagen wegen Rufmordes. Gegenüber »nd« bezifferte Ziegler seine Schulden aus den insgesamt neun verlorenen Prozessen auf 6,6 Millionen Franken. »Da ging es nicht um sachliche Fehler, sonst wären ja die Bücher konfisziert worden. Ich hatte neun Prozesse, das stimmt, und ich habe alle verloren. Dabei ging es immer nur um Kreditschädigung, Ehrbeleidigung und solche Sachen«, so Ziegler. Als Vizepräsident des beratenden Ausschusses für Menschenrechte genießt Ziegler derzeit UNO-Immunität. So sieht er eventuellen Klagen gegen sein gerade erschienenes Buch »Wir lassen sie verhungern – Die Massenvernichtung in der Dritten Welt« gelassen entgegen. Einige seiner Bücher wie »Das Imperium der Schande« und »Der Hass auf den Westen« wurden internationale Bestseller.




Zurück zur Globalisierungs-Seite

Zur Seite "Armut, Hunger, Elend"

Zurück zur Homepage