Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Aus dem Leben eines Rebellen

Jürg Wegelin schrieb die erste Biografie über Jean Ziegler

Von Hans Peter Gansner *

Auch im Alter von 76 Jahren jettet Jean Ziegler noch um die Welt. Rastlos prangert der nunmehrige Vizepräsident des Beratenden Ausschusses der Menschenrechtskommission der UNO den Skandal des Welthungers an. In einem Interview zu seinem 75. Geburtstag wies er es weit von sich, nun »weise« werden zu wollen. Im Gegenteil, seine Verve in Diskussionen mit Gegenspielern und seine Geduld sind ungebrochen. Wenn er unfair angegriffen wird, zieht er höchstens einmal eine Augenbraue hoch oder rückt die riesige, an Frischs und Dürrenmatts Augengläser erinnernde Brille zurecht. »Monsieur Teflon« hat man ihn auch schon genannt, weil ihn nichts aus der Ruhe bringen kann, er selbst aber die Unruhe einer Schweizer Uhr selber ist.

Jürg Wegelin war bestimmt eine gute Wahl für die erste Biografie über Jean Ziegler, der eigentlich Hans Ziegler heißt. Es war Simone de Beauvoir, die in Paris seinen ersten Beitrag für die Zeitschrift »Temps Modernes« mit »Jean« unterzeichnen ließ. Ziegler ist nach Roger Federer der berühmteste Schweizer.

Wegelin, der mit einer Biografie über Nicolas Hayek bekannt geworden ist (»Mister Swatch«), war viele Jahre für die Schweizerische Depeschenagentur tätig, dann als Ressortleiter bei der Schweizer Hauptstadtzeitung »Der Bund« und bei der »Handelszeitung« angestellt, und wurde dann zum Bundeshauskorrespondenten bei der Wirtschaftspostille »Cash« ernannt. Wegelin bemerkt: »Für die einen ist Ziegler ein mutiger Kämpfer für eine bessere, von Hunger und Armut befreite Welt. Für die andern ist er ein Querulant und Nestbeschmutzer, der das Image der Schweiz im Ausland nachhaltig beschädigt.«

Zwischen diesen beiden Polen bewegt sich die Biografie des versierten Journalisten, wobei er das Privatleben seines Protagonisten nicht außer Acht lässt. Zum ersten Mal werden dem staunenden Publikum Fotos geboten, die Ziegler in seinem privaten Umfeld zeigen. Eine große Bereicherung im Vergleich zu den ewig gleichen Presseschnappschüssen vor UNO-Fahnen oder anderen Emblemen bzw. beim Händedruck mit andern Großen dieser Welt.

Wegelin hat sich für dieses Buch unzählige Male mit Ziegler im Café des Cheminots hinter dem Genfer Bahnhof getroffen, wo Gewerkschafter ein- und ausgehen. Das Buch liest sich wie ein Roman. Es besteht aus unzähligen kleinen, aber deswegen nicht unwichtigen Episoden. Zieglers Leben wird nicht gradlinig beschrieben.

Auf eine Episode in seiner Jugend in der Berner Oberländer Kleinstadt Thun angesprochen, wo er übrigens kürzlich den Preis der Stadt entgegennehmen durfte, gibt Ziegler offen zu, er könne selbst nicht mehr nachvollziehen, was damals in ihm vorgegangen sei, als er als Hauptmann der dortigen Kadetten, mit einem Säbel an der Seite, flankiert von zwei Offizieren umherstolzierte. Das passt irgendwie nicht zum Ziegler, den wir kennen.

Gerade solche kleinen Entdeckungen machen den Reiz dieser Biografie aus, die vor allem aber Mut macht, sich wie Jean Ziegler gegen die Missstände in dieser Welt zu engagieren.

Jürg Wegelin: Jean Ziegler - das Leben eines Rebellen. Nagel & Kimche, Zürich. 192 S., geb., 17,90 €.

* Aus: neues deutschland, 15. Dezember 2011


Zurück zur Globalisierungs-Seite

Zur Armuts-Seite

Zurück zur Homepage