Kostbare Lebensmittel
Nachfrage nach Agrosprit und ungleiche Landverteilung sorgen für Angebotsknappheit
Von Uwe Kerkow *
Ein Sieg über den Hunger in der Welt rückt wieder in weite Ferne. Denn rund um den Globus
werden die Lebensmittel teurer. »Die Preise für Grundnahrungsmittel wie Weizen, Mais und Reis
erreichen Rekordhöhen«, warnen die Vereinten Nationen. In den vergangenen sechs Monaten
schossen sie laut UN um rund 50 Prozent in die Höhe.
»Solange nur ein Mensch hungert, kann kein Mensch in Frieden leben«, lautet eine Losung
indischer Bauernorganisationen. In den letzten Monaten zeigt sich immer deutlicher, wie viel
Wahrheit diese Devise bis heute birgt: In immer mehr Ländern treiben steigende Lebensmittelpreise
die Menschen zu Demonstrationen auf die Straße und zwingen ihre Regierungen zu oft
kostspieligen Interventionen. Eine – wahrscheinlich nicht vollständige – Liste von Ländern, in denen
allein in den letzten Tagen und Wochen Unruhen aufflammten, schließt Ägypten, Bangladesch,
Burkina Faso, die Elfenbeinküste, Guinea, Haiti, Jemen, Kamerun, Mauretanien und Mexiko ein.
Noch hat es keine massiven Hungerrevolten gegeben, aber die Weltbank schätzt, dass soziale
Unruhen in bis zu 33 Ländern ausbrechen könnten.
Reis, Grundnahrungsmittel für die Hälfte der nun über 6,6 Milliarden Menschen, kostete an der
Chicagoer Warenterminbörse CBOT (Chicago Board Of Trade) Anfang April 19,79 US-Dollar pro
Zentner. Vor knapp einem Jahr waren es noch etwa 11,50 und Anfang 2008 knapp 14 US-Dollar
gewesen. Damit vollzieht der Reispreis eine Entwicklung nach, die viele Getreidesorten, Milch und
Milchprodukte, aber auch Soja bereits 2006 und 2007 durchgemacht haben.
Steigende Energiepreise sind eine wesentliche Ursache für die Preisexplosion – insbesondere in
den Industrieländern, wo der Energiebedarf der Landwirtschaft hoch ist. Aber auch Dünger und
andere Vorprodukte werden teurer. Gleichzeitig steigt die weltweite Nachfrage – einerseits nach
veredelten Produkten wie Fleisch und Milch, andererseits nach Agrarrohstoffen, die Energie liefern.
Schätzungen zufolge sind 2007 etwa 100 Millionen Tonnen Getreide für die Energieerzeugung
eingesetzt worden. Insgesamt lag die Jahresproduktion bei etwa 1650 Millionen Tonnen. Auf der
Angebotsseite muss die jahrzehntelange Vernachlässigung der Landwirtschaft in
Entwicklungsländern in Rechnung gestellt werden. Insgesamt also schlagen Missernten wie die
jüngste in Australien neuerdings wesentlich stärker auf die Preise durch als früher.
Nach dem rasanten Anstieg der Energiepreise treffen die hohen Lebensmittelmittelausgaben die
Armen überall auf dem Globus doppelt hart. Gleichzeitig vermindern die gestiegenen
Nahrungsmittelpreise die Schlagkraft der internationalen Hilfsorganisationen. Das
Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) hatte die internationale Gemeinschaft
bereits im März aufgerufen, zusätzliche 500 Millionen US-Dollar bereitzustellen, um die laufenden
Programme weiterführen zu können. Das WFP verteilt rund 40 bis 50 Prozent der weltweiten
Nahrungsmittelhilfe. Deutschland hat dafür Anfang April umgerechnet zusätzlich 7,5 Millionen USDollar
zur Verfügung gestellt. Die US-Behörde für internationale Entwicklung USAID plant dagegen,
ihre 1,5 Milliarden US-Dollar schweren Programme zu straffen. Gestiegene Preise und Frachtraten
haben die Kaufkraft der Hilfsorganisation um etwa 120 Millionen US-Dollar – also fast neun Prozent
– gemindert.
Die betroffenen Länder versuchen, ihre Bevölkerung mit verschiedenen Mitteln vor dem drohenden
Hunger zu schützen. Manche senken die Einfuhrzölle (zum Beispiel Indonesien im Fall von
Sojabohnen), andere begrenzen Nahrungsmittelexporte (Vietnam und Indien im Fall von Reis). Die
meisten Staaten aber subventionieren die Preise, damit die Teuerung nicht voll an der Ladentheke
durchschlägt. Laut Schätzungen hat Indien schon 2005/2006 etwa 600 Millionen US-Dollar für
Subventionen bei Reis und Weizen aufgewandt, und die Philippinen werden dieses Jahr für
Reissubventionen mehr als eine halbe Milliarde US-Dollar brauchen. Nach Informationen der
»Financial Times Deutschland« ist allein die Weizenrechnung Ägyptens für 2007/2008 um 850
Millionen auf 2,67 Milliarden US-Dollar hochgeschnellt.
Positive Effekte sind dagegen für die Landwirtschaft und die ländlichen Räume zu erwarten. Die
Einkommenssituation vieler Bauern dürfte sich in absehbarer Zeit verbessern. Neue Jobs auf dem
Land sind wahrscheinlich und sogar eine Minderung der Landflucht ist denkbar. Doch eine derartige
Entwicklung hat auch Tücken: Immer mehr Anleger entdecken landwirtschaftliche Nutzflächen als
Spekulationsobjekt. Auch die chinesische Regierung hat bereits Farmland in Lateinamerika
aufgekauft. Haussieren die Lebensmittelpreise weiter – was wahrscheinlich ist –, könnten steigende
Landpreise in einigen Jahren die Teuerung weiter anheizen. Zwar handhaben viele Staaten den
Landbesitz von Ausländern sehr restriktiv. Aber leider können in vielen Ländern gerade die
Kleinbauern von steigenden Land- und Nahrungsmittelpreisen ebenso wenig profitieren, weil ihnen
das Land, das sie bewirtschaften, schlichtweg nicht gehört. Landreformen werden also zunehmende
Bedeutung erlangen, und zwar auch in Ländern, etwa in Afrika, wo dies bisher kein Thema war
* Aus: Neues Deutschland, 14. April 2008
IWF warnt vor Hungersnöten *
Währungsfonds sieht Gefahr für Demokratien / Zustimmung zu Stimmrechtsreform
Der IWF hat sich besorgt über die stark gestiegenen Nahrungsmittelpreise geäußert. Dies gefährde auch die politische Stabilität.
Washington (Agenturen/ND). Der Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF), Dominique Strauss-Kahn, hat vor verheerenden Folgen durch die weltweite Explosion der Lebensmittelpreise gewarnt. Sollte Nahrung so teuer bleiben wie bisher, »könnte die Bevölkerung einer sehr großen Zahl von Ländern mit furchterregenden Konsequenzen konfrontiert werden«, sagte er am Wochenende während der Frühjahrstagung von IWF und Weltbank in Washington. »Hunderttausende werden hungern müssen, Kinder werden an Mangelernährung leiden«, sagte Strauss-Kahn. Die Wirtschaft von Staaten könne zerstört werden und auch die politische Stabilität und die Demokratie seien bedroht.
In zahlreichen armen Staaten ist es wegen teurer Lebensmittel bereits zu Unruhen, Plünderungen und Gewalt gekommen. In Haiti wurde am Samstag die Regierung wegen der hohen Preise gestürzt.
Nach Angaben der Weltbank kletterten die Nahrungsmittelpreise in den vergangenen drei Jahren weltweit um 83 Prozent, für Weizen sogar um 181 Prozent. Als wichtigste Auslöser gelten neben der verstärken Produktion von Agrotreibstoffen als Ersatz für Benzin auch veränderte Ernährungsgewohnheiten in aufstrebenden Staaten wie China, ausgedehnte Dürren etwa in Australien und der hohe Ölpreis. Die deutsche Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul erklärte in Washington, der rasante Anstieg der Preise für Lebensmittel sei zu 30 bis 70 Prozent auf die zunehmende Produktion von Agrosprit zurückzuführen. Es sei nicht akzeptabel, dass wegen der hohen Nahrungsmittelpreise die bisherigen Erfolge der Entwicklungshilfe um Jahre zurückgeworfen würden.
IWF-Chef Strauss-Kahn hat gleichzeitig die hart umkämpfte Stimmrechtsreform einen wichtigen Schritt vorangebracht. Der Lenkungsausschuss des Fonds habe größeren Mitspracherechten für Entwicklungs- und Schwellenländer seine volle Zustimmung erteilt, sagte der Gremiumsvorsitzende, Italiens Finanzminister Tommaso Padoa-Schioppa. Durch das Vorhaben soll ein Teil der Stimmrechte von den Industrienationen vor allem hin zu aufstrebenden Staaten wie China, Indien und Brasilien verlagert werden. Die IWF-Mitglieder müssen den Vorschlag nun noch bis zum 28. April mit einer Stimmenmehrheit von 85 Prozent absegnen.
Gleichzeitig forderte der IWF ein entschlossenes Vorgehen gegen die weltweite Finanzkrise. Nötig sei eine enge Zusammenarbeit unter den Mitgliedern. Zuvor hatten die Finanzminister und Notenbankchefs der G7 bei ihrem Treffen in Washington ein Aktionspaket beschlossen. Sie fordern von Banken eine rasche und vollständige Offenlegung von Risiken und Abschreibungen. Finanzhäusern wird ferner geraten, ihr Risikomanagement deutlich zu verbessern und falls nötig ihre Kapitalbasis zu stärken. Notenbanken und Aufsichtsbehörden sollten zudem besser zusammenarbeiten, um drohende Finanzmarktkrisen künftig früher zu erkennen.
* Aus: Neues Deutschland, 14. April 2008
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