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Razzien im Vorfeld des G8-Gipfels in Heiligendamm waren rechtswidrig

Bundesgerichtshof (BGH) veröffentlicht bemerkenswerten Beschluss (im Wortlaut) - Ohrfeige für Bundesstaatsanwaltschaft - Kommentare und Berichte

Nun hat das zuständige oberste Gericht ein abschließendes Urteil über die massiven Einschüchterungsversuche im Vorfeld des G8-Gipfels 2007 in Heiligendamm gefällt und verkündet: Die Razzien bei vermeintlichen Globalisierungsgegnern waren rechtswidrig.
Wir dokumentieren auf dieser Seite:

  • einen aktuellen Artikel hierzu,
  • die Pressemitteilung des BGH im Wortlaut,
  • Kommentare aus der Süddeeutschen Zeitung, der Frankfurter Rundschau und der "jungen Welt" sowie
  • einen Bericht von Wolf-Dieter Narr über die Demonstrationen von Rostock und Heiligendamm.



G-8-Razzia war Willkür

Von Frank Brendle *

Die Razzien gegen Globalisierungskritiker im Mai vorigen Jahres waren rechtswidrig. Generalbundesanwältin Monika Harms (CDU) hat ohne Rechtsgrundlage agiert, als sie am 9. Mai 2007 in rund 40 Wohngemeinschaften und linke Büros einbrechen ließ. Das entschied der Bundesgerichtshof in einem am Freitag (4. Januar) veröffentlichten Beschluß. An der Großrazzia waren damals 900 Polizisten beteiligt, die in Berlin, Brandenburg, Hamburg, Bremen, Schleswig-Holstein und Niedersachsen Computer beschlagnahmten, Unterlagen mitnahmen und in einigen Fällen gar Geruchsproben von den Beschuldigten erzwangen.

Zur Begründung hatten damals sowohl Verfassungsschutz als auch Bundeskriminalamt von einer angeblichen »militanten Kampagne« gegen den G-8-Gipfel schwadroniert und vor Terror gewarnt. In den durchsuchten Häusern sollte die Kommandozentrale dieser »terroristischen Vereinigung« sein, die, so der Durchsuchungsbeschluß, »mit Brandanschlägen und anderen gewalttätigen Aktionen den bevorstehenden Weltwirtschaftsgipfel (G8) im Frühsommer 2007 in Heiligendamm erheblich zu stören oder zu verhindern« suchten.

Das war Propaganda. Der Bundesgerichtshof (BGH) hob bereits am 20. Dezember – auf die Klage eines Betroffenen hin – den Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluß auf. Die Strafverfolgungsbehörden des Bundes seien »nicht zuständig« gewesen, hieß es. Die Begründung ist zwar überwiegend formal, aber auch inhaltlich eine Ohrfeige für die Bundesanwaltschaft (BAW). Denn die Richter äußern »nachhaltige Zweifel«, daß sich »die beschuldigten Globalisierungsgegner tatsächlich zu einer Vereinigung im strafrechtlichen Sinne zusammengeschlossen haben«. Aber selbst wenn, könne diese »nicht als terroristische Vereinigung eingeordnet werden«. Auch die Möglichkeit, gegen eine etwaige »kriminelle Vereinigung« zu ermitteln, scheide aus, weil es an der »besonderen Bedeutung des Falles« mangele. Mit anderen Worten: Die BAW war von Anfang an nicht berechtigt, ihre Truppen in Marsch zu setzen. Legal wäre nur gewesen, ganz normal die Polizeien der Länder ermitteln zu lassen.

Doch ein »normales« Vorgehen wollten die Verfolgungsbehörden gerade nicht, sondern größtmögliche Terrorhysterie. Der Sonderparagraph 129a mußte her, um Globalisierungskritiker zu diffamieren, die Bewegung zu spalten und Einblick in linke Strukturen zu gewinnen. In Hamburg wurde die Gelegenheit genutzt, mindestens eine Wohnung zu verwanzen, in Berlin wurde kurz nach der Razzia ein Peilsender am Auto eines Aktivisten gefunden. Aufgegangen ist das Konzept nicht: Wenige Stunden nach den Razzien gingen bundesweit über 10000 Menschen auf die Straße, die Empörung über die Polizeiwillkür kam der Protestbewegung zugute.

Bereits im November hatte der BGH den Lauschangriff auf die Hamburger Wohnung beanstandet. Der Terror-Vorwurf gegen die »militante gruppe« hat sich ebenfalls in Luft aufgelöst. Grünen-Chefin Claudia Roth sagte am Freitag, die Union habe »die rote Karte« für ihre »unverhältnismäßige Eskalationspolitik« bekommen. Die Innenpolitikerin der Linksfraktion Ulla Jelpke forderte, die Ermittlungsrichter müßten sich die Fälle genauer ansehen und nicht vorschnell den Forderungen der BAW nachgeben.

* Aus: junge Welt, 5. Januar 2008


Bundesgerichtshof
Mitteilung der Pressestelle
Nr. 3/2008

Keine Bundeszuständigkeit für die Durchsuchungsaktion gegen Globalisierungsgegner im Vorfeld des Weltwirtschaftgipfels

Für die Durchsuchung von Wohnräumen und weitere strafprozessuale Ermittlungsmaßnahmen, die in einem von der Bundesanwaltschaft geführten Verfahren am 9. Mai 2007 im Rahmen einer koordinierten Aktion gegen Gegner des Weltwirtschaftsgipfels und Dritte durchgeführt worden sind, waren die Strafverfolgungsorgane des Bundes nicht zuständig. Dies hat der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (Staatsschutzsenat) auf die Beschwerde eines der Beschuldigten festgestellt und zugleich den ihn betreffenden Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss aufgehoben.

Der Generalbundesanwalt wirft dem Beschwerdeführer und weiteren Beschuldigten vor, sich an einer terroristischen Vereinigung beteiligt zu haben, deren Ziel es gewesen sein soll, durch Brandanschläge auf Sachen (Kraftfahrzeuge sowie ein leer stehendes Gebäude) und Sachbeschädigungen gewaltbereite Gesinnungsgenossen zu mobilisieren, um den Weltwirtschaftsgipfel vom Juni 2007 in Heiligendamm durch Gewalttaten erheblich zu stören oder zu verhindern. Er rechnet der Vereinigung zwölf gewalttätige Aktionen mit einem Gesamtschaden von ca. 2,6 Mio. € zu, die im Zeitraum Juli 2005 bis März 2007 ausgeführt wurden.

Der 3. Strafsenat hat entschieden, dass eine Strafverfolgungskompetenz des Generalbundesanwalts, die Voraussetzung für die Zuständigkeit des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs ist, nicht gegeben war. Für die Entscheidung ist letztlich ohne Bedeutung geblieben, ob sich - woran allerdings nachhaltige Zweifel bestehen - die beschuldigten Globalisierungsgegner tatsächlich zu einer Vereinigung im strafrechtlichen Sinne zusammengeschlossen haben. Die Zuständigkeit der Strafverfolgungsorgane des Bundes scheidet nämlich jedenfalls aus rechtlichen Gründen aus. Eine von den Beschuldigten etwa gebildete Vereinigung kann - als Folge einer die Strafbarkeit beschränkenden Änderung der maßgeblichen gesetzlichen Bestimmung (§ 129 a Abs. 2 Nr. 2 StGB) im Jahre 2003 - nicht als terroristische Vereinigung eingeordnet werden, was die Zuständigkeit des Generalbundesanwalts ohne weiteres begründet hätte. Soweit es den Verdacht der mitgliedschaftlichen Beteiligung in einer kriminellen Vereinigung (§ 129 StGB) anbelangt, fehlt es - wie in dem Beschluss näher ausgeführt ist - an der für die Bundeszuständigkeit zusätzlich erforderlichen besonderen Bedeutung des Falles (vgl. § 74 a Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2, § 120 Abs. 2 Nr. 1 GVG, § 142 a GVG, § 169 Abs. 1 StPO).

Zur Verfolgung der in Rede stehenden Aktionen, bei denen es sich allerdings um nicht zu verharmlosende Straftaten handelt, sind deshalb nach der föderalistischen Verteilung der Aufgaben im Bereich der Strafverfolgung die Strafverfolgungsbehörden der Bundesländer zuständig.

Beschluss vom 20. Dezember 2007 - StB 12/07, 13/07 und 47/07

Karlsruhe, den 4. Januar 2007

Pressestelle des Bundesgerichtshofs

Quelle: Website des BGH: http://www.bundesgerichtshof.de/



Kommentare

Helmut Kerscher kommentiert das BGH-Urteil in der Süddeutschen Zeitung "Rechtswidrige Ratzfatz-Razzia":

(...) Nun ist es also auch gerichtlich festgestellt: Die Razzia der Bundesanwaltschaft gegen G-8-Gegner im Mai 2007 war rechtswidrig. Und zwar gleich aus mehreren Gründen, wie der Bundesgerichtshof der ebenfalls in Karlsruhe ansässigen Anklagebehörde am Freitag bescheinigte. Diese sei für die spektakuläre Durchsuchung von 40 Objekten in sechs Bundesländern gar nicht zuständig gewesen, befand der 3. Strafsenat und verwies auf die Kompetenz der Länder. Denn die militanten Gegner des Weltwirtschaftsgipfels hätten keine "terroristische Vereinigung" gebildet. (...)
Damit bestätigte der BGH den von Anfang an bestehenden Eindruck, die Aktion sei eine Überreaktion von Generalbundesanwältin Monika Harms und ihrer Leute gewesen. Gleichsam über Nacht konstruierten die Strafverfolger aus längst bekannten Brandanschlägen in und um Hamburg und Berlin einen Terrorismusverdacht.
Das eröffnete der Bundesanwaltschaft sowohl ihre Zuständigkeit als auch Zugang zu internen Strukturen militanter G-8-Gegner. Dieses Ausforschungsinteresse sowie ein nicht unwillkommener Einschüchterungseffekt standen hinter der bundesweiten Razzia. (...)
(SZ vom 05.01.2008)


Vera Graserow überschreibt ihren Kommentar in der Frankfurter Rundschau mit "Karlsruher Kanonen". Darin heißt es:

Langsam wird die Sache blamabel. Zum dritten Mal innerhalb weniger Wochen hat der Bundesgerichtshof die Ober-Strafverfolger der Republik in die Schranken gewiesen. Deutlicher konnte die Lektion kaum sein, die die Richter dem Verfolgungseifer der Bundesanwaltschaft nun verpassten. Militante G-8-Gegner zu staatsfeindlichen Terroristen hochzustufen und ihre Wohnungen auf den Kopf stellen zu lassen, war nicht rechtmäßig, urteilte der BGH. (...)
(...) Im Vorfeld des Treffens der weltmächtigen Acht hat Karlsruhe mit Kanonen auf Spatzen geschossen. Um klare Kante zu zeigen, hat die Bundesanwaltschaft eine dramatische Gefährdungslage konstruiert und sich Kompetenzen angemaßt, die ihr nicht zustanden. Das mag man als Überreaktion nervöser Strafverfolger verbuchen, die nicht zu Unrecht um den reibungslosen Verlauf des G-8-Treffens bangten. Doch es war eben nicht das erste Mal, dass die Chefankläger aus Angehörigen der linken Szene gleich eine Terrorgruppe geschmiedet haben. Erst im November wurde die Bundesanwaltschaft zurückgepfiffen und musste ihre Haftbefehle gegen vermeintliche Terroristen einer "Militanten Gruppe" wieder aufheben. Die Karlsruher Ankläger erleiden auch deswegen immer wieder Schiffbruch, weil sie stur ignorieren,dass ein geänderter Anti-Terror-Paragraf 129 a ihnen neue Grenzen setzt. Für die Uneinsichtigkeit ist nun Lehrgeld fällig. Die Währung heißt: Ansehensverlust.
(FR, 5. Januar 2008)


"Fehler nach Plan" wurden nach Meinung von Ulla Jelpke (MdB Die LINKE) gemacht. Ihr Kommentar fand sich in der "jungen Welt":

Rechtsbeugung von ganz oben – anders kann man es kaum nennen, was sich Generalbundesanwältin Monika Harms (CDU) im Vorfeld des G-8-Gipfels geleistet hat. Was wurde damals Alarm geschlagen und Terrorhysterie verbreitet! Und das, nur um zu rechtfertigen, daß polizeiliche Rollkommandos im Mai vorigen Jahres bundesweit in linke Büros und Wohnprojekte einbrachen, Computer beschlagnahmten und sogar Geruchsproben entnahmen. Auftraggeberin: Monika Harms.
Die hat nun eine schallende Ohrfeige vom Bundesgerichtshof (BGH) bekommen. Der gab am Freitag seine Bewertung bekannt: Erstens hat es zu keinem Zeitpunkt die von Harms konstruierte »terroristische Vereinigung« von Gipfelgegnern gegeben. Zweitens hat es noch nicht einmal eine »einfache« kriminelle Vereinigung gegeben, die das Tätigwerden der Bundesanwaltschaft (BAW) hätte rechtfertigen können. Drittens haben die Richter »nachhaltige Zweifel« geäußert, daß die betroffenen Aktivisten überhaupt irgendeine »Vereinigung im strafrechtlichen Sinne« gegründet hatten.
Das heißt im Klartext: Die Durchsuchungen waren rechtswidrig. Frau Harms hat sich unberechtigt eine Verfolgungskompetenz angemaßt, die ihr gar nicht zukam.
(...)
Im nachhinein ist dieser Versuch nun zurückgewiesen worden – der Skandal aber bleibt, daß unliebsame Bewegungen aus politischer Willkür heraus mit Terrorvorwürfen überzogen werden. Das macht Frau Harms als Generalbundesanwältin untragbar.
Aber auch der BGH muß sich an die eigene Nase fassen: Zwar ist es erfreulich, daß er einer ausufernden Anwendung des Paragraphen 129a erneut entgegengetreten ist. Es stellt sich aber dennoch die Frage, warum der Ermittlungsrichter am BGH sich die Beweislage nicht genauer angesehen hat, bevor er die Genehmigung für Großrazzien erteilte. Erst jetzt, also nach Monaten, sind diese Fehlentscheidungen aufgehoben worden. Nicht nur bei Frau Harms, auch beim BGH müssen nun Konsequenzen gezogen werden.

(junge Welt, 5. Januar 2008)


Dokumentiert:

Gewalt gesichert

Die Demonstrationen gegen den G-8-Gipfel 2007. Ein Resümee des Berichts, den das Komitee für Grundrechte und Demokratie jetzt vorlegte

Von Wolf-Dieter Narr **


Das demonstrative Geschehen vom 2. bis 8. Juni wurde mit einer Riesendemonstration und Versammlung am 2. Juni im Rostocker Hafen eröffnet. 80.000 Menschen trafen sich dort, um die herrschende Form der Globalisierung zu kritisieren. Die Eröffnungsversammlung war noch nicht zu Ende, da hallte der Gewaltruf durch die Medien; wurden Bilder gewaltsamer Auseinandersetzungen übers Fernsehen in die Wohnzimmer geflimmert; wurde der Vorwurf, Teilnehmer an der Versammlung seien gewalttätig, mündlich und zeitungsschriftlich verbreitet. Nicht wenige Vertreter selbst von den Gruppen, die die Versammlung organisiert hatten, sprachen sich gegen diejenigen pauschal aus, die Gewalt geübt hätten. Die Polizei meldete Hunderte teilweise schwer verletzter Polizeibeamter. Teilnehmende an der Versammlung wurden als ertappte oder vermutete »Gewalttäter« festgenommen. Die Polizeiführung, konzentriert in der Sonderbehörde »Kavala«, erklärte zugleich, sie habe durchgehend eine »Deeskalationsstrategie« verfolgt. Sie werde trotz der negativen Überraschung durch »Gewalttäter« daran festhalten. Um dem Versammlungsverlauf gerecht zu werden und beurteilen zu können, welche Behauptungen zutreffen, hat die Beobachtergruppe des Komitees für Grundrechte und Demokratie zweierlei getan. Sie hat zuerst die Vorgeschichte der Junitage von Rostock und Heiligendamm untersucht. Sie hat die Berichte, die die Beobachter gegeben haben, als dichte Beschreibung des Geschehens am 2. Juni und der folgenden Tage bis zum 8. Juni komponiert.

Terrorprognose

Zur Vorgeschichte: Die politisch-polizeiliche Einstimmung auf das Junigeschehen geschah in zweifacher Weise. Auf der einen Seite wurde vorausgesetzt, der G-8-Gipfel sei ein schützenswertes Gut. Das gelte es uneingeschränkt und kompromißlos gegenüber allen irgend erwartbaren Gefährdungen zu sichern. Die sichernde Prävention ging so weit, daß die »hohen Staatsgäste« nicht einmal von Ferne demonstrierende Bürger mit dem Fernglas wahrnehmen können sollten. Denn, so die Ansicht der Sonderbehörde »Kavala«, einer der Staatsmänner, solche Bürgeräußerungen nicht gewohnt, könnte davon irritiert werden. Auf der anderen Seite wurde vermutet, geheimdienstlich-verfassungsschützerische Berichte legten Prognosen nahe, die demonstrierenden Gruppen enthielten einen terroristischen, »islamistisch« geschnitzten Kern. Um diesen Kern lagerten noch vor dem Kranz friedlich Demonstrierender »gewaltbereite« Gruppen »autonom«, »schwarzblockig«. Also müsse die Polizei bereit sein, daß unter Umständen mit Sprengstoff u.ä. instrumentierte Gewalttaten gegen das Gruppenbild »Sieben Herren und eine Dame« begangen würden. Demgemäß wurde über zwei Jahre lang hochgerüstet. Ein Stacheldraht- und Eisenzaun wurde unübersteigbar und großzügig um Heiligendamm gezogen. Die Bundeswehr wurde um grundgesetzlich nicht gedeckte Amtshilfe ersucht. Sie stand bereit. Sie war mit Schnellbooten und Panzerspähwagen zu Wasser und zu Land präsent. Nicht zuletzt dienten »Tornado«-Flüge dazu, endlich nicht am Hindukusch, sondern in Mecklenburg-Vorpommern, den »Feind«, nämlich demonstrierende Bürger, vorab ob möglicher Wühlmaustätigkeiten und Anfang Juni im demonstrierenden »Einsatz« auszuspähen. Statt Feind-, militärische Bürger-»Aufklärung«. Wer nennt die Polizeien, die sichernd im großen Kreis um Rostock, Heiligendamm und den Flughafen Laage mit Hubschraubern, Blaulichtwagen ohne Ende und schlagsicher verpackten Polizisten zusammenkamen? Deeskalation? »Kavala« und die hinter ihr stehende Politik, repräsentiert durch die Innenminister Caffier (Mecklenburg-Vorpommern) und Schäuble vor allem, betrieben spekulationsgesicherte Eskalation pur.

Polizeitäuschung

Unser Beobachtungsbericht vom Samstag, dem 2. Juni, und von den Tagen 3. bis 8. Juni weist nach, daß der mit Spekulationsluft gefüllte Ballon präventiver Sicherungen wie eine einzige Kette von Knallfröschen zerplatzte. Am 2. Juni gab es gewaltvermischte Handgemenge zwischen Demonstrierenden und Polizeigruppen. Es gab Steinwürfe. Es gab manche verletzte Polizeibeamte. Die eingesetzten, divers gefärbten, oftmals wie Bürger in Zivil gekleideten, also vielfach mehr oder minder bis zu ihren heruntergelassenen Helmblenden wahrhaft vermummten Polizeigruppen wurden jedoch von allem Versammlungsanfang an nicht so eingesetzt, daß wechselseitige Aggressionen möglichst vermieden wurden. Die Polizeileute wurden vielmehr so unter die versammelten Bürger eingestreut und griffen immer erneut einzelne Demonstrierende heraus, daß die Polizei nicht Gewalt vermied, sondern Gewalt sicherte. Das rechtfertigt keinen Steinwurf. Fest steht jedoch, daß die Polizeileitung »Kavala«, die schon im Mai durch eine hanebüchen begründete, also unfundierte Allgemeinverfügung alle Demonstrationen grundrechtswidrig untersagte, in jeder öffentlich allgemeineren Äußerung täuscht. (Zu ihren Gunsten nehmen wir an, sich auch selbst täuschte. Nur, wozu brauchen wir Sicherheitsorgane, die zuungunsten der Bürger, aber zugunsten ihrer eigenen Bedeutung jedes Augenmaß und jede »Intelligence« vermissen lassen?!) Die Täuschung reicht skandalöserweise bis in die Angabe der Zahl verletzter Polizeibeamten und der Schwere von deren Verletzungen. Von Sonntag, dem 3. Juni, bis Freitag, dem 8. Juni, glänzten die Demonstrationen als Demonstrationen gegen die schlimmen Folgen kapitalistisch einseitiger Globalisierung. Sie glänzten zugleich als praktizierte Friedensbewegung. Aggressive Akte, durchgehend am Rande, sind fast nur der falsch und übermäßig eingesetzten Polizei zuzuschreiben.

Wolf-Dieter Narr ist emeritierter Politikwissenschaftler der FU Berlin und Mitgründer des Komitees für Grundrechte und Demokratie.

** Aus: junge Welt, 5. Januar 2008


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