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Banken schüren Hunger

Foodwatch fordert Verzicht auf Spekulationen mit Agrarrohstoffen

Von Haidy Damm *

Durch ihre Spekulationen auf Agrarrohstoffe sind Investmentbanken und andere Investoren mit verantwortlich für steigende Nahrungsmittelpreise. Die Verbraucherschutzorganisation foodwatch startet jetzt eine Kampagne gegen »Die Hungermacher«.

Auch wenn Banken und neoliberale Ökonomen einen Zusammenhang weiterhin leugnen, die Spekulation mit Agrarrohstoffen treibt Nahrungsmittelpreise in die Höhe. Zu diesem Schluss kommt auch der gestern in Berlin vorgestellte Bericht »Die Hungermacher« der Nichtregierungsorganisation food-watch. Der Publizist Harald Schuhmann hat hierfür Studien und Analysen ausgewertet und kommt zu dem eindeutigen Fazit: Investmentbanken wie die Deutsche Bank und Goldman Sachs sowie die Verwalter von Versicherungen, Pensionsfonds und Stiftungen machen sich mitschuldig an Hungersnöten in den ärmsten Ländern der Welt.

Sein Hauptargument: Durch die Deregulierung in der Vergangenheit geht es bei den Agrarrohstoffen schon lange nicht mehr um die tatsächlichen Preise, bestimmt von Angebot und Nachfrage, sondern um Wetten und möglichst hohe Renditen für die Anleger. Die Spekulationen auf Nahrungsmittel haben seit dem Platzen der »Dotcom-Blase« massiv zugenommen. So beträgt der Anteil der zu rein spekulativen Zwecken gehaltenen Weizen-Kontrakte an der Getreidebörse in Chicago heute bis zu 80 Prozent. 1999 lag der Anteil noch bei 20 bis 30 Prozent. Das treibe die Preise in die Höhe.

Gewinner sind dabei auf jeden Fall die Banken selbst. »Sie kassieren Gebühren und können daher mit ihren hochspekulativen Wetten nur gewinnen, während die Risiken andere tragen - vor allem die Ärmsten der Armen, die mit diesen Finanzprodukten überhaupt nichts zu tun haben, aber ihr Essen nicht mehr bezahlen können«, kritisiert foodwatch-Geschäftsführer Thilo Bode. Für ihn trägt Josef Ackermann »als oberster Bankenlobbyist und Deutsche-Bank-Chef auch eine persönliche Verantwortung dafür, dass Menschen Hunger leiden«.

Deshalb hat die Nichtregierungsorganisation sich jetzt in einem Offenen Brief an Ackermann gewandt und fordert: »Die Deutsche Bank soll mit gutem Beispiel vorangehen und aus der Spekulation mit Nahrungsmitteln aussteigen.« Schließlich habe auch die größte deutsche Bank in ihren Richtlinien »gesellschaftliche Verantwortung« verankert, in denen sie verspreche, »ökologisch und sozial möglichst verantwortlich zu handeln«. Die Bankenlobby solle sich effektiver staatlicher Regulierung nicht länger widersetzen.

Die Forderungen zur Regulierung werden allerdings nach Bodes Ansicht nicht ausreichend formuliert. »Anstatt wirksam zu regulieren, gibt die Politik den Tanzbären der Banken.« So habe Verbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) ihre Forderung nach Maßnahmen gegen Nahrungsmittelspekulationen immer weiter abgeschwächt. Innerhalb der EU gibt es nur vereinzelte Stimmen, die Spekulationen auf Nahrungsmittel wieder stärker regulieren wollen. Auf G20-Ebene sind besonders Rohstoffexportländer wie Brasilien und Kanada dagegen.

Foodwatch fordert deshalb von der europäischen Politik konkrete Maßnahmen. Eine Regulierung könne gelingen, indem etwa wirksame Positionslimits eingeführt werden, also die Zahl spekulativer Warenterminverträge auf höchstens 30 Prozent aller gehandelten Verträge auf zukünftige Ernten (Futures) limitiert würde. Zudem sollten institutionelle Anleger wie Pensionsfonds oder Versicherungen vom Rohstoffgeschäft ausgeschlossen werden. Auch ein Verbot von Publikumsfonds und Zertifikaten für Rohstoffe könnte helfen. Fonds beteiligen Hunderttausende Anleger an einem Wettspiel mit verheerenden Folgen und leiten ohne volkswirtschaftlichen Nutzen Milliarden Dollar in die Rohstoffmärkte. Zumindest die Anlage in Agrar- und Energierohstoffe muss für Publikumsfonds tabu sein, fordert Bode.

* Aus: neues deutschland, 19. Oktober 2011


Nahrung: unbezahlbar

Foodwatch startet Kampagne gegen Spekulation mit Lebensmitteln. Report weist Mitschuld von Investment-Banken an steigenden Rohstoffpreisen nach

Von Sebastian Carlens **


Die Verbraucherorganisation Foodwatch hat den Investmentbanken vorgeworfen, sich auf Kosten der ärmsten Teile der Menschheit zu bereichern. Finanzinstitute, Pensionsfonds und Versicherungen machten sich durch Wetten auf Preisveränderungen bei agrarischen Rohstoffen »mitschuldig an Hungersnöten in den ärmsten Ländern der Welt«, sagte Foodwatch-Geschäftsführer Thilo Bode am Dienstag in Berlin. »Die Banken kassieren Gebühren und können mit ihren hochspekulativen Wetten nur gewinnen, während die Risiken andere tragen.« Dies seien vor allem »die Ärmsten der Armen, die mit diesen Finanzprodukten überhaupt nichts zu tun haben, aber ihr Essen nicht mehr bezahlen können«.

Hintergrund der von Foodwatch erhobenen Vorwürfe ist ein Bericht, den der Wirtschaftsjournalist Harald Schumann im Auftrag der Verbraucherorganisation verfaßt hat. Schumann kam bei seinen Recherchen zu dem Ergebnis, daß es »erdrückende Belege« dafür gebe, wie Spekulationen auf künftige Preisentwicklungen die aktuellen Agrarrohstoffkosten auf dem Weltmarkt beeinflussen – eine Tatsache, die von Bankenlobbyisten vehement geleugnet würde. »Die These der Finanzindustrie, daß die Spekulation keinen Einfluß auf die Preise hat, ist nicht zu halten«, sagte Schumann bei der Vorstellung des Reports »Die Hungermacher. Wie Deutsche Bank, Goldmann Sachs & Co. auf Kosten der Ärmsten mit Lebensmitteln spekulieren«.

Nur durch eine längst überfällige gesetzliche Beschränkung der Wetten auf Termingeschäfte (»Futures«) könne den Preissteigerungen Einhalt geboten werden. Dazu seien Limits für spekulative Terminverträge von seiten der Politik nötig, fordert Foodwatch. Diese habe es bis vor zehn Jahren in den USA gegeben, bis sie durch Washington aufgehoben worden seien. Der vormalige Nischenmarkt der internationalen Rohstoffbörsen sei erst dadurch in den Fokus von Investoren und Spekulanten geraten, die nach der geplatzten »Dotcom-Blase« nach neuen Anlagemöglichkeiten gesucht hätten. Institutionelle Anleger wie Versicherungen sollten sich gar nicht mehr am Handel mit Rohstoffderivaten beteiligen, verlangt Foodwatch.

Die international operierenden Banken und ihre Lobbyverbände weisen die Verantwortung von sich. Es gebe »keinen Nachweis, daß Spekulanten die Preise irgendeines bestimmten Produktes beeinflussen«, zitierte Schumann Terry Duffy, den Chef der CME Group, die der weltgrößte Betreiber von Futures-Terminbörsen in Chicago und New York ist. Auch Paul Krugmann, Träger des Nobelpreises für Ökonomie, bezeichnete Kritik an den Geschäftemachern mit Nahrung als »spekulativen Blödsinn«. Schuld an den steigenden Rohstoffpreisen sei vielmehr der »Marsch des Fleisch essenden Chinesen – also die wachsende Anzahl von Menschen, die erstmals reich genug sind, um so zu essen wie die Menschen im reichen Westen«. Da für jede Kalorie im Rindfleisch die siebenfache Menge solcher in Getreide benötigt werde, führe dies zu einem starken Mehrverbrauch.

Schumann widerspricht diesen Argumentationen. Die Preisbildung bei »Futures«, die durch Spekulationen massiv beeinflußt werde, sei Grundlage für die realen Geschäfte, da sie die einzig heranziehbaren Informationen darstellen würden. Die Future- würden damit zu Referenzpreisen. In den Jahren 2008 und 2010 seien die Kosten für Getreide wegen Spekulations­geschäften gar um 50 Prozent gestiegen, rechnet Schumann vor. Außerdem haben Spekulanten »alleine über den Ölpreis Mitschuld« an steigenden Aufwendungen für Nahrungsmittel, weil dieser die Kosten für Dünger und Treibstoffe beeinflusse. Der steigende Fleischkonsum in Ländern wie Indien und China könne hingegen den Anstieg der Getreidepreise seit 2007 nicht erklären, da ein Gros des Mehrbedarfs durch steigende Erzeugung in diesen Ländern selbst gedeckt werde. Beide Länder seien zudem Getreidenetto­exporteure gewesen.

Insbesondere Josef Ackermann, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank und gleichzeitig Chef des internationalen Bankenlobbyistenverbandes »Institute of International Finance«, trage auch persönliche Verantwortung dafür, daß überall auf der Welt Menschen Hunger leiden, bilanziert Foodwatch. Unter dem Motto »Hände weg vom Acker, Mann!« startete die Organisation zeitgleich zur Vorstellung des Reports eine Kampagne, bei der Verbraucher Ackermann persönlich auffordern können, den Widerstand der Bankenlobbyisten gegen eine staatliche Regulierung der Spekulationen aufzugeben.

** Aus: junge Welt, 19. Oktober 2011


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