Lobbyist als Gärtner
Hungerbekämpfung mit Biosprit und Soja – der Brasilianer José Graziano da Silva ist neuer Chef der UN-Welternährungsorganisation FAO
Von Norbert Suchanek, Rio de Janeiro *
Die Welternährungsorganisation hat einen neuen Chef, den Brasilianer José Graziano da Silva. Am Sonntag (26. Juni) wurde er in Rom als Nachfolger des nach 18 Jahren aus dem Amt scheidenden Senegalesen Jacques Diouf zum Leiter der Food and Agriculture Organization of the United Nations (FAO) gewählt. Der 61jährige ist der erste Südamerikaner, der die mächtige FAO leitet. Bereits seit 2006 vertrat er Lateinamerika und die Karibik in der UN-Organisation. In seiner Bewerbungsbiografie hob da Silva seinen jahrzehntelangen Einsatz für die Ernährungssicherheit in Brasilien hervor. Seit 1977 habe er sich der ländlichen Entwicklung und der Bekämpfung des Hungers verschrieben. Brasiliens Ex-Präsident Luiz Inacio »Lula« da Silva ernannte den Wirtschafts- und Agrarwissenschaftler – mit Abschlüssen der Universitäten São Paulo und Campinas in Brasilien sowie zwei Postdoktoraten des University College of London und der University of California, Santa Cruz – auch zum Minister für soziale Entwicklung. Das unter seiner Federführung auf den Weg gebrachte Null-Hunger-Programm, »Fome Zero«, habe 24 Millionen Brasilianer aus extremer Armut befreit und die Zahl der Unterernährten um 25 Prozent gesenkt, hieß es.
Doch wer ist Graziano da Silva wirklich und für welche Art von Landwirtschaft und Hungerbekämpfung steht er? Trotz brasilianischem und italienischem Paß, kam er 1949 weder in Südamerika noch in Italien, sondern im US-Staat Illinois zur Welt. Sein brasilianischer Vater José Gomes da Silva studierte damals an der Universität von Illinois, in Urbana. Die Stadt gilt als nordamerikanisches Zentrum für Soja-Forschung und als »Think Tank« der entsprechenden Industrie. Vater José ist denn auch Schlüsselfigur von da Silvas Karriere, was der Sohn allerdings in seiner offiziellen Bewerbungsbiografie nicht erwähnt.
José Gomes da Silva gilt als der wissenschaftliche Kopf und Pionier des Soja-Anbaus in Brasilien, um die Hungernden des Landes mit dieser neuen Proteinquelle zu ernähren. Als Chef des »Serviço de Expansão de Soja« ist er einer der Hauptverantwortlichen für die Ausbreitung der Monokulturen von Süd- bis Zentralbrasilien und für die Entwicklung des Landes zu einer Soja-Weltmacht. Auch in der FAO hinterließ da Silvas Vater breite Fußstapfen, arbeitete er doch in den 1970er Jahren für die UN-Organisation in Rom als Berater für Agrarreform.
Während man die Zerstörung und Umwandlung von Millionen von Hektar artenreichem Cerrado-Wald in Soja-Monokulturen quasi als »Lebenswerk« des Vaters beschreiben kann, scheint nun sein Sohn die Expansion dieser »brasilianischen Erfolgsgeschichte« im Sinn zu haben.
Bereits als FAO-Regionalchef für Lateinamerika und die Karibik verteidigte da Silva 2007 die großflächige Ethanol- und Biodieselproduktion. Gegen die Meinung von Nichtregierungsorganisationen weltweit, die die Ausweitung der Biospritanbaus als Gefahr für die Lebensmittelsicherheit anprangern, setzte da Silva auf die agrarische Großindustrie. Der Anbau von Energiepflanzen stelle keine Bedrohung für die Nahrungsmittelproduktion in Brasilien dar, so sein Credo. Biodiesel oder Ethanol bedrohten auch nicht die kleinbäuerliche Landwirtschaft. Im Gegenteil. Die Familienbetriebe könnten davon profitieren. Für den Wirtschaftswissenschaftler ist es nicht wichtig, was die Kleinbauern pflanzen, sondern was sie dafür auf dem Markt bekommen: »Diese Produzenten brauchen einen Markt, denn nur so können sie ihre ärmlichen Verhältnisse und ihre Einkünfte verbessern.«
Als Chef der Welternährungsorganisation will da Silva Junior nun im Rahmen einer Süd-Süd-Kooperation das brasilianische Agrarmodell und entsprechende Technik vor allem in die afrikanischen Flächenstaaten bringen. »Wir haben die Technologie für die tropische Landwirtschaft, die auch gut für Afrika ist«, verkündete der erfolgsgewohnte Lobbyist.
Was er konkret darunter versteht, publizierte er vergangenen Februar im brasilianischem Wirtschaftsblatt Valor Econômico: Die Umwandlung der afrikanischen Savannen in Ackerland.
»Afrika nutze bislang lediglich 14 Prozent von 184 Millionen Hektar landwirtschaftlicher Flächen«, so Graziano da Silva. »Nehme man die sich über 25 afrikanische Staaten ausbreitende Savanne hinzu, die ähnlich dem brasilianischen Cerrado ist, dann haben wir 400 Millionen Hektar anbaufähiges Land.« Neben Lateinamerika sei der schwarze Kontinent der einzige Erdteil mit freien Flächen zur Ausbreitung der Landwirtschaft in den kommenden Jahrzehnten. Afrika könne deshalb mit Brasiliens Hilfe eine Schlüsselrolle im Kampf gegen Hunger und Armut im 21. Jahrhundert spielen.
Bereits 2010 startete da Silva den sogenannten Brasilianisch-Afrikanischen Dialog über Nahrungsmittelsicherheit, Hungerbekämpfung und ländliche Entwicklung als Türöffner für Brasiliens Agrarindustrie und zum Transfer von brasilianischem Saatgut und Technik. Noch kurz vor seiner Wahl zum FAO-Chef brachte die brasilianische Regierung zusammen mit der Regierung von Mosambik das erste Kooperationsprojekt zur »Entwicklung des landwirtschaftlichen Potenzials der Savanne«, genannt »Pro-Savanne«, auf den Weg.
* Aus: junge Welt, 29. Juni 2011
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