"Es geht darum, in Europa einen neuen Politikstil zu prägen"
Eine Basisinitiative deutscher Gewerkschafter stellt die Friedenspolitik in den Mittelpunkt. Ein Gespräch mit Jochen Marquardt *
Jochen Marquardt ist Geschäftsführer des DGB Region Ruhr-Mark.
Für den 9. Mai rufen Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter in Bochum zu einer Demonstration gegen Krieg, Gewalt und Militär auf. Wollen Sie so dazu beitragen, Schwung in die Friedensbewegung zu bringen?
Gewerkschaften hatten von Beginn an diese Positionen, es gab aber ein Auf und Ab. Jetzt wollen wir unser Engagement für diese satzungsgemäßen Aufgaben neu beleben, uns für Frieden einsetzen und Solidarität mit anderen üben. Dafür steht unsere neu gegründete Initiative mit vielen Kolleginnen und Kollegen, die in den kommenden Wochen und Monaten sehr viel breiter werden kann.
Wir wollen das Thema in den Betrieben neu auf die Tagesordnung bringen, wir sehen es natürlich im Zusammenhang mit dem Jahrestag der Befreiung von Krieg und Faschismus. Im 70. Jahr danach schauen wir besorgt auf die Entwicklung in der Welt, in Europa und im eigenen Land. Kriege dürfen kein Mittel zur Konfliktlösung sein, das findet aber leider zu wenig Beachtung in der öffentlichen Debatte.
In der Initiative wirken gewerkschaftliche Jugendvertreter mit, Kollegen von Opel-Bochum, Vertrauensleute von ver.di, der IG Metall oder des DGB. Warum sind sie jetzt alle aktiv geworden?
Anlass für unseren Aufbruch war, dass sich mit der Wahl in Griechenland neue Chancen eröffnet haben. Es geht darum, in Europa einen neuen Politikstil zu prägen und ihn auch durchzusetzen – auch in Friedensfragen. Mit unserem Aufruf »Europa neu begründen« hatten wir die in der Krise durch neoliberale Deregulierungspolitik und gewissenlose Gier der Finanzeliten vernachlässigte Politik kritisiert. Im Internet wurden zehntausende Unterschriften für unsere Forderung gesammelt, die Krise demokratisch und solidarisch zu bewältigen. Jetzt wollen wir die Debatte über Hochrüstung und die Einführung einer Europaarmee in die Betriebe bringen. Das Thema brennt! In den Gewerkschaften und im Gespräch mit Bündnispartnern müssen wir uns für die Rüstungskonversion stark machen.
In der Öffentlichkeit haben sich die Gewerkschaften mit Kritik an Rüstungsvorhaben und Waffenexporten aber lange zurückgehalten …
Wir wollen uns nicht nach dem Muster darstellen: »Die da oben, wir da unten.« Wir haben Beschlüsse gefasst – auch, was Syriza angeht. In den Betrieben und in unserer eigenen Verwaltung sind wir bisher mit unseren Themen aber leider noch nicht so durchgedrungen, wie wir uns das gewünscht hatten. Viele Kolleginnen und Kollegen waren bei den Ostermärschen dabei und wollen das Thema »Krieg und Frieden« auch am 1. Mai in den Vordergrund stellen.
In der deutschen Friedensbewegung hat es in den vergangenen Monaten einige Turbulenzen gegeben – es ging letztlich darum, sich nach rechts abzugrenzen. Wie stellt sich eine solche Auseinandersetzung aus dem Blickwinkel von Gewerkschaftern dar?
Einerseits ist klar – Rechte haben in der linken Friedensbewegung nichts zu suchen! Andererseits haben wir einen breiten Aufruf gestartet und darin eine Reihe von Themen angesprochen. Zum Beispiel: Wer sich für Flüchtlinge einsetzt, muss auch in der internationalen Friedenspolitik Verantwortung übernehmen, damit Menschen in ihren Herkunftsländern bleiben können. Dass es immer mehr Brandherde in der Welt gibt, bedeutet doch nur eins: Immer mehr Menschen müssen aus ihrer Heimat flüchten – den Grund dafür liefert auch die Politik Deutschlands. Sie hat selbst in Europa eine so extreme Sparpolitik durchgesetzt, dass Flüchtlinge keine Chance mehr haben.
Weshalb hat den Bandarbeiter bei Opel die klassische Friedensbewegung bislang eher wenig interessiert?
Die Friedensbewegung selbst ist nicht das Problem. Es hilft aber nicht, die reine Lehre zu verkünden. Vielmehr gilt es, Widersprüche zu erkennen und zu versuchen, damit umzugehen. Viele in den Betrieben aktive Menschen sind zur Zeit nur noch damit beschäftigt, ihre Arbeitsbedingungen zu sichern und Lohndumping zu verhindern. Sie kommen zu nichts anderem mehr.
Wir wollen jetzt das Thema Rüstungskonversion in den Vordergrund stellen. Zugleich müssen wir die politischen Rahmenbedingungen verändern. Dazu gehört, über Solidarität in Europa zu diskutieren und die Verteilungsfrage zu stellen. Wir wollen Frieden, Solidarität und Umverteilung der Ressourcen und wollen uns nicht weiteren Spardiktaten unterwerfen.
Interview: Gitta Düperthal
http://www.initiative-frieden-solidaritaet.de
* Aus: junge Welt, Donnerstag, 9. April 2015
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