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"Länder mit mehr Gleichheit sind generell glücklicher"

Ein Interview mit Cornelia Beyer über Ungleichheit und Gewalt


Im Folgenden dokumentieren wir ein Interview, das Cornelia Beyer, Autorin des vor kurzem erschienenen Buchs „Inequality and Violence: A Re-Appraisal of Man, the State and War“ (Ashgate 2014) gegeben hat. Das Gespräch hat auf Englisch stattgefunden. Die Übersetzung besorgte Eckart Fooken.

Welches sind Ihre Belege?

Für das Buch habe ich zahlreiche Studien über Ungleichheit mit verschiedenen Schwerpunkten durchgearbeitet. Ich habe betrachtet, wie Ungleichheit verknüpft ist mit Gewalt, z.B. auf der individuellen Ebene. Braithwaite veröffentlichte eine prominente Studie, in der er argumentierte, dass Ungleichheit verknüpft ist mit Kriminalität, in diesem Fall einschließlich Gewaltkriminalität. In gleicher Weise von Bedeutung ist hier natürlich Wikinsons und Picketts prominente Veröffentlichung „The Spirit Level“, da sie zeigt, dass Ungleichheit verknüpft ist mit Gewalt in Gesellschaften; Länder mit höherer Ungleichheit haben z.B. mehr Fälle von Morden und Todesfälle durch Gewalt. Zweitens habe ich auch Belege für andere Formen von Gewalt auf der staatlichen Ebene betrachtet. Hier haben wir in besonderem Maße Revolutionen, Bürgerkriege und Terrorismus zu bedenken. Alle diese drei Formen der Gewalt sind in der Literatur in Verbindung gebracht worden mit Ungleichheit als Kausalfaktor. Die Verknüpfung von Ungleichheit und Revolutionen ist am weitesten etabliert, die Argumente für Ungleichheit als Auslöser von Revolutionen gehen zurück bis Tocqueville und Marx. Und die empirische Forschung hat die Behauptung gestützt, dass Ungleichheit Revolutionen vorausgeht. Für Bürgerkriege hat Kofi Annan, der ehemalige Generalsekretär der Vereinten Nationen, eine Verknüpfung aufgezeigt. Hier scheint es, dass Ungleichheit zwischen Gruppen, insbesondere ethnischen Gruppen, einen wichtigen Faktor darstellt. Dies ist auch bestätigt worden in einer unabhängigen Studie, die von einem norwegischen Forscher erstellt wurde. Was den Terrorismus betrifft, so ist die Verknüpfung zwischen Ungleichheit und Terrorismus umstritten, aber einige Studien gehen doch in die Richtung, dass sie ebenfalls mit dieser Form von Gewalt in Verbindung zu bringen ist. So sind zum Beispiel die Tamil Tigers in Sri Lanka in einem prominenten Buch von Tore Bjorgo untersucht worden, und es wurden Belege dafür gefunden, dass seit langem bestehende Ungleichheiten zu ihrem Kampf beigetragen hatten. Ähnliche Argumente wurden für Fälle in der Türkei und Indien genannt. Schließlich betrachtete ich die internationale Ebene. Interessanterweise scheint es, dass das Argument, dass Ungleichheit Gewalt verursacht oder eben auch verhindert, dort noch nicht abschließend beantwortet ist. Einige behaupten, dass größere Ungleichheit besser sei, und wenn wir in einem sehr ungleichen System leben, wie heute unter einer US-Hegemonie, wir über mehr Schutz verfügen. Andere, wie Kenneth Waltz, behaupten, mehr Gleichheit sei besser für den Frieden. Die Belege legen die Schlussfolgerung nah, dass das stabilste System die Bipolarität ist, wenn wir zwei Supermächte haben, wie während des Kalten Krieges. Allerdings ist diese Konstellation in den untersuchten Zeiträumen nicht oft vorgekommen, sodass die gewonnenen Daten irreführend sein könnten. Ein weiteres interessantes Faktum ist, dass Multipolarität, die sich oft durch relative Gleichheit auszeichnet, keine hohe Frequenz von Kriegen zeigt, der Art der Führung nach allerdings die schlimmsten. Die zwei Weltkriege wurden begonnen in einem System der Multipolarität, als wir viele mehr oder weniger gleiche Mächte haben. Die höchste Frequenz von Kriegen, so die Literatur, wenn auch nicht die schlimmsten Kriege, findet sich, wenn wir ein sehr ungleiches System, wie z.B. Hegemonie haben. In der Tat, je ungleicher das System, desto mehr Kriege, so die Forscher.

Über welche Art von Gewalt sprechen wir hier?

In der Studie, wie ich bereits erwähnte, habe ich alle Arten von materieller Gewalt betrachtet. Von Gewaltverbrechen bis zu Bürgerkriegen, Terrorismus und Kriegen zwischen Staaten. In der Literatur wird diskutiert, dass wir viel mehr Formen der Gewalt in Betracht ziehen müssen. Strukturelle Gewalt ist ein dabei prominenter Begriff. Sie bezieht sich auf die Situation, dass ein Akteur regelmäßig von einem anderen ausgebeutet wird. Diese Form der Gewalt habe ich nicht betrachtet, selbst wenn sie sich auf meine Argumentation bezog, da sie naturgemäß Ungleichheit involviert, und in der Literatur argumentiert wird, dass strukturelle Gewalt zu materieller Gewalt beiträgt. Dies widerspricht meinen Befunden also nicht, sondern bestätigt sie. Ich habe diese Problematik in anderen Publikationen von mir betrachtet, in denen ich argumentiere, dass strukturelle Gewalt gegen den Nahen/Mittleren Osten, Ausbeutung, Interventionen, Diskriminierung die Ursachen für terroristische Gruppen sind uns anzugreifen. Und Osama bin Laden, z.B., hatte in seiner Kriegserklärung festgestellt, dass wenigstens einige der Länder dieser Region unter der ökonomischen Dominanz der USA stehen, dass dies zu ihrer Rückständigkeit beitrage, die seit langem beklagt werde. Osama bin Laden bezog sich tatsächlich auch auf die ökonomischen Gründe in seiner Kriegserklärung.

Gilt dies nur für arme Länder, in denen die Menschen ständig kämpfen müssen um die lebensnotwendigen Dinge, oder sind reiche Länder mit großen innergesellschaftlichen Ungleichheiten ebenfalls gewaltsam?

Die Verbindung zwischen Ungleichheit und Gewalt gilt für alle Länder, arm wie reich. Und Wilkinson und Picket zeigten in der Tat, dass Gewaltkriminalität, wie z.B. Morde, manchmal häufiger in reichen Ländern mit mehr Ungleichheit vorkommen, als in ärmeren Ländern mit geringerer Ungleichheit. Allgemein gesagt haben die reichen und die armen Länder natürlich unterschiedliche Probleme. Die armen Länder sind stärker betroffen von Terrorismus und Bürgerkriegen, die reicheren Länder sind öfter diejenigen, die bei diesen Konflikten intervenieren. Sie sind jedoch auch damit einbezogen. Z.B. ist der Terrorismus, der oft in den armen Ländern entsteht, zumeist gegen die reicheren Länder, speziell den Westen, gerichtet, insbesondere wenn wir die internationalen Formen des Terrorismus betrachten. Wir könnten in der Tat argumentieren, dass Terrorismus gerichtet ist gegen internationale Ungleichheit, ein Argument, das ich bereits über strukturelle Gewalt angeführt habe. Und man hat tatsächlich herausgefunden, so meine Argumentation in einem Kapitel des Buches, dass Entwicklungshilfe gegen Terrorismus hilfreich ist. Die Länder, die Entwicklungsgelder zur Verfügung stellen, werden weniger zur Zielscheibe des Terrorismus. Allerdings dürfen Entwicklungsgelder nicht verwendet werden für repressive Maßnahmen in den Empfängerländern.

In welcher Weise gilt dies alles für die Situation in Griechenland, wo es eine ökonomische Krise gab und eine Menge Gewalt auf der Straße?

Politische Gewalt, wie z.B. in Griechenland, kann wahrscheinlich mit Ungleichheit in Verbindung gebracht werden. Ich greife hier zurück auf Tocqueville und Marx, die sich über Revolutionen geäußert haben. Tocqueville sagte, ungleiche Verhältnisse müssen sich zunächst verbessern bevor Revolutionen ausbrechen. Marx widersprach dem und argumentierte, dass ungleiche Verhältnisse sich verschlechtern müssen, bevor Revolutionen ausbrechen. Mittlerweile ist ihr Disput durch Davies gelöst worden. Er argumentierte, dass beide Prozesse zutreffen. Zunächst muss es eine Verbesserung der Verhältnisse geben. Dies lässt die Bevölkerung zukünftige Verbesserungen erhoffen und erhöht die Erwartungen. Wenn dann dieser Prozess aber umgekehrt wird, werden diese Erwartungen enttäuscht und das ist die gefährlichste Situation für den Ausbruch revolutionärer Gewalt. Man könnte argumentieren, dass in Griechenland mit dem Beitritt zur Europäischen Union starke Hoffnungen auf endloses Wachstum erzeugt wurden. Diese Hoffnungen wurden drastisch enttäuscht in der derzeitigen Finanzkrise. Und dies verursachte die Gewalt der Straße, die wir in Griechenland in den letzten Jahren beobachteten.

Müssen Gesellschaften nicht in einem gewissen Maß ungleich sein, damit Menschen einen Anreiz bekommen, hart zu arbeiten und weiterzukommen, und wenn das geschieht, nützt das auch dem Land insgesamt, weil es dann mit florierender Wirtschaft wohlhabender wird?

Das Buch ist kein absolutes Argument gegen jegliche Ungleichheit. Es argumentiert, dass mehr Ungleichheit zu mehr Gewalt beitragen könnte, innerhalb von Gesellschaften und auch global. Interessanterweise schaue ich übrigens gegenwärtig verstärkt in psychologische Forschungen, wir könnten nicht nur friedlicher sein, wenn wir mehr Gleichheit hätten, wir könnten auch glücklicher sein. Die Glücksforschung deutet in die Richtung, dass Ungleichheit die Menschen zunehmend unglücklich macht und sogar zu einem Anstieg psychischer Krankheiten führt. Länder mit mehr Gleichheit sind generell glücklicher, so die Forschung. Und wenn wir auf die skandinavischen Staaten schauen, die den Ruf haben, ein hohes Maß an Gleichheit aufrecht zu erhalten, deren Wirtschaft leidet keinesfalls darunter.

Cornelia Beyer: Inequality and Violence: A Re-Appraisal of Man, the State and War, Ashgate 2014

* Dr. Cornelia Beyer ist Dozentin für Internationale Beziehungen und Sicherheitsforschung an der University of Hull (Großbritannien).


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