Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Lückenbüßer und Soldat zweiter Klasse? Diskussion über Frauen in der Bundeswehr

Ein Beitrag von Franz Feyder aus der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" *


Andreas Flocken (Moderator der Sendung):
Im Jahr 2000 hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass alle Bereiche der Bundeswehr auch Frauen offen stehen. Ihr Anteil in den Streitkräften liegt inzwischen bei etwa neun Prozent. Angestrebt werden 15 Prozent. An Frauen in Uniform haben sich die meisten Männer in der Bundeswehr inzwischen gewöhnt - aber längst nicht alle. Hören Sie Franz Feyder:


Manuskript Franz Feyder

So stellt die Bundeswehr gerne den Kasernenalltag dar, in dem Männer und Frauen gleichberechtigt Recht und Freiheit des deutschen Volkes schützen:

Atmo Appell
„Zwote Kompanie – Stillgestanden! Richt Euch! Augen geradeaus! Zur Meldung an den Kompaniechef die Augen links – Oberleutnant, ich melde Ihnen: Zwote Kompanie wie befohlen angetreten!“ / „Guten Tag zwote Kompanie!“ /„Guten Tag Frau Oberleutnant!“/ „Augen geradeaus!“

Szenenwechsel. Eine Hindernisbahn der Bundeswehr: Eine junge Soldatin müht sich an einer steilen, 2,50 Meter hohen Holzwand. Der schwere Rucksack zieht sie nach unten. Das Sturmgewehr schlackert auf dem Rücken. Fast hat sie den Halt bietenden Querbalken erreicht, da stürzt sie. Männliche Kameraden eilen herbei, entreißen der Offiziersanwärterin Waffe und Rucksack und scheuchen sie ohne Ausrüstung über das Hindernis:

Atmo Video Hindernisbahn

Das Video ist einer der Renner auf dem Videoportal Youtube. Fast 210.000 mal wurde es angeschaut – und oft kommentiert. Ein User meint:

Zitat Internetforum
„Ey, das geht ja gar nicht sowas, … so eine gehört an den Herd gestellt, Jungs!“

Ein anderer schließt sich an:

Zitat Internetforum
„Ganz im Ernst: Irgendwo ist nun einmal die Toleranzgrenze erreicht. Gleichberechtigung hin oder her. Was denken diese Frauen überhaupt was die Bundeswehr ist? Im Video sind es noch lockere Übungen in der Heimat, doch die Soldaten werden für den Ernstfall trainiert. Niemand von uns kann sich vorstellen, wie grauenhaft der Krieg ist: nur die wenigsten Männer sind fähig ihn zu ertragen und erst recht nicht eine Frau! Wie man vor 50 Jahren auf der Gorch Fock sagte: Frauen und Zement gehören nicht an Bord.“

Fast elf Jahre, nachdem in der Bundeswehr alle Truppengattungen und Laufbahnen für Frauen geöffnet wurden, ist die Truppe bei der Zusammenarbeit von Männern und Frauen von Normalität noch weit entfernt. Neu entfacht wurde die Geschlechterdiskussion in den deutschen Streitkräften durch den Tod einer Kadettin auf dem Segelschulschiff Gorch Fock im vergangenen Jahr. Sie war aus der Takelage gefallen und tödlich verunglückt – möglicherweise weil sie den körperlichen Strapazen nicht gewachsen war. Denn die Offiziersanwärterin soll zuvor gegenüber ihren Kameraden von einem „Kraftloch“ gesprochen haben.

In der Zeitschrift „Marineforum“ warf im Juli der Leiter des Instituts für Staatspolitik, Erik Lehnert, die Frage auf, ob Frauen genauso wie Männer in der Lage sind, die hohen Anforderungen des Soldatenberufes zu erfüllen. Er kommt zu dem Schluss:

Zitat Lehnert
„Frauen zwingen den männlichen Kameraden faktisch ihre eigenen physischen Beschränkungen auf, indem sie Standards senken und Forderungen nach Veränderungen stellen.“

Militärischer Dienst liege „jenseits der körperlichen Fähigkeiten der meisten Frauen“, heißt es weiter. Kampfeinsätze blieben immer noch eine „außergewöhnliche physische und psychische Herausforderung“, schreibt Lehnert. Die Natur habe Frauen und Männer diesbezüglich unterschiedlich ausgestattet. Der Artikel sorgte für große Aufregung. Denn das Institut für Staatspolitik ist eine Denkfabrik der Neuen Rechten, sagen Kritiker.

Trotzdem: Es gibt nicht wenige Männer in den Streitkräften, die sich durch Frauen im gefleckten Drillich benachteiligt fühlen. Die seien bei sportlichen Prüfungen im Vorteil. Beispielsweise hätten Frauen beim Fitness Test mehr als 18 Minuten Zeit um 3.000 Meter zu laufen. Männer müssen diese Strecke in 13 Minuten zurücklegen. Beim Einzelkämpferlehrgang, so die Behauptung männlicher Absolventen, würde bei Frauen ein Auge zugedrückt, wenn auf der Hindernisbahn die lehrgangsrelevanten Zeiten gestoppt würden. Panzergrenadiere berichten, Frauen hätten Probleme, das schwere Rohr der Bordmaschinenkanone des Schützenpanzers Marder ein- und auszubauen. Deshalb müsse der Richtschütze regelmäßig das Kettenfahrzeug verlassen, um Störungen am Waffensystem zu beseitigen.

Glaubt man den Eintragungen vermeintlich vorgesetztenfreier Internetforen und den Stammtischen, ist die Bundeswehr eine ungerechte Welt in Sachen Gleichberechtigung. Gezeichnet wird ein Bild der Streitkräfte, das mit der offiziellen Darstellung nur wenig zu tun hat. So kommt ein Kommentator in einem Bundeswehrblog zu dem Ergebnis:

Zitat Internetforum
„Gleichberechtigung? Gleiche Leistungen? Da muss ich wohl immer auf den falschen Lehrgängen und an den falschen Standorten sein. Da schleppen in der Regel die Kerle die Rucksäcke der Damen. Das will keiner wahrhaben, weil es politisch nicht en vogue ist. Und deshalb schleppen wir demnächst dann gleich die Frauen samt Ausrüstung – weil nicht sein kann, was nicht sein darf.“

Von geschlechtsspezifischen Beurteilungskriterien bei Lehrgängen oder besonderen Hilfestellungen für Frauen wollen die Sprecher des Berliner Verteidigungsressorts nichts wissen. Im Gegenteil: Grundsätzlich, teilen sie mit, gebe es bei Laufbahn- und laufbahnrelevanten Lehrgängen für Offiziere und Unteroffiziere keine unterschiedlichen Leistungsanforderungen. Unterschiedliche Maßstäbe würden nur angelegt, wenn sportliche Leistungen gemessen würden.

Allerdings: In einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen zum Thema „Frauen in der Bundeswehr“ listen die Ministerialen von Verteidigungsminister Thomas de Maizière detailliert auf, in welchen Truppengattungen der Bundeswehr wie viele Frauen dienen. Die meisten werden demnach im Sanitätsdienst eingesetzt. Die wenigsten in Kampfeinheiten der Bundeswehr. So wurden bislang sieben Bewerberinnen getestet, die in der Eliteeinheit Kommando Spezialkräfte eingesetzt werden wollten, zwei für den Dienst in der Fernspähtruppe. Keine der Soldatinnen beendete die harten Prüfungen erfolgreich - bei gleichen Bedingungen für Männer und Frauen. Allerdings sind beim KSK inzwischen 53 Frauen im Unterstützungsbereich tätig. Im ARD-Fernsehen machte der Kommandeur des Verbandes, Brigadegeneral Heinz Josef Feldmann kürzlich deutlich, dass es dabei nicht bleiben soll:

O-Ton Feldmann
„Wir überlegen für die Zukunft Optionen, wie wir auch bei den Einsatzkräften, ich sag mal, auch die weibliche Kompetenz einfach abbilden können. Aber da sind wir erst in den Anfangsschuhen. Es ist noch zu früh, dazu etwas zu sagen.“

Doch inzwischen ist klar: Demnächst soll es beim KSK auch Frauen als Kommandosoldaten geben. Die harten praktischen Prüfungen werden allerdings für sie – wie es heißt – „entschärft“.

Für die Regensburger Militärsoziologin Ruth Seifert, haben Frauen bei nahezu allen theoretisch-intellektuellen Tests besser abgeschnitten als Männer. Doch männliche Soldaten würden die Leistungen ihrer weiblichen Kameraden auf allen Gebieten schlechter einschätzen als die eigenen. Die Wissenschaftlerin verweist dabei auf Studien des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr. Der Militärberuf sei eine der letzten Domänen männlicher Überlegenheit. Nach Ansicht der Militärsoziologin stellen Frauen hier eine Konkurrenz für die männlichen Identitätsentwürfe dar.

In den Kasernen will der Wehrbeauftragte des Bundestages davon allerdings nichts bemerkt haben. Die Situation der Frauen in der Bundeswehr sei von Normalität geprägt, stellt Hellmut Königshaus fest. Und was sagen die Frauen selbst? Die Gefreite Franziska Rödler im süddeutschen Veitshöchheim auf die Frage, ob sie in den Streitkräften von ihren männlichen Kameraden akzeptiert wird:

O-Ton Gefreite Franziska Rödler
„Teils, teils. Manche Männer verstehen halt nicht, warum Frauen hier sind. Aber manche finden es auch ganz toll, mal was zum gucken zu haben.“

* Quelle: NDR Info Das Forum, STREITKRÄFTE UND STRATEGIEN, 3. Dezember 2011; www.ndrinfo.de


Zurück zur Frauen-Bundeswehr-Seite

Zur Bundeswehr-Seite

Zurück zur Homepage